Es ist einer der besonders rührenden Momente in der Opernliteratur. "Nun wohlan - es bleibt - dabei", singt der unglückliche Papageno, der Papagena verloren glaubt und sterben will. "Weil mich nichts - zurücke hält - gute Nacht, du falsche Welt." Der Strick hängt schon am Baum, da greifen in letzter Sekunde die drei Knaben ein: "Halt ein, halt ein, o Papageno, und sei klug! Man lebt nur einmal, dies sei dir genug".
Papageno entsinnt sich seiner Zauberglöckchen, die Liebenden werden wieder vereint und beginnen alsbald mit der Familienplanung. Man kann also mit Fug und Recht sagen, dass es ohne die drei Knaben in der "Zauberflöte" nie zum Happy-End käme - immerhin in einer der meistgespielten Opern überhaupt.
Entsprechend gefragt sind die Solisten des Tölzer Knabenchors: In der Spielzeit 2010/2011 treten sie in den Zauberflöten-Inszenierungen in Berlin, München, Hamburg, Köln, Pforzheim und Bremen auf. In den vergangenen Wochen sang der 13 Jahre alte Sopranist Markus Althanns Mendelssohn Bartholdys "Elias" bei den Festivals in Luzern, Bremen und Stockholm, und auch die "Stimme des Hirten" in Giacomo Puccinis "Tosca" in der Münchner Staatsoper wird wieder von einem Tölzer Solisten gesungen.
Die Knaben sind bis weit über die deutschen Grenzen hinaus im Einsatz: Im November 2011 wird ein Tölzer Solist am Teatro Real in Madrid als Yniold in Claude Debussys "Pelléas et Mélisande" auftreten.
Dass diese Rollen ebenso wie die Knappen in Wagners "Parsifal" oder die Edelknaben im "Lohengrin" von Jungen gesungen werden, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Bis in die sechziger Jahre war es üblich, die ursprünglich für Knaben oder Kastraten gedachten Rollen mit Frauen zu besetzen; entsprechend ausgebildete Knaben waren meist nicht verfügbar. Der Yniold etwa musste bei der Uraufführung 1902 aus dem vierten Akt von "Pelléas et Mélisande" gestrichen werden, weil der ursprünglich besetzte Junge dem Part nicht gewachsen war, später übernahm eine Frau die Rolle.
Die Situation änderte sich erst mit der Verbreitung der historischen Aufführungspraxis, zu deren Pionieren der Dirigent Nikolaus Harnoncourt und sein Schüler, der Gründer und Leiter des Tölzer Knabenchors Gerhard Schmidt-Gaden, gehören. Lange war der Tölzer Knabenchor einer von wenigen, welche die Jungen so ausbildeten, dass sie als Opernsolisten bestehen konnten.
Helga Schmidt-Gaden, Geschäftsführerin des Tölzer Knabenchors und Ehefrau des Chorleiters, erinnert sich noch daran, wie der 1981 verstorbene Dirigent Karl Böhm eine Oper in Paris dirigierte. Am Tag vor der Aufführung sei ein verzweifelter Anruf gekommen: Die vorgesehenen Knaben seien nicht gut genug, man brauche dringend Ersatz. Kurzerhand wurden einige Jungen aus der Schule geholt und ins Flugzeug gesetzt, aus dem Stand sangen sie in allen Aufführungen.
Derartige Nacht-und Nebel-Aktionen sind heute jedoch die Ausnahme, normalerweise sind die Einsätze geplant. Schließlich muss das Singen auch mit der Schule abgestimmt sein. "Wir proben nicht länger als acht bis zehn Tage, die Regisseure müssen ein entsprechendes Konzept haben", sagt Helga Schmidt-Gaden. Wann immer die Jungen länger als drei Tage unterwegs seien, komme ein Lehrer mit.
Am einfachsten ist es für Sänger und Chorleitung, wenn eine alte Produktion zu besetzen ist, wie etwa die "Zauberflöte" in Berlin, die dort schon seit Jahren gezeigt wird. "Dann proben wir trocken in München, mit Videobändern", sagt Chorsprecher Peter Schulz. Am Nachmittag vor der Aufführung fliegen dann drei Sänger nach Berlin. "Meistens zwei, die das schon einmal gespielt haben, und ein Neuer", sagt Schulz - schließlich muss auch der Nachwuchs aufgebaut werden, bei den Älteren droht nach wenigen Jahren unerbittlich der Stimmbruch.
Neuproduktionen wie heuer in Pforzheim oder Köln sind dagegen deutlich aufwändiger. "Da fahren zwei komplette Mannschaften zu den Proben hin, also sechs Knaben", sagt Schulz. Bei den Aufführungen werde dann durchgetauscht, jeder dürfe mindestens einmal singen - "schon aus Motivationsgründen".