Süddeutsche Zeitung

Tierschutz:Fragwürdiger Abschuss im Schnee

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Weil in der Jachenau Ende Januar trotz Extremwetterlage eine Hirschkuh erlegt wurde, hat Christine Miller vom Verein "Wildes Bayern" Anzeige erstattet. Das Verfahren wurde jedoch eingestellt

Von Benjamin Engel, Jachenau/München

Als vermeintlich unverfängliches und daher beliebtes Small-Talk-Thema gilt das Wetter. Doch mindestens genau so trefflich lässt sich darüber streiten. Zu fragen wäre beispielsweise, wie der vergangene Winter denn nun war: ganz normal wie so manche Alteingesessene aus dem Landkreis behaupten oder doch eher verheerend? Zu Jahresbeginn lag jedenfalls besonders in der Jachenau sehr viel Schnee. Zwischen 10. und 15. Januar hatte das Landratsamt sogar den Katastrophenfall im gesamten Landkreis ausgerufen.

Für Christine Miller war das Grund genug, empört zu sein, als eine Hirschkuh Ende Januar in der Jachenau abgeschossen wurde. In derartigen Notzeiten sei das verboten, argumentierte die Vorsitzende des Vereins "Wildes Bayern" und zeigte den Fall bei der Staatsanwaltschaft München II an. Doch die Behörde stellte das Verfahren bald ein und argumentierte mit dem Wetter. Im vergangenen Winter sei die Schneehöhe gar nicht außergewöhnlich hoch gewesen, so hieß es im Begründungsschreiben. Außerdem hätte das Wild an Futter kommen können. Denn die feuchten Schneemassen seien an steilen Wiesenhängen bis zum Grund abgerutscht, wodurch Gras freigelegt worden sei.

"Das ist so skurril", findet Miller und hat nun bei der Generalstaatsanwaltschaft eine Beschwerde eingereicht. Die Vereinsvorsitzende aus dem Landkreis Miesbach kritisiert, dass sich die Staatsanwaltschaft München II nur auf Aussagen eines einzigen Revierförsters gestützt habe. Zudem habe die untere Jagdbehörde im Tölzer Landratsamt alle Revierinhaber aufgerufen, wegen der extremen Wetterlage nicht zu jagen. Denn zwar darf Rotwild nach dem bayerischen Jagdgesetz bis einschließlich 31. Januar bejagt werden, es unterliegt also im fraglichen Zeitraum keiner Schonzeit. Wegen der extremen Wetterlage hatte die untere Jagdbehörde im Landratsamt allerdings Mitte Januar 2019 alle Revierinhaber aufgerufen, die Jagd einzustellen - ungeachtet dessen, ob der jeweilige Abschussplan schon erfüllt war oder nicht. Der Kreisjagdverband hatte diese Entscheidung ausdrücklich unterstützt.

Christine Miller legt Wert darauf, dass sie und die Vereinsmitglieder bei "Wildes Bayern" keine Jagdgegner seien. "Ziel ist, dass man über den Umgang mit Wildtieren nachdenkt und sensibler wird", sagt die Biologin. Sie kritisiert die aus ihrer Sicht vorherrschende "Anti-Wild-Haltung", wonach möglichst viele Tiere geschossen werden müssten, um Bäume und junge Triebe zu schützen. Die Diskussion, was zu viel sei, werde aus ökonomischen Gründen geführt. Aus ökologischer Sicht müsse mehr darüber debattiert werden.

Für ihre Anzeige hat Miller mit dem Jagd- und Tierschutzgesetz argumentiert. Demnach sei verboten, Wild zu bejagen, das durch Naturkatastrophen in Not geraten sei. Solche Tiere zu erlegen, sei Tierquälerei. Zudem sei die Hirschkuh angekirrt, also mit Futter angelockt und dann abgeschossen worden. "Das entspricht nicht den anerkannten Grundsätzen deutscher Waidgerechtigkeit", sagt Miller.

Ihre Argumentation hält die Vereinsvorsitzende für berechtigt. Weil es plötzlich so stark geschneit habe, hätte das Schalenwild im Tölzer Landkreis die Futterstellen nicht mehr erreichen können. Für alle Wildarten sei es kräftezehrend und existenzbedrohend, sich im Tiefschnee fortzubewegen. Der Zugang zu natürlichen Nahrungsquellen sei so gut wie ausgeschlossen gewesen.

Im Namen ihres Vereins hat Miller im vergangenen Winter insgesamt drei derartige Strafanzeigen gestellt - in der Jachenau, in Berchtesgaden und in Ruhpolding. In den beiden letzteren Fällen ermittle derzeit noch die Polizei, sagt die Biologin. Für die Staatsanwaltschaft München II verstößt der Abschuss in der Jachenau jedoch nicht gegen das Jagdrecht und das Tierschutzgesetz. Dafür seien keine Anhaltspunkte erkennbar, teilt deren Pressesprecherin mit. Der zuständige Ermittler bei der Polizei habe mit dem Revierförster für das Gebiet ausführlich gesprochen. Demnach sei der Katastrophenfall im Landkreis am 15. Januar beendet worden. Darauf beruhe die Einstellung des Verfahrens.

Gleichwohl hatte die untere Jagdbehörde im Tölzer Landratsamt am 16. Januar per Pressemitteilung Rücksicht auf das Wild angemahnt. Die Behörde rief Revierinhaber auf, den Jagdbetrieb einzustellen. Bei der momentanen Schneelage könne Wild nicht zu den Fütterungen kommen, außer es stehe unmittelbar daneben, hieß es in der Bekanntmachung der Behörde. "Es hat sozusagen keinen Boden unter den Läufen und bleibt im Schnee stecken und verendet."

Aus Sicht des Jagdberaters des Landratsamts, Vollrad von Poschinger, sollte Rotwild generell schon von Ende Dezember an nicht mehr gejagt werden. Nur so könnten die Tiere ungestört zu den Wildfütterungen ziehen. Damit würden Schäden an den Bäumen verhindert.

Nach den Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zumindest lagen am 11. Januar in der Jachenau 140 Zentimeter Schnee. Das sei der höchste Wert an genau diesem Tag seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen, teilt Gudrun Mühlbacher von der Münchner DWD-Niederlassung mit. "Für die Zeit von etwa 10. Januar bis Mitte Februar lag vergleichsweise viel Schnee, so dass für diese Zeit schon von einer schneereichen Periode gesprochen werden kann", erklärt die Meteorologin. Während des Januars habe es innerhalb von zehn Tagen in der Jachenau etwa 180 Zentimeter Neuschnee gegeben. Das komme nur alle 20 bis 40 Jahre vor. Allerdings seien die Schneeverhältnisse je nach Höhenlage, Temperatur- und Windeinfluss sowie Niederschlagsmenge im Alpenvorland höchst unterschiedlich gewesen. Die Daten aus der Jachenau ließen sich darum nicht einfach auf den Tölzer Landkreis oder die Region übertragen.

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Quelle:
SZ vom 27.05.2019
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