SZ-Adventskalender:"Wir unterstützen jede Woche an die 600 Menschen"

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Viele helfende Hände sind an der Tafel nötig. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bei der Tafel in Bad Tölz hat der Andrang enorm zugenommen. Das liegt an den ukrainischen Flüchtlingen, aber auch an wachsender Not Einheimischer. Geldspenden sind erforderlich, um den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Schon eine halbe Stunde vor der Lebensmittelausgabe der Tölzer Tafel kommen die Ersten: Ältere Frauen, eine Afrikanerin mit ihrem Baby im Tragetuch, Männer in Grüppchen, die noch eine Zigarette rauchen. Dick eingemummte Kinder tollen auf dem Vorplatz der Südschule, gedämpftes Sprachengewirr ist zu hören. In den vergangenen Monaten hat die Zahl der Menschen an der Ausgabestelle zugenommen, sehr zugenommen. Statt bisher 90 sind es nun etwa 190 Bedürftige und deren Familien, die jeden Samstag gratis mit Lebensmitteln unterstützt werden.

Zu den Wartenden gehören an diesem kalten Adventssamstag auch drei Frauen aus der Ukraine. Sie sind vor acht Monaten mit ihren Kindern aus der Nähe von Mykolaiv geflohen, ihre Männer sind geblieben. Die Frauen haben einen Deutschkurs gemacht und können sich bereits ein bisschen verständigen. Eine von ihnen hat eine Wohnung und einen Minijob als Näherin bei einer kleinen Firma in Greiling gefunden. Die anderen beiden sind bei Tölzer Familien untergekommen. Die Ukrainerinnen kommen jeden Samstag zur Tafel. "Das ist große Hilfe", sagen sie und lächeln. Sie wollen zurück in ihre Heimat, aber erst wenn der Krieg zu Ende ist. Denn dort gebe es momentan nichts. "Kein Strom, kein Wasser, keine Heizung."

Die Anzahl der Wartenden hat stark zugenommen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Drinnen, auf den Sitzstufen in der Aula, sind grüne Kisten mit Lebensmitteln in langen Reihen aufgebaut. "Wir unterstützen jede Woche an die 600 Menschen", sagt Astrid Orthey, eine der 80 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der Tölzer Tafel, die heuer 20-jähriges Bestehen feiert. Seit August ist die freiberufliche Mediatorin Mitglied im vierköpfigen Leitungsteam, dem ausschließlich Frauen angehören. Im Jahr 2015, als viele Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan, aus Eritrea oder Somalia kamen, sei die Zahl der Tafel-Kunden zwischenzeitlich stark gestiegen. Seit dem Krieg in der Ukraine hat sie sich mehr als verdoppelt.

"Wir haben 100 Prozent Zuwachs durch die ukrainischen Flüchtlinge", sagt Orthey. Auch bei den Einheimischen steigt der Anteil Bedürftiger. Lebensmittel, Heizung, Sprit - das Leben ist teuer geworden. "Wir merken, dass Leute an der Schwelle, die länger nicht gekommen sind, jetzt wieder hier sind", sagt Orthey. Frauen mit kleiner Rente, Alleinerziehende, Großfamilien, für die es ohnehin knapp war und die nun in existenzielle Not geraten sind. Wegschicken mussten sie in Tölz bisher niemanden. "Es ist unser Ziel, dass jeder etwas bekommt", sagt Orthey.

Was den Tafeln zu schaffen macht, ist, dass die Bedürftigen mehr werden und zugleich die Lebensmittelspenden weniger. Denn Supermärkte und Discounter kalkulierten besser oder starteten eigene Sonderaktionen. Mit Geldspenden werde deshalb nicht nur das Benzin für das Tafel-Auto finanziert, mit dem die Fahrer dreimal wöchentlich Lebensmittel zwischen Straßlach, Bad Tölz und Piding abholen. Geld ist auch nötig, um Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Reis oder Linsen zuzukaufen, die immer Mangelware sind, weil sie lange halten und deshalb von den Supermärkten regulär verkauft werden können. "Für uns sind Geldspenden eine Riesenunterstützung", sagt Orthey. Es stehe ein harter Winter bevor, "die Tafel-Abnehmer werden bestimmt nicht weniger". Das Zukaufen von Lebensmitteln entspreche zwar eigentlich nicht der Tafel-Philosophie, aber anders gehe es momentan kaum.

Die gemeinnützige Hilfsorganisation, die es seit 1993 in Deutschland gibt, verteilt an Bedürftige Lebensmittel, die noch gut sind, aber trotzdem weggeworfen würden. Weil das Mindesthaltbarkeitsdatum gerade erreicht oder überschritten ist, weil sie falsch etikettiert sind oder einfach zu viel bestellt wurde. In Deutschland landen so jährlich etwa 13 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Die Tafeln retten 265.000 Tonnen und geben sie an arme Menschen weiter - zu denen erschreckend viele Kinder und Jugendliche gehören. Laut Zahlen der Tafeln von 2020 machen sie rund 30 Prozent aus.

Berechtigt ist, wer Sozialhilfe oder Hartz IV, künftig "Bürgergeld", bekommt. Das Landratsamt prüft die finanzielle Situation und stellt eine Sozialcard aus. "Es kommt niemand zur Tafel, weil ihm langweilig ist", betont Orthey. "Die Leute brauchen das wirklich." Als im Frühjahr die ukrainischen Flüchtlinge kamen, startete die Tölzer Tafel einen Hilferuf. Mit Erfolg, denn 25 neue Helferinnen und Helfer hätten sich gemeldet, auch Jüngere unter 50. Seit wegen Corona die Ausgabe in der Lettenholzschule geschlossen wurde, müssen alle Tafel-Kunden in die Südschule kommen, die Ausgabe erfolgt in vier Schichten.

Gut 20 Helfer sind an den Samstagen im Einsatz, jeweils zwei bis drei Stunden. Wegen Corona wurde das Ausgabesystem umgestellt, um Gedränge zu vermeiden. Statt des "Supermarktprinzips", bei dem Tafelkunden auswählen konnten, verteilen die Helfer die Lebensmittel nun auf Kisten unterschiedlicher Größe, vom Einpersonenhalt bis zur Großfamilie. Salat, Joghurt, H-Milch, Nudeln, Drogerieartikel. "Jeder kriegt das Gleiche", sagt Orthey. In einer "Tauschkiste" können die Leute aussortieren, was sie nicht brauchen oder mögen. Brot und Semmeln, Fleisch, Wurst und Tiefkühl-Pizza, die das Geretsrieder Unternehmen Gustavo Gusto jede Woche spendet, können zusätzlich ausgewählt werden.

Eine Zusatzspende von Uli Hoeneß

Am ersten Adventssamstag wird eine ganze Wagenladung Lebensmittel verteilt, die die Grundschule Reichersbeuern gesammelt hat. Auch einen prominenten Spender gibt es: Uli Hoeneß hat lagenweise eingeschweißte Bratwürste an die Tölzer Tafel geschickt.

Heidi Dodenhöft, Leiterin der Grundschule Reichersbeuern, spendete mit den Schülern der Grundschule Essen und 1000 Euro, die sie in ihrer Schule in einer Charity-Aktion erwirtschaften konnten. Nellie, Seppi und Daniela (von links) wurden zur Essensausgabe eingeladen, um den Schülern ihrer Schule von dieser Aktion zu berichten. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Um 17 Uhr greift Orthey zum Mikro und ruft nach dem Zufallsprinzip Nummern der "Tafelkarten" auf, mit denen die Leute zuvor registriert wurden. Alles läuft ruhig und geordnet. "Hello", sagt Helferin Karin Fricke freundlich. "Möchten Sie Schwein?" No, no porc, sagt der junge Muslim, aber eine Margherita-Pizza nehme er gerne. Es gebe immer mal Leute, "die denken, sie kommen zu kurz", sagt Orthey. Aber die Allermeisten seien einfach sehr dankbar. Wie die junge Frau aus Afghanistan, die bereitwillig erzählt. Vor zehn Jahren sei sie mit ihrem Mann und dem Baby vor den Taliban aus Herat geflohen. Neun Monate Flucht, "schrecklich", sagt sie nur. Seitdem hat die 33-Jährige viel geschafft: Deutsch gelernt, eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin gemacht, noch zwei Kinder bekommen. Das vierte ist unterwegs, deshalb sei ihr Mann zurzeit Alleinverdiener. Die Miete sei hoch und die Lebensmittel, die sie für ihre große Familie braucht, würden immer teurer. Seit zwei Monaten kommt sie zur Tafel und ist froh um die Hilfe. "Das ist eine gute Sache."

Ein älterer Herr nimmt einen der schon leicht angewelkten Tulpenbunde. "Für meine Lebensgefährtin, sagt der 68-Jährige. An jedem Samstag reiht er sich in die Warteschlange ein, fünf Jahre nun schon. Er habe als selbständiger Versicherungskaufmann gearbeitet, aber seine Rente sei klein, auch mit dem Zuschuss vom Sozialamt reiche es kaum. Vor allem jetzt, wo die Inflationsrate bei zehn Prozent liege und die Stromkosten um 60 Prozent gestiegen seien. Seit die vielen Ukrainer kämen, gebe es viel weniger Lebensmittel, sagt der Rentner. "Das fällt ganz stark auf." Dass er die Lebensmittelspenden braucht, sei ihm nicht unangenehm. "Ich habe ja mein ganzes Leben lang gearbeitet."

https://www.toelzer-tafel.de/

Statt des "Supermarktprinzips", bei dem Tafelkunden auswählen konnten, verteilen die Helfer die Lebensmittel nun auf Kisten unterschiedlicher Größe. (Foto: Harry Wolfsbauer)
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