Süddeutsche Zeitung

Tölzer Knabenchor:Das letzte Konzert des Maestro

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Nach sechzig Jahren beendet Gerhard Schmidt-Gaden seine Dirigentenlaufbahn. Die Knaben singen strahlend wie nie.

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Der Andrang war gewaltig. Als "Auftaktkonzert zum Jubiläumsjahr" war der Auftritt der Tölzer Knaben am Freitag angekündigt worden, doch es war ein offenes Geheimnis, dass noch weit mehr damit verbunden war. Der fast achtzigjährige Chorgründer Gerhard Schmidt-Gaden würde an diesem Abend letztmalig seinen Tölzer Knabenchor dirigieren, den er vor genau sechzig Jahren aus der Taufe gehoben hatte. Kein Wunder, dass die Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Die Jahre sind natürlich nicht spurlos an Schmidt-Gaden vorübergegangen, und auch um seine Gesundheit steht es nicht zum Besten. Und dennoch: Sobald der Maestro auf dem Podium stand, ging ein Ruck durch seinen Körper, und es zählte nur noch die Musik. Die Besonderheit des Augenblicks übertrug sich auf das Publikum wie auf den Chor.

Strahlend wie nie sangen die Knaben die Bach-Motette "Singet dem Herrn ein neues Lied", perlend in den Koloraturen, makellos in der Intonation, klar und deutlich in der Textbehandlung. Mit wunderbar weichem Piano gestalteten die Sänger den Choral "Wie sich ein Vater erbarmet"; das Solistenquartett "Gott, nimm dich ferner unser an" hob sich wirkungsvoll davon ab. Und trotz aller körperlichen Gebrechen hatte Gerhard Schmidt-Gaden das musikalische Geschehen fest im Griff. "Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf" heißt es in einer anderen Bach-Motette, und hier war es der Geist der Musik, der alle Schwachheiten überwinden half. Schmidt-Gaden beschränkte seine Dirigierbewegungen auf ein Minimum und war doch in jedem Augenblick voll präsent, gestaltete die Tempoübergänge ebenso sicher wie die dynamischen Schattierungen. Das aufjauchzende "Halleluja" am Ende der Motette setzte einen triumphalen Schlussakzent.

Den ursprünglichen Plan, alle sechs Bach-Motetten aufzuführen, hatten die Verantwortlichen fallen gelassen, denn bei einem solchen Anlass sagen sich natürlich diverse Festredner an, die ihre Laudatio auf den Chor und den scheidenden Chorgründer halten wollen. So blieb es bei vier Motetten, die die Wortbeiträge umrahmten. Nach dem einleitenden "Singet dem Herrn ein neues Lied" unter Schmidt-Gadens Leitung waren dies "Jesu, meine Freude", dirigiert von Christian Fliegner, sowie "Komm, Jesu, komm" und "Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf", beide von Clemens Haudum geleitet. Fliegner und Haudum stehen seit September 2014 als Doppelspitze dem Chor vor, und man konnte mit Befriedigung konstatieren, dass beide Chorleiter die Arbeit im Sinne von Schmidt-Gaden fortführen, das hohe Niveau wahren und auch den unverkennbaren Tölzer Chorklang pflegen. Der Tölzer Knabenchor ist bei Fliegner und Haudum in guten Händen. Unter den Festrednern ist einer hervorzuheben, der im Programm gar nicht angekündigt war: Michael Kilian, Sänger und Gesangspädagoge, war für den verhinderten Ex-Kultusminister Hans Zehetmair eingesprungen. Kilian ist selbst als Tölzer Knabe aufgewachsen; heute zählt er zum Lehrerkollegium des Chors.

In bewegenden, sehr persönlichen Worten dankte Kilian dem Chorgründer für seine unglaubliche Lebensleistung und für die "grundsätzliche Versessenheit auf Qualität", die nach Kilians Aussage Gerhard Schmidt-Gaden auszeichnet. "Die Ausbildung eines Knaben zum Sänger ist eine Prägung, die ihn nicht mehr verlässt", sagte Kilian. Zuletzt forderte er den Chorgründer auf, seine beiden Nachfolger freizuschlagen und ihnen die Zukunft des Chors anzuvertrauen. Kilians Anregung, den Freischlag mit einer Ohrfeige durchzuführen, griff Schmidt-Gaden denn doch nicht auf und beschränkte sich auf einen Händedruck.

Nach dem Ende des offiziellen Programms teilte sich der Chor in drei Gruppen auf, die an unterschiedlichen Stellen in der Kirche Aufstellung nahmen. Zum endgültig letzten Mal gab Schmidt-Gaden den Einsatz: zu Mozarts "V'amo di core", einem Kanon für drei vierstimmige Chöre. Fliegner und Haudum leiteten die beiden anderen Gruppen. So demonstrierten die drei Chorleiter, der scheidende und die amtierenden, in eindrucksvoller Weise ihre musikalische Übereinstimmung.

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Quelle:
SZ vom 01.02.2016
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