Süddeutsche Zeitung

Tölzer Prügel:Geisterfahrt zur Zeitgeschichte

Der Erinnerungsort Badehaus im Wolfratshauser Stadtteil Waldram soll partout kein Schild an der Autobahn bekommen. Bei anderen Einrichtungen ist die zuständige Behörde weniger strikt

Kolumne von Felicitas Amler

Das Blaue Land hat Glück. Es ist rund ums Jahr täglich geöffnet und fügt sich damit ganz wunderbar in die bürokratischen Anforderungen für sogenannte "Unterrichtungstafeln" an Autobahnen. Dasselbe trifft aufs Tölzer Land und den Pfaffenwinkel zu. Für sie alle stehen an der Garmischer Autobahn A 95 große braune Tafeln mit weißer Schrift und Piktogrammen, die Besucher locken sollen. Aber warum ist das Franz-Marc-Museum ausgeschildert, das wie alle Museen in Bayern montags geschlossen ist? Und dann die Glentleiten - eigentlich müsste die Tafel fürs Freilichtmuseum nach dem 11. November abgeschraubt und erst am 19. März wieder angebracht werden. Denn von Josefi bis Martini gibt's da keinen Zutritt. Aber für solche Einrichtungen drücken sie bei der Autobahndirektion Süd schon mal ein Auge zu. Nur der Erinnerungsort Badehaus im Wolfratshauser Stadtteil Waldram, ehemals Föhrenwald, soll partout keine Tafel an der A 95 bekommen.

Es verhält sich nämlich mit den strikten Vorschriften für derlei Schilder so: Eine Stätte, die ein solches begehrt, muss "ein Ziel von herausragender touristischer Bedeutung" sein und "eine permanente ganzjährige öffentliche Zugänglichkeit mit üblichen täglichen Öffnungszeiten" bieten. Permanent. Ganzjährig. Täglich. Dies kann das Badehaus tatsächlich nicht gewährleisten. Was wiederum damit zu tun hat, dass es von einem zwar überaus engagierten, fleißigen, rastlosen und schier unermüdlichen Verein, mithin von Ehrenamtlichen, betrieben wird. Und die schaffen, freiwillig und unentgeltlich, einfach nicht mehr als drei Öffnungstage in der Woche.

An diesen 156 Tagen im Jahr aber dürfte nicht einmal ein Scheuklappen tragender Amtsschimmel die "herausragende Bedeutung" der Adresse übersehen. Das Badehaus beleuchtet inhaltlich, optisch und didaktisch auf beeindruckende Weise drei Phasen deutscher Zeitgeschichte. Es erinnert an die Verbrechen der Nazi-Zeit. Es gedenkt der Opfer der Shoa und veranschaulicht jüdisches Leben. Und es bringt die Geschichte der Heimatvertriebenen ins Bewusstsein. Ein deutscher Lernort par excellence. Der übrigens unter dem Namen "Föhrenwald" - oder auf Jiddisch Ferenwald - international bekannt ist. Aber Besuchern aus aller Welt, darunter vielen jüdischen, soll der Weg dorthin nicht leicht gemacht werden. Sollen sie vielleicht lieber in den Märchenwald fahren? Der ist ausgeschildert - obwohl er grundsätzlich zwischen Kirchweih und Ostern zu ist.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2020
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