Im Sommer sieht der Walchensee freundlich aus. Am Ufer liegen Badegäste, Kinder spielen mit aufgeblasenen Delfinen. Doch einige Meter unter der Oberfläche ist der See so kalt und dunkel wie immer. An steilen Felswänden geht es bis zu 200 Meter hinab in unerforschte Tiefen. Sie geben den Menschen seit Jahrhunderten Raum für Gruselgeschichten, wie die des monströsen Wallers auf dem Grund des Sees. Der Raubfisch mit der schleimigen schuppenlosen Haut soll einen riesigen Schwanz haben, mit dem er den Kesselberg durchschlagen und das Oberland überschwemmen könnte.
Unter der Oberfläche verbirgt der Walchensee seine wahren Schätze: Baumstämme im Wasser, Fahrradskelette, die Taucher zusammengetragen haben, ein gesunkenes Boot, überhäuft mit Töpfen und Wannen, Autowracks.
(Foto: Florian Hartmann)An solche Märchen glauben die Taucher an der Basis von Tauchlehrer Michael Hell nicht. Samstags ist viel los, in dem kleinen Raum hinter dem Seehotel Einsiedl füllen Taucher ihre Druckluftflaschen. Bis zu tausend Taucher kommen im Hochsommer monatlich, schätzt Hell. Sie kommen wegen der berühmten Steilwände, wegen der Autowracks, mindestens fünf sollen im See verrosten, wegen der Munition, die die Amerikaner hier versenkt haben.
Nach dem legendären Reichsbank-Gold oder den Zinnfiguren des Nationalsozialisten Colin Ross, der 1945 am Walchensee Selbstmord beging, sucht zwar heute niemand mehr. Dafür aber nach den kuriosen Unterwasserlandschaften, die Taucher aus Fundstücken aufgebaut haben.
Wer zu ihnen hinunter will, muss vorher durch eine strenge Schule. Hells Schüler Angie und ihr Schwager, den alle nur Stangerl nennen, schlüpfen vor der Basis in ihre Taucheranzüge. Angie ist angespannt, denn Tauchlehrer Hell bereitet ihre letzte Übung für den Tauchschein vor. Er misst ein zehn Meter langes Seil ab. An das eine Ende knotet er eine Boje, an das andere einen Stein, der unter der Boje ins Wasser hängen wird. Bis zu ihm sollen die Schüler hinunter tauchen. Auf dem Rückweg müssen sie drei Meter unter der Oberfläche regungslos stehen bleiben. Auftrieb und Absinken können sie dann nur steuern, indem sie Luft in ihre Tauchweste, ihr "Jacket" blasen oder herauslassen.
Eine wichtige Übung, denn wer zu schnell auftaucht, riskiert sein Leben. In tieferem Wasser ist der Taucher einem höheren Druck ausgesetzt. Dadurch löst sich mehr Stickstoff im Blut, der nur abgebaut werden kann, wenn man entsprechend langsam nach oben steigt. Andernfalls bilden sich Stickstoffbläschen, ähnlich wie beim Öffnen einer Sprudelflasche, die den Blutkreislauf stören und das Gewebe, womöglich Herz oder Lunge schädigen. Der Taucher spürt Krämpfe, Lähmungen und wird bewusstlos.
Doch solange sich Taucher an alle Regeln halten, kann nichts passieren, sagt Hell. Er trichtert seinen Schülern ein, nie alleine ins Wasser zu gehen und ihre Ausrüstung vor jedem Tauchgang zu überprüfen. "Bei uns löst er heimlich die Schläuche um zu testen, ob es uns auffällt", sagt Stangerl. Dann schleppen sich die drei in ihrer Ausrüstung an den Badegästen vorbei ins Wasser.
In der Basis zeigt Florian Hartmann inzwischen seine Unterwasseraufnahmen auf dem PC. Hartmann ist technischer Taucher, er mischt sich selbst verschiedene Gase zusammen, um tiefer und länger ins Wasser gehen zu können. Seit einigen Jahren nimmt er seine Kamera mit.