Technik und Ethik:Die Philosophen vom Pfarrhaus

Bernd Mollerus vom Kulturverein Berg; Friedel und Bernd Mollerus

Blick in die Zukunft: Referent Bernd Mollerus und seine Frau Friedel vom Kulturverein in Berg.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Kulturverein Berg diskutiert über Fragen zur künstlichen Intelligenz

Von Boris Messing

Ein Gläschen Pinot Noir in der Hand und ein Feuerchen im Kamin, dazu ein erdbeersüßes Aperçu auf den Lippen - so in etwa mag sich der Laie eine philosophische Diskussion im trauten Dämmerschein vorstellen. Und was spricht auch dagegen? Klar, ein Klischee, aber das lebt eben auch vom Hauch der Wirklichkeit. Und der riecht halt manchmal nach Weinatem: Ich trinke, also bin ich.

Im Kulturverein Berg macht man's allerdings ganz anders. Es fängt schon mit der Uhrzeit an: Statt sich abends auf ein Gläschen Pinot Noir zu treffen und munter drauflos zu philosophieren, treffen sich die Frauen und Männer des Kulturvereins um 10 Uhr morgens im evangelischen Pfarrhaus in Berg und lauschen einem Vortrag mit anschließender oder begleitender Diskussion.

Diesmal sind es ein gutes Dutzend Senioren, die gekommen sind, um Bernd Mollerus, der über das Thema Ethik und Künstliche Intelligenz (KI) spricht, zuzuhören und über das Thema zu diskutieren. Die meisten von ihnen haben einen akademischen Hintergrund und arbeiteten in gehobenen Positionen: Juristen, Unternehmer, Ingenieure, ein ehemaliger Diplomat und sogar ein Offizier der Luftwaffe. "Ich glaube, so voll wie bei uns ist es sonst nie im Pfarrhaus", kann sich eine ältere Dame nicht verkneifen.

Acht Philosophenrunden gab es heuer im Berger Pfarrhaus, unter anderem mit Gero Zimmermann und Manuel Rühle. Die Diskussionen drehen sich oft um klassische Fragen: Was ist Gerechtigkeit, wie entsteht Wissen, gibt es freien Willen?

Gibt es Freibier? Nein, natürlich nicht. Man tagt in einem Gotteshaus - bei Kaffee und Gebäck und zumal am helllichten Tage. Das war nicht immer so. Als die Berger vor 15 Jahren mit den Gesprächsrunden begonnen hatten, trafen sie sich noch abends im Wirtshaus - auch in der Hoffnung, dass ein paar junge Leute kommen würden. Die blieben und bleiben leider aus. Das macht sich nicht nur an der Haarfarbe bemerkbar, sondern auch an der Peppigkeit der Diskussion - darin sind sich fast alle einig. Ein paar junge Leute würden für frischen Wind sorgen, andere Perspektiven aufzeigen.

Aber am heutigen Tag, wo es um Künstliche Intelligenz geht, fehlt es nicht an Lebendigkeit. Mollerus, 75, der Physik studierte und ein Unternehmen für medizinische Datenverarbeitung gründete, zeichnet ein dystopisches Bild einer Zukunft, die von KI beherrscht wird. Just entspinnt sich eine beherzte Diskussion darüber - Pessimisten versus Optimisten -, die immer wieder in andere, politische Gefilde abdriftet.

"Das passiert öfters", sagt Mollerus, der Diskurs laufe zwar meist zivilisiert ab, aber man verliere sich beim Diskutieren schon mal im Politischen. Seine Frau, Friedel Mollerus, 80, findet das gut. "Ich bin eine Wilde gewesen", sagt sie. Eine linke Achtundsechzigerin sei sie nämlich und immer noch am Glühen. In ihrem langen Leben hat sie schon einige Berufe ausgeübt und lebt in dritter Ehe. Sie könne sich noch gut an die APO-Zeit erinnern und die wilden Diskussionen damals. Das habe ihr gefallen. Aber als man sich dann in der Pause ums Gebäck versammelt, schenkt sie freundlich Kaffee nach und lächelt jeden an - kein Dissens der Welt kann den Kaffeefrieden stören.

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