Tassilo-Preis:Die Föhrenwalderin

Tassilo Preis 2016

Vor fünf Jahren saß Eva Greif schon einmal für ein Foto hier: Damals machte sie darauf aufmerksam, dass das Badehaus abgerissen werden sollte.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Nach dem Holocaust entstand im Wolfratshauser Forst ein Lager für jüdische Displaced Persons. Die Lehrerin Eva Greif aus Waldram trägt dazu bei, das Badehaus zu retten - um dort eine Begegnungsstätte einzurichten.

Von Felicitas Amler, Wolfratshausen

Eva Greif ist eine Waldramerin durch und durch. Eigentlich eine Föhrenwalderin. Auch wenn es Föhrenwald als Ort nicht mehr gibt - in der Deutsch- und Geschichtslehrerin lebt er weiter. Das Schtetl mitten im bayerischen Oberland, das Jiddische, der Überlebenswille der Menschen, die hier nach dem Holocaust wohnten, arbeiteten, ihre Kultur pflegten und Kinder großzogen - all das fasziniert und berührt sie stark. Eva Greif liebt dieses Stückchen Welt, das 1945 aus einer Nazi-Siedlung für Rüstungsarbeiter im Wolfratshauser Forst in ein Lager für jüdische Displaced Persons (DP) verwandelt wurde und von 1956 an unter dem Namen Waldram katholischen Vertriebenenfamilien zur neuen Heimat wurde.

Persönlich ist sie doppelt mit Föhrenwald-Waldram verbunden: Ihre Mutter war in der NS-Zeit als Dienstverpflichtete im Büro der Rüstungsverwaltung beschäftigt; nach dem Krieg zog die junge Familie - die Mutter aus Wasserburg, der Vater aus dem Egerland - nach Waldram. Eva Greif selbst lebt nach einer Zeit eigener Familiengründung seit 2004 wieder dort. In einem der typischen spitzgiebeligen Häuser.

Und nun hat sie die Aufgabe, in der Dokumentations- und Begegnungsstätte, die im Badehaus am Kolpingplatz eingerichtet wird, den Raum über die jüdische DP-Zeit zu schaffen. Greif ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der "Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald", eines Vereins, den es ohne sie wohl gar nicht gäbe. Auch wenn sie dergleichen Einschätzungen ihrer eigenen Leistung eher zögerlich akzeptiert. Man soll bitte nicht schreiben, sie sei "die Retterin des Badehauses", sagt sie: "Ich bin nur die Mit-Retterin."

Tatsächlich hat Eva Greif im Jahr 2007 zusammen mit Sissy Mayrhofer, Sabine Henschelchen und Maria Mannes die Arbeitsgruppe Föhrenwald gegründet. Dieser kleine Kreis Ehrenamtlicher wollte die wechselvolle Geschichte des Orts näher erforschen, bewahren und erkennbar machen. "Man sah ja nichts", sagt Greif. So wurde auf Initiative der Frauen eine Hinweistafel am Ortseingang installiert, Kontakte zu Zeitzeugen vertieften sich, und vor allem wuchs das Bewusstsein dafür, welch wichtiger Ort Föhrenwald-Waldram ist, wo sich drei elementare Phasen deutscher Geschichte manifestieren.

Das war nötig. Denn so sehr "Föhrenwald" in der gesamten jüdischen Welt ein Begriff ist, so wenig wusste man ihn am Ort des Geschehens einzuschätzen. Das Erzbischöfliche Ordinariat München plante vor fünf Jahren, im Umgriff des Seminars Sankt Matthias in Waldram Wohnhäuser bauen zu lassen, um so einen Neubau der Schule zu finanzieren. Dafür musste Platz geschaffen werden, und so sollte auch das Badehaus verschwinden. Dass sich darin einst eine Mikwe, ein jüdisches Ritualbad befunden hatte, wusste man offenbar weder im Wolfratshauser Rathaus noch im Münchner Ordinariat.

Es ist Eva Greifs Beharrlichkeit, ihrer Arbeitsgruppe und dem Historischen Verein Wolfratshausen, dem sie sich mittlerweile angeschlossen hatte, zu verdanken, dass das Badehaus heute noch steht. Um es herum sind längst die neuen Wohnungen errichtet worden.

Und schon 2011, als die SZ Bad Tölz-Wolfratshausen erstmals über die Initiative zur Rettung des geschichtsträchtigen Hauses berichtete, sprach Eva Greif davon, dort könnte idealerweise ein Museum entstehen. Dies geschieht nun, und die überzeugte Waldramerin kann ihr ganzes Wissen einbringen. Sie hat schon früher als Geschichtslehrerin am Gymnasium Geretsried zusammen mit Schülern über dieses Thema gearbeitet, hat mit der Arbeitsgruppe Material für eine bedeutende Föhrenwald-Ausstellung im Jüdischen Museum München zusammengetragen und Kontakte zu Zeitzeugen wie Lea Fleischmann, Rachel Salamander und anderen gepflegt. Nun recherchiert sie intensiv im Archiv der Stadt Wolfratshausen, im Staatsarchiv, in Yad Vashem und im Internet.

Einmal im Monat treffen sich die Mitglieder der Dokumentationsgruppe fürs Badehaus und tauschen ihre Erkenntnisse über die einzelnen Kapitel aus: Zwangsarbeiter und Dienstverpflichtete; Todesmarsch; Nichtjüdische DP-Zeit; Jüdische DP-Zeit; Mikwe, Heimatvertriebene und Siedler. Einen ganzen Tag dauere das gewöhnlich, erzählt Greif.

2017 soll die neue Gedenkstätte eröffnet werden. Von da an wird jedermann eintauchen können in jene Welt, die Eva Greif so anziehend findet: das Schtetl auf Zeit, das Föhrenwald einst war. Wo alle Jiddisch sprachen und die Lieder kannten, die sie heute nachsingt, wie "Dos Kelbl" - den meisten bekannt als Donovan-Song "Dona, Dona" - oder das jiddische Partisanenlied "Sog nit kejnmol". "Sage niemals, dass du den letzten Weg gehst, wenn auch bleierner Himmel den blauen Tag verdeckt", heißt es darin. Und Eva Greif sagt dazu: "Was mich so ergreift, ist dieser Mut zu leben, dieser Wille weiterzumachen." Der zeige sich eben auch in Föhrenwald, wo so viele Kinder geboren wurden: "Geboren als Hoffnung."

Vorschläge für den Tassilo-Preis können per Post, Fax oder E-Mail an die Lokalredaktion der SZ Bad Tölz-Wolfratshausen geschickt werden: Untermarkt 2, 82515 Wolfratshausen, Mail: tassilo@sueddeutsche.de, Fax 089/2183-96-8753. Einsendeschluss ist Samstag, 21. Mai.

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