Süddeutsche Zeitung

Tassilo-Preis:Die Spielbereiterin

Aja von Lerchenhorst macht seit 37 Jahren Theater mit Kindern und Jugendlichen. Sie schreibt, komponiert und genießt es, wenn ihre Schützlinge sich "freispielen".

Von Petra Schneider, Kochel am See

Manchmal schleicht sich das Wörtchen "krass" in die Sätze von Aja von Lerchenhorst. Wenn sie zum Beispiel von jenem Mädchen aus dem Dorf erzählt, das kaum lesen, sich aber auf der Bühne wunderbar "freispielen" konnte. "Das ist so krass gewesen, das zu beobachten", sagt sie dann. Wer seit 37 Jahren Theater mit Kindern und Jugendlichen macht, ist nah dran an der Sprache und Lebenswirklichkeit junger Menschen.

So richtig krass passen will das flapsige Wort aber irgendwie nicht zu dieser feinen Person, die um Himmels Willen kein Aufhebens um sich machen will. "Ich bin ein schüchterner Mensch und schicke lieber die Kinder vor", sagt die 67-Jährige und lacht ein mädchenhaftes Lachen.

Persönlichkeit entfalten und Kreativität ausleben

Seit der Gründung des "Rieder Kindertheaters" sind gut 300 Kinder und Jugendliche durch ihre Hände gegangen. Kinder aus Ried und den umliegenden Dörfern, aus Kochel, Bichl oder Benediktbeuern. Jeder ab zehn Jahren kann mitmachen, die meisten bleiben drei Jahre in der Gruppe. Jedes Jahr gibt es eine Inszenierung; Klassiker wie die "Bremer Stadtmusikanten" und "Pünktchen und Anton" waren dabei, "Momo" oder "Herr der Diebe".

Die jährlich etwa zehn Aufführungen finden an unterschiedlichen Spielorten statt, in einer Scheune beim Rieder Kinderfest, im Zentrum für Umwelt und Kultur in Benediktbeuern oder im Kursaal in Bad Heilbrunn. Von Lerchenhorst inszeniert vorliegende Kinderstücke, dramatisiert Jugendliteratur oder schreibt gleich eigene Stücke: "Paul" zum Beispiel, über einen schlechten Schüler, der Jonglieren lernt und dadurch Selbstbewusstsein gewinnt.

Theaterspielen biete Kindern die Möglichkeit, ihre Persönlichkeit zu entfalten und ihre Kreativität auszuleben, sagt von Lerchenhorst. Stücke, die ihr gefallen, müssten eine "Aussage haben", mit der Kinder etwas anfangen könnten. "Und eine Poesie". Wie das Stück, das sie heuer einstudiert: "Eine Nachtlegende" von Paul Biegel. Die wöchentlichen Proben finden in der ehemaligen Tenne ihres alten Bauernhauses im Kochler Ortsteil Ried statt. Es ist das Haus ihres Großvaters, des Kunsthistorikers Fritz Burger, der mit Franz Marc befreundet war.

Aja von Lerchenhorst liebt Musik. Sie hat in München und Nürnberg Gesang studiert. Für jede Rolle komponiert sie ein Stück. Ein Lied, eine Woche, lautet ihre zeitliche Gleichung. Für das Umschreiben der Texte braucht sie ungefähr sechs Wochen. Wenn sie ein Buch gepackt hat, schreibt sie die Bühnenfassung in einem Rutsch, oft nachts im Bett.

Die Frage, wie viel Zeit sie in das Rieder Kindertheater investiert, kann sie gar nicht beantworten. Von Weihnachten bis November gehe das durch. "Ein Lebensjob" sei das, unbezahlt und ehrenamtlich. So sehr sie die Musik und das Theater liebt - selbst auf einer Bühne vor Publikum zu stehen, dazu sei sie einfach zu schüchtern. Also hat sie umgesattelt, Lehramt studiert und an der Königsdorfer Volksschule unterrichtet. Als die eigenen Kinder kamen, drei inzwischen erwachsene Töchter, hat sie aufgehört und mit Kindertheater angefangen.

Sie erinnert sich noch gut, wie sie damals Zettel am Spielplatz in Ried aufgehängt hat und ein paar neugierige Bauernbuben zu den Proben kamen. Dass die Dorfkinder mal raus kommen aus ihrem Ort, das sei damals auch so ein Anliegen gewesen, sagt sie. Deshalb habe von Anfang an eine einwöchige Probenfahrt in den Pfingstferien zum Konzept gehört. Die erste Fahrt ging nach Innsbruck, die Kinder spielten das Stück "Schule mit Clowns" mitten auf der Straße. "Das war schon ein besonderes Erlebnis."

Ohne Unterstützung geht es nicht

Ohne Einsatz geht es freilich nicht. Wer mitmachen will, muss jede Woche zu den Proben kommen und seinen Text lernen. Von Lerchenhorst arbeitet viel mit Improvisation, Szenen, die die Kinder spontan spielen sollen. "Sie lieben das", sagt die Regisseurin. Und sie liebt es zu sehen, wie die Kinder in das "Experiment Theater immer mehr reinwachsen". Wie Theater für Kinder funktioniert, vermittelt sie auch Studenten der Sozialen Arbeit an der Stiftungsfachhochschule in Benediktbeuern.

Das Rieder Kindertheater aber ist Aja von Lerchenhorsts Baby. Ohne Unterstützung gehe es freilich nicht, sagt sie: Mütter und Väter, ehemalige "Theaterkinder", die sich um Bühne, Kostüme und Plakate kümmern. Eine Nachbarin, seit Jahren als Souffleuse im Einsatz, und natürlich ihr Mann. Viel Arbeit macht das Theater, aber auch viel Freude. "Ich brauche das", sagt von Lerchenhorst. "Das ist mein Leben."

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Quelle:
SZ vom 28.05.2016/bica
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