Tölzer Prügel:Gamswatching als neuer Trendsport

Die geplante Beobachtungsstation für Gämsen an der Benediktenwand halten viele für eine unnötige Störung der Wildtiere. Im Konflikt um die staatliche Abschusspolitik soll sie wohl auch beschwichtigend wirken

Kolumne von Konstantin Kaip

Die Gams ist perfekt ans Leben im Gebirge angepasst. Die ziegenartigen Wildtiere erklimmen mühelos die steilsten Felswände und überholen dabei locker jeden Freeclimber. Wanderer, die auf der Benediktenwand das Glück hatten, die gehörnten Überlebenskünstler in freier Wildbahn zu sehen, können das bestätigen. Denn an dem gut frequentierten 1801 Meter hohen Bergrücken hat das Krickelwild einen Lebensraum gefunden. Wer geduldig Ausschau hält, kann sich an den Boviden und ihren Kletterkünsten erfreuen.

Das soll nun noch leichter werden - dank einer Beobachtungsplattform, die im Auftrag des bayerischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Herbst am Fuße der Benediktenwand errichtet wird. In dem überdachten Gebäude mit Sitzen und Fernrohr sollen Bergtouristen die Gämsen in freier Wildbahn erleben und mit Tafeln und digitalen Angeboten über die Wildtiere informiert werden. Die Benediktenwand sei für die Plattform ideal, schwärmte der stellvertretende Leiter des Tölzer Forstbetriebs, Robert Krebs. Wird "Gamswatching" nach Lama-Yoga nun der neue Trend für gestresste Städter?

Viele Landkreisbürger schütteln verständnislos den Kopf, wie zahlreiche Reaktionen auf den SZ-Bericht in den sozialen Netzwerken zeigen. "Furchtbar" und "Blödsinn" heißt es da. "Selbst die letzten einsamen Rückzugsgebiete der Tiere müssen noch vermarktet werden", schreibt eine Leserin. "Am Schluss gibt's no an Shuttleservice nauf", kommentiert ein anderer. Auch wenn Krebs beteuert, die Beobachtungsstation sei "nicht für den Massenauflauf ausgelegt", fragt man sich, warum es sie überhaupt braucht. Wer sich für die Tiere interessiert, kann sie auch ohne Plattform beobachten. Er muss nur ein Fernglas mitnehmen.

Wer die Diskussion um die Gams in Bayern verfolgt, dem schwant indes ein anderes Motiv für den medienwirksam verkündeten Bau. Schließlich wird schon länger erbittert um die Tiere gestritten. Weil sie besonders im Winter in die Wälder ziehen und die Triebe junger Bäume fressen, hat ihnen der Forst den Kampf angesagt. In oberbayerischen Bergschutzwäldern hat die Gams auch in den kommenden fünf Jahren keine Schonzeit, und in Kürnach, einem Höhenzug im Allgäu, haben die Staatsforsten kürzlich beschlossen, den Gamsabschuss in diesem Jahr zu verdoppeln. Der Bayerische Jagdverband und Naturschützer protestieren. Die schonungslose Bejagung zerstöre die Sozial- und Altersstruktur der Population. Von einem "Vernichtungsfeldzug gegen die Gams" spricht etwa die Vorsitzende des Vereins "Wildes Bayern", Christine Miller. Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat daraufhin auf ein laufendes Forschungsprojekt an der Kampenwand und im Karwendel verwiesen, das auf "stabile und vitale Populationen" hinweise. "Der Gams geht's gut", verkündete die Ministerin. Die Station an der Benediktenwand soll das nun wohl einem breiten Publikum vor Augen führen.

Dass die Plattform den Gamsabschuss noch steigern soll, ist hingegen ein unbestätigtes Gerücht. Auch wenn eine Horde Freizeitmenschen, die sich in Funktionsjacken und mit raschelnden Chipstüten in dem Holzbau wie am Zoozaun drängt, die Tiere am Berg wohl effizient vertreiben könnte - nach unten in die Wälder, wo die Förster mit der Büchse lauern.

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