Es ist ein ungemütlicher Nachmittag, als die Besucher am Todesmarsch-Denkmal in Buchberg eintreffen. Es regnet, viele tragen dicke Jacken und Mützen. "Vor 78 Jahren war das Wetter nicht besser, sondern schlechter", sagt Elisabeth Voigt. Sie ist Beirätin des Erinnerungsortes Badehaus in Waldram, der die Veranstaltung gemeinsam mit dem Historischen Verein Wolfratshausen organisiert hat. Gedacht wird der Opfer des Todesmarschs. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurden die Gefangenen des KZ Dachau mehrere Tage Richtung Alpen getrieben und dabei gepeinigt, gefoltert und erschossen. Mehr als tausend Menschen starben bei dem Gewaltmarsch. Vielen Anwohnern wurden durch die Gräueltaten, die sich vor ihrer Haustür abspielten, die Grausamkeit des NS-Regime bewusst.
Bei der Gedenkveranstaltung stehen Schüler neben älteren Leuten, Männer und Frauen. Viele kennen sich und begrüßen einander. Unter den Teilnehmenden sind Zeitzeugen und Kommunalpolitiker, etwa die Zweiten Bürgermeister von Wolfratshausen und Geretsried, Günther Eibl und Sonja Frank. Ruhe kehrt ein, als ein Orchester der Musikschule Geretsried beginnt, ein getragenes Stück zu spielen.
Elisabeth Voigt richtet das Wort an die Anwesenden. "Am 28. April ging hier in unmittelbarere Nähe der Todesmarsch vorbei", sagt sie. "Was wir tun können, ist daran zu erinnern." Dann stellt sie die Ehrengäste vor. Nick Hope, der aus der Ukraine stammt und einmal Nikolai Choprenko hieß, war 17, als er von den in die Sowjetunion einmarschierten Deutschen zur Zwangsarbeit verpflichtet wurde. Er schuftete in den Rüstungsbetrieben im Wolfratshauser Forst, bis er nach einer Explosion in den Rüstungswerken im KZ Dachau interniert wurde. Am Ende des Todesmarschs wog er noch 40 Kilo. Später emigrierte er in die USA und baute sich dort ein neues Leben auf. Mittlerweile ist er 98 Jahre alt.
An diesem Freitag hat er seine Familie mitgebracht, die ihn beim Gehen stützt. Hope begrüßt die Anwesenden auf Deutsch. Am Mahnmal in Buchberg richtet er nur wenige Worte an die Zuhörer, er wird später im Badehaus noch einmal sprechen. Ihm gegenüber steht Otto-Ernst Holthaus. Der Unternehmer aus Wolfratshausen war während des Kriegs in der Hitlerjugend und bezeugte den Todesmarsch als 14-Jähriger. "Dieses Erlebnis hat mein ganzes Leben geprägt", sagt er. "Es ist mir unverständlich, wie so etwas passieren konnte."
Dann setzt sich der Gedenkzug in Bewegung, mit Hope und Holthaus an der Spitze. Mitarbeiter des Badehauses tragen Schilder, auf denen das Wegstrecken-Mahnmal von Hubertus von Pilgrim zu sehen ist: Menschen, die gebückt vorangetrieben werden, in ewiges Metall gegossen. Die Botschaft - "Mitten unter uns" - prangt unter dem Foto und verweist auf das Leid der Gefangenen, das von vielen Bewohnern Geretsrieds und Wolfratshausens bezeugt wurde.
Die Menschen reihen sich hinter Hope und Holthaus ein, manche mit Angehörigen, andere alleine. Zur Linken des Weges verläuft die Bundesstraße, rechts stehen Einfamilienhäuser mit großen Gärten. Manche unterhalten sich leise, andere schreiten schweigsam voran. Nach etwa einer halben Stunde erreicht die Gruppe das Badehaus in Waldram, wo sie von einer Musikgruppe der Musikschule Wolfratshausen empfangen wird.
Im großen Raum unter dem Dach des Erinnerungsortes ist der Andrang groß, nicht jeder findet einen Sitzplatz, es müssen weitere Stühle organisiert werden. Jonathan Coenen, der zweite Vorsitzende des Vereins Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald, begrüßt die Menschen zum zweiten Mal an diesem Tag. "Es ist ein gutes und wichtiges Zeichen, gemeinsam zu gedenken", sagt er. Der Gedenkzug hätte dies getan, indem er einen "kurzen Teil der Wegstrecke des Todesmarschs" passiert habe.
Nachdem Coenen geendet hat, betritt Nick Hope zusammen mit Elisabeth Voigt die Bühne und berichtet von seinen Erfahrungen, die er in der Zeit seiner Gefangenschaft gemacht hat. "Vom Arbeiter zum Sklaven zum Untermenschen" sei er in Dachau geworden. Überstanden habe er die Zeit als Häftling, weil er sich an ein Mantra seines Großvaters erinnert habe: "Geduld, Geduld." Ihm gegenüber sitzen Menschen, die aus den Gräueltaten lernen und in aller Stärke vermeiden wollen, dass sich der Schrecken wiederholt.