Süddeutsche Zeitung

Tiertraining:Da lernen ja die Hühner

Picken, clicken, Belohnung: Die amerikanische Startrainerin Terry Ryan gibt in Sindelsdorf einen viertägigen Hühnerdressurkurs

Von Susanne Hauck, Sindelsdorf

Roter Chip oder blauer Chip? Da muss das Huhn scharf überlegen, das merkt man an seinem aufgeregten Gackern. Gerade war es doch noch so einfach gewesen, da lag nur die rote Plastikscheibe auf dem Tisch, auf die es picken musste. Und plötzlich schiebt sich die blaue Scheibe in sein Blickfeld. Trotzdem hackt es mit dem Schnabel lieber auf Rot. Bingo, das hat gestimmt. Teilnehmerin Sara drückt mit dem Daumen auf eine Art Knackfrosch bei ihrem "Clickerbecher", das akustische Signal bedeutet der weißen Legehenne, dass sie alles gut gemacht hat und sich einmal aus der Futtertasse bedienen darf.

Picken, klicken, Belohnung. So lautet das Erfolgsrezept des "Clickertrainings", das positives Verhalten bestärkt. Aber auch Sara hat alles richtig gemacht. "Ihr" Huhn hat gelernt, die Farben rot und blau zu unterscheiden. Vor gut zwei Stunden konnte das völlig untrainierte Federvieh noch überhaupt nichts, in vier Tagen wird es über Schwebebalken turnen, durch einen Slalom und einen Maschendrahttunnel laufen können.

Vier Tage Hühnerdressurkurs, ganz schön abgefahren, wer braucht denn so etwas. Und will dafür auch noch knapp fünfhundert Euro ausgeben. Sieben Frauen ist es das wert, sie kommen dafür nicht nur aus München und Umgebung, sondern sind bis aus Gießen und sogar aus der Schweiz angereist. Im Eintageskurs davor waren sogar 16 Leute dabei. Es steht schließlich nicht irgendjemand vor ihnen in dem umgebauten Stall in Sindelsdorf, sondern die amerikanische Startrainerin Terry Ryan, die Königin des "Clicker Trainings". Im "Chicken Camp" so der Name des Workshops, geht es eigentlich auch gar nicht darum, Hühnern beizubringen, dass sie zirkusreif einen Parcours absolvieren. Sondern darum, den Kursteilnehmern anschaulich zu machen, dass Lernen - ob beim Tier, ob beim Menschen - nicht mit Autorität und Gehorsam funktioniert, sondern mit Belohnung.

Ryans Botschaft lautet: nur mit deinem Willen kriegst du niemand dazu, sich zu ändern, das funktioniert nur, wenn du gutes Verhalten positiv verstärkst. Die Hühner dienen dazu, die Lerntheorien in die Trainingspraxis umzusetzen. Dass Terry Ryan ein Star unter den Tiertrainern ist und mit ihren Chicken Camps um die ganze Welt reist, sieht man ihr nicht auf den ersten Blick an. Die 71-Jährige trägt Filzclogs, graue Hosen und kariertes Hemd, die Lesebrille steckt in den kurzen Haaren. Seit 50 Jahren arbeitet sie mit Tieren, hat auch schon FBI-Leuten dabei geholfen, mit ihren Hunden besser zu kommunizieren. Weil es für die Teilnehmer immer so umständlich war, mit ihren Tieren anzureisen, kam sie eines Tages auf die Idee, Hühner einzusetzen. Erstens sind sie auch für erfahrene Tierhalter Neuland, so dass jeder die gleiche Basis hat. Und: "Hühner sind eine Herausforderung, denn sie sind unglaublich schnell", erläutert Ryan. "Wackelt nicht zu sehr herum, sondern stellt euch vor, ihr steht wie in Skistiefeln", rät Terry. Es geht darum, keine falschen Signale zu senden. Die Frauen lernen, dass ungenaues Verhalten sofort dazu führt, dass das Tier nicht reagiert.

Ryan versteht es meisterhaft, die Sachen nicht unnötig zu komplizieren und zieht ihren Unterricht routiniert durch, immer 50 Minuten Training, zehn Minuten Pause, dann die nächste Einheit. Die Sprache ist Englisch. Wenn die Teilnehmerinnen fragend schauen, springt Anja Ballwieser ein und übersetzt. Ihr gehört das zum Seminarzentrum umgebaute Bauernhaus, auch sie ist Tiertrainerin und arbeitet viel mit Hunden und Vögeln, die in Kinofilmen mitspielen.

Lernen läuft bei jedem ähnlich ab. Die Belohnung muss aber möglichst schnell mit dem richtigen Verhalten verknüpft sein, nur dann prägt sich etwas ins Gedächtnis ein, das ist beim Menschen nicht anders als beim Tier. Wenn ein Mitarbeiter etwas gut erledigt hat, sollte ihn der Chef am besten direkt loben, anstatt später auf der Weihnachtsfeier eine Rede zu halten.

Die Sindelsdorfer Schülerinnen haben eine andere Motivation. Die meisten möchten ihr Haustier besser verstehen, oder versprechen sich davon, ihre Trainerqualitäten zu verbessern. Nora etwa arbeitet im Tierheim, Brigitte als Katzenpsychologin, Ina bildet Rettungshunde aus, Monika hingegen ist Kommunikationstrainerin für Firmenmitarbeiter. Von Terry Ryan haben sie alle schon gehört und sind extra zu diesem Kurs gekommen. Sie ziehen ein durchweg positives Fazit. Brigitte sagt, dass sie jetzt viel genauer hinschaut, um Situationen schneller analysieren zu können. "Mit Hühnern zu trainieren ist schon sehr exotisch, aber es hat viel gebracht", meint Monika, die findet, dass sich viele Situationen vom Federvieh auf den Menschen übertragen lassen. "Ich habe gelernt, dass es immer besser ist, bei Konflikten einen Cut zu machen, sich rauszunehmen und noch einmal neu zu starten."

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Quelle:
SZ vom 11.06.2018
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