Süddeutsche Zeitung

SZ-Kulturpreis Tassilo:Form und Verfremdung in Bronze gegossen

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Bildhauerin Antonia Leitner schafft faszinierende Objekte aus einem Material, das sie "spannender" als Holz findet. Sie ist Schülerin von Otto Wesendonck.

Von Petra Schneider, Reichersbeuern

Antonia Leitner war Anfang 20, als sie beschloss, auf finanzielle Sicherheit zu verzichten und freischaffende Bildhauerin zu werden. "Ich habe nie darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen", sagt die heute 30-Jährige. Ihre Kunst entspringt einer schweißtreibenden Arbeit, das Material, für das sie brennt, ist Bronze. Ihre Objekte orientieren sich an der Natur: Muscheln, Feuersteine, fischähnliche Formen, die sich ineinander schmiegen, knochenartige Strukturen, gebürstete Objekte, die wie aufgebrochene Früchte aussehen. Manchmal wirkt das kühle, glänzende Material beinah weich. Anders als Holz, das Leitner "nicht so spannend" findet, sind ihre Bronzen weder Veränderung noch Verfall unterworfen.

Ihr Meisterstück ist eine Installation, mit der sie ihr fünfjähriges Bildhauerstudium abgeschlossen hat: "Apate", die Täuschung, nach einer Figur aus der griechischen Mythologie. Ein faszinierendes Kunstwerk, das seine Wirkung erst in der Interaktion mit dem Betrachter entfaltet. Mit dessen Bewegung vor einem Hohlspiegel vervielfältigt sich ein glänzendes, tropfenförmiges Objekt. Die Spiegelungen verschmelzen zu neuen Formen oder offenbaren den auf der Rückseite zerklüfteten Kern.

Ihre Kunst müsse "spannend sein", sagt Leitner, Vertrautes verfremden und die Wahrnehmung herausfordern. Ihre Objekte entwickelt sie nicht aus Skizzen auf dem Papier, sondern aus Gipsmodellen, die sie so lange bearbeitet, bis sie damit zufrieden ist. Das kann oft Monate dauern.

Schon in der Grundschule habe sie entschieden, dass sie Steinmetzin werden will, erzählt sie. Woher dieser ungewöhnliche Berufswunsch kam? So genau kann sie das gar nicht sagen, vielleicht, weil es in ihrem Bekanntenkreis eine Steinmetzin gab. Leitner überzeugte ihre Eltern und absolvierte eine Lehre bei einem Betrieb in Bad Tölz. Weil ihr in der Ausbildung das Künstlerische gefehlt habe, ging sie anschließend auf die Rainer-Werner-Fassbinder-Fachoberschule für Gestaltung in München und machte ein Praktikum bei dem renommierten Bildhauer Otto Wesendonck. Aus einem halbjährigen Praktikum sind inzwischen zwölf Jahre geworden, in denen die beiden gemeinsam auf dem Meserhof in Waakirchen arbeiten, einem mehr als 400 Jahre alten Bauernhof mit eigener Gießerei. "Von Otto habe ich alles über die Arbeit mit Bronze gelernt", sagt Leitner. Wesendonck, der selbst keine Kinder hat, hat seine Schülerin inzwischen als Erbin eingesetzt, "damit der Meserhof als Kunstort erhalten bleibt".

Als sie sich 2012 an der Kunstakademie in München bewarb, wurde sie auf Anhieb genommen. Sie sei dort eher eine Außenseiterin gewesen, erzählt Leitner. "Viele Kommilitonen finden Bildhauerei nicht mehr zeitgemäß." Denn aktuell werde eher konzeptuell gearbeitet, die Aussage eines Kunstwerks für wichtiger befunden als dessen Umsetzung. Leitner findet diese zeitgenössischen Strömungen "auch spannend", aber das Handwerkliche sei ihr wichtig. Sie arbeitet nach dem Prinzip "nicht zu viel vorausdenken, sondern einfach schauen, was passiert". Nicht in einem Thema gefangen bleiben, sondern auch dem Zufall Raum geben. Die Bronzebildhauerei bietet dafür Möglichkeiten, denn im Arbeitsprozess müssen diverse Schritte durchlaufen werden. "Es ist eine langwierige und dreckige Arbeit", sagt die zierliche Künstlerin, die man sich gar nicht so recht an einem Schmelzofen vorstellen kann.

Leitner ist eine in sich ruhende Person. Aber wenn sie von der Entstehung ihrer Plastiken erzählt - von Gipsnegativformen, Wachshäuten, Hohlräumen, Gipsmassen und der Bronze, die schließlich bei 1150 Grad gegossen wird - dann sprudelt sie. Organische Formen und optische Verfremdungen, das sind die beiden Pole, zwischen denen sich Leitners Schaffen bewegt. Zurzeit experimentiert sie mit dem "3D Mirascope" aus einem Kinderspielkasten. Eine spannende Sache, die physikalisch kompliziert ist und optische Täuschungen erzeugt.

Die Corona-Jahre waren für Leitner eine produktive und auch in finanzieller Hinsicht erfolgreiche Zeit. Sie hat einige Objekte verkauft und wurde 2020 mit dem Kunstförderpreis des Landkreises ausgezeichnet. 2021 nahm sie an der Ausstellung der Kunstvereinigung Lenggries teil, 2022 wurde ihre Bronze-Plastik als Preis für den Kulturpreis der Stadt Geretsried ausgewählt. Ende Dezember ging die Gemeinschaftsausstellung "Unlimited" mit dem Maler Heinz Stoewer im Tölzer Stadtmuseum zu Ende.

Aktuell ist sie mit dem Modell für eine Großinstallation für den Neubau des Unternehmens Roche in Penzberg beschäftigt. An dem Wettbewerb nehmen noch vier Künstlerinnen und Künstler aus München und der Schweiz teil, und dass Roche auf sie zugekommen sei, habe sie überrascht und gefreut. Eine Installation für einen "Riesenraum" zu schaffen, der zwei Gebäudekomplexe verbinde, das wäre eine "wahnsinnig spannende Aufgabe". Ebenfalls in Arbeit sind zwei große Skulpturen, die sie bei einer Ausstellung im Spätsommer auf Burg Ranfels im Bayerischen Wald zeigen wird. Die Kuratorin sei von ihren Spiegelinstallationen begeistert gewesen und habe sie eingeladen, erzählt Leitner. Das positive Feedback der vergangen Jahren gebe viel Energie. Aber ausruhen könne man sich als freischaffende Künstlerin nie. "Ich bin vorsichtig und rechne viel."

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