Tassilo:Con bravura

Lesezeit: 3 Min.

Andrea Fessmann leitet das Konzert in Iffeldorf. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Kandidatin für den SZ-Kulturpreis: Die Chorgründerin, Sängerin, Dirigentin und Musiklehrerin Andrea Fessmann lässt sich auch in Zeiten der Pandemie nicht davon abhalten, das schier Unmögliche möglich zu machen

Von Paul Schäufele, Iffeldorf

Wer mit Andrea Fessmann spricht, den könnte schnell ein gewisser Verdacht beschleichen: Dass es Menschen gibt, für die manche Naturgesetze nur eingeschränkt gelten. Denn obwohl die Welt seit mehr als einem Jahr pandemisch gelähmt ist, bleibt Andrea Fessmanns musikalischer Betätigungsdrang ungebremst; und obwohl aller Wahrscheinlichkeit nach auch ihr Tag nur vierundzwanzig Stunden zählt, leitet die Tölzerin vier Chöre, musiziert im Ensemble, gibt Unterricht, zum Beispiel an der Münchner Musikhochschule, und organisiert mit den Iffeldorfer Meisterkonzerten eine überregional geschätzte Konzertreihe.

Vielleicht kommt Fessmanns unbändige Energie, die sich auch bei jedem Konzert auf das Publikum überträgt, aus ihrer Fähigkeit, auf den ersten Blick entfernte Dinge miteinander zu verbinden. Für sie ist Musik nicht einfach schwingende Luft, sondern ein Phänomen, an dem Körper, Geist und Seele gleichermaßen teilhaben. "Damit habe ich das Rad nicht neu erfunden", meint sie selbst, doch immer noch verbeißen sich Musizierende regelmäßig in ein Ideal, ohne auf die Signale ihres Körpers zu achten. Verspannung und Stress sind die Folge. Den Studierenden an der Musikhochschule in München vermittelt Fessmann deshalb mit der sogenannten Alexander-Technik Wege zu einem entspannten, entkrampften Musizieren. Wenn man ihr zuhört, wie sie von ihrem Unterricht erzählt - und auch das tut sie beschwingt und lebhaft - wird einem klar, dass es dabei nicht nur um Musik geht, sondern dass dieser Zugang zum Musizieren auch ein Zugang zur Welt ist. "Wir müssen lernen, weniger Angst zu haben; weniger Angst, etwas falsch zu machen und zu versagen", so fasst Fessmann zusammen. Das ist ihre Devise, wenn es darum geht, einen Ton zu singen, aber auch überall sonst.

In ihrem Leben gab es mehrere Momente, in denen Fessmann eine Schwelle überwinden musste. Denn ihr war die Musikerinnen-Karriere keineswegs in die Wiege gelegt. Die Familie besaß ein Hotel, und so ließ sich Andrea Fessmann zunächst in diesem Bereich ausbilden, wusste aber schon, dass die Musik für sie der interessantere Weg ist - nicht jeder hat schon mit siebzehn Jahren einen eigenen Chor gegründet. Studien in verschiedenen musikalischen Fächern (Gesang, Chorleitung, Didaktik) bringen die Fähigkeiten auf ein solides Fundament.

Davon profitiert sie heute noch, sei es als Sängerin, etwa im Konzertchor des Bayerischen Rundfunks oder im Ensemble Laetare. Die Gruppe nutzt die Klanglichkeit von Steinen, die ihr Mann Klaus Fessmann mit den Händen bespielt. So entsteht ein geradezu unwirklicher Ton aus bloßer Berührung. Ihre Begeisterung als Chorleiterin kommt seit 2002 dem Chor Klangkunst  zugute.

Am Anfang ein Wagnis

Auch hier stand am Anfang ein Wagnis. Andrea Fessmann hatte sich in den Kopf gesetzt, Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium aufzuführen. Das wirkte, angesichts der spärlichen Erfahrung der Musizierenden mit den komplexen Schönheiten des dramatisch-geistlichen Barock-Brockens, zumindest gewagt, wurde dann aber ein großer Erfolg. In den fast zwanzig Jahren seines Bestehens hat sich der Chor kontinuierlich weiterentwickelt, ohne dabei den Zug ins Spielerische, Experimentelle zu verlieren.

Diese Flexibilität kam dem Ensemble in Zeiten physischer Distanzierung sehr zugute. Kreativ hat Fessmann es verstanden, während der Pandemie Wege zu finden, mit denen die Musik am Leben erhalten werden kann - jüngst mit dem Vorschlag eines Modellkonzepts für die Meisterkonzerte in Iffeldorf. Seit 2010 leitet sie diese Konzertreihe und verbindet den hohen Anspruch der Veranstaltung mit ihrer Vorliebe für musikalische Vielfalt, das einzige Kriterium ist Qualität. Deshalb spielen hier die Renaissance-Spezialisten von La Danserye neben Künstlern wie Patricia Kopatchinskaja oder Christian Tetzlaff.

Und natürlich kann sie auch ihre Chöre nicht allein lassen in dieser Zeit. Um die Gesangsqualität zu bewahren und auch den Gruppengeist zu füttern, hält Fessmann Proben als Videokonferenz ab, was inzwischen, nachdem unterschiedliche Programme erprobt wurden, ganz gut klappt. Aus der Not eine Tugend machend, hat sie das flexible Digital-Format auch genutzt, um Nicht-Choristen zum Ensemblegesang zu animieren: Beim "Offenen Singen" waren alle willkommen.

Brandbrief an die Regierung

Dennoch hofft Fessmann darauf, bald wieder al fresco mit ihren Chören probieren zu können. Dass das im vergangenen Jahr hin und wieder möglich war, lag zu einem nicht geringen Teil an ihrem Engagement. Im Mai meldete sie eine Versammlung hinter dem Iffeldorfer Rathaus an, die dann sehr an eine Chorprobe erinnerte. Auch überregional engagierte sie sich mit Gleichgesinnten. Ein Brandbrief an die bayerische Staatsregierung wurde formuliert, Demonstrationen auf dem Münchner Odeons- und Königsplatz sollten ein Signal setzen: Ohne Kultur wird's still. So entwickelte sich aus einer Demonstration auf dem Königsplatz eine symbolträchtige Aufführung von Mozarts Requiem.

Dass auch unter widrigen Bedingungen exzellente Musik entstehen kann, haben die Iffeldorfer vergangenen Sommer bewiesen. Eine hinreißende Aufführung der Carmina Burana haben sie präsentiert, unter freiem Himmel, "uf dem Anger", wie es bei Carl Orff heißt. Das war in der Verbindung von pastoraler Kulisse und gekonntem, mitreißendem Musizieren so überzeugend, dass Ausschnitte der Aufführung Eingang in eine kleine Dokumentation des deutsch-französischen Fernsehsenders Arte gefunden haben.

Wie jedes Projekt, das Fessmann in Angriff nimmt, war auch dieses eine Variation zur Frage: Was ist möglich? Was kann ich erreichen? Die Resultate sprechen für sich: Auch während der Pandemie lässt sich großes Chortheater inszenieren, an den Osterseen können Weltklasse-Konzerte stattfinden, und ja, mit diesem Zugriff werden auch Steine zum Klingen gebracht.

Wenn Sie eine Kandidatin oder einen Kandidaten für den SZ-Kulturpreis vorschlagen wollen, schreiben Sie bitte bis 30. April eine E-Mail an tassilo@sz.de

© SZ vom 10.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: