Tassilo:Ort der Versöhnung

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Der Verein Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald nimmt sich der Geschichte eines einzigartigen Ortes und seiner einstigen Bewohner an. Der Erinnerungsort Badehaus bereichert und verbindet Menschen.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Eines ist sicher: Die unglaubliche Vergangenheit des Ortes wäre hierzulande aus dem Gedächtnis gelöscht, wenn es diesen unermüdlichen Verein nicht gäbe, der nun als Tassilo-Kandidat vorgeschlagen ist. Denn kaum jemand im heutigen Wolfratshauser Stadtteil Waldram verschwendete lange einen Gedanken an das ehemalige Lager Föhrenwald und das Schicksal seiner Bewohner. Längst trugen die Straßen andere Namen, und die Menschen gingen achtlos an dem unscheinbaren Gebäude vorbei, ohne von dessen wechselvoller Geschichte zu wissen.

Doch als mit dem historischen Badehaus eines der letzten baulichen Zeugnisse verschwinden soll, nehmen das engagierte Bürgerinnen und Bürger nicht hin. Sie verhindern nach zähem Ringen nicht nur den Abriss, sondern richten dort in ehrenamtlicher Fleißarbeit ein Dokumentationszentrum ein. Der Erinnerungsort Badehaus wird 2018 eröffnet. Tausende Besucher haben seitdem von der bewegten Geschichte erfahren, deren Bogen sich von der NS-Siedlung für Rüstungsarbeiter über die Etappe des Todesmarsches der KZ-Häftlinge bis zur Zuflucht für jüdische Holocaust-Überlebende und von 1957 an zur neuen Heimat für katholische Heimatvertriebene spannt.

"Es wurde erfolgreich verdrängt", sagt Sibylle Krafft, die Vorsitzende des 2012 gegründeten Vereins Bürger fürs Badehaus Waldram-Föhrenwald, dem es mit beeindruckendem Engagement gelungen ist, innerhalb weniger Jahre eine Vielzahl von Projekten auf den Weg zu bringen. Sein vielleicht größtes Verdienst ist es, aus der Kultur des Vergessens eine Kultur des Erinnerns zu schaffen. "Uns ging es darum, das Wissen um die Bedeutung Föhrenwalds zurückzubringen", so die Historikerin und Journalistin. Föhrenwald war das am längsten bestehende und eines der größten Lager für jüdische Displaced Persons, die nach dem Schrecken der Naziverfolgung dort gestrandet waren.

Das kleine private Museum ist zum Ort der Versöhnung geworden. Seitdem die Gedenkstätte eröffnet ist, sind zahlreiche ehemalige Föhrenwaldler aus der ganzen Welt an diesen Platz zurückgekommen, sind Kinder und Enkelkinder auf Spurensuche gegangen. "I spent two happy years from ages six to eight after the Holocaust in Foehrenwald, it helped me heal from the trauma", hat einer der damaligen Bewohner ins Gästebuch geschrieben. Krafft berichtet von den zutiefst menschlichen und versöhnlichen Begegnungen, die sie seitdem mehrfach erleben durfte. "Wenn die Zeitzeugen sehen, dass nachfolgende Generationen und gerade die jüngeren Deutschen das jüdische Leid nicht vergessen, dann können ihre Wunden heilen."

Ein "bunt zusammengewürfelter Haufen" war es, der sich 2012 zusammenfand, vom 80-jährigen Rentner bis zum 18-jährigen Abiturienten, von der Geschichtslehrerin bis zur Alt-Waldramerin. Namen wie Eva Greif, Maria Mannes, Wolfgang Saal, Karlheinz Rauh und Florian Heider sind darunter. Sie griffen in ihrer Freizeit beherzt zum Spaten, sie schrieben das Museumskonzept und warben um Spenden, sie kämpften um Genehmigungen und gegen Ewiggestrige, sie verkauften Eintrittskarten und veranstalteten Führungen, sie spürten Zeitzeugen auf und stellten Ausstellungen auf die Beine. Mehr als 16 000 ehrenamtliche Arbeitsstunden haben sich bis zur Eröffnung angehäuft, seitdem sind es jährlich immer noch zehntausend.

Noch aufreibender aber sei die Finanzierung des 1,6 Millionen Euro- Projekts gewesen, das im Gegensatz zu den großen Gedenkstätten wie Dachau keine regelmäßigen staatlichen Zuwendungen bekommt, so Krafft. "Das hat uns manch schlaflose Nacht gekostet." An Zulauf fehlt es dem Verein hingegen nicht. Mittlerweile zählt er mehr als 500 Mitglieder, die von ganz nah wie aus Wolfratshausen bis ganz fern wie aus Israel und USA kommen. Auch gibt es erstaunlich viele junge Aktive, die sich wie die Vize-Vorsitzenden Jonathan Coenen und Emanuel Rüff aus eigenen Stücken engagieren.

Mit der Eröffnung des Museums ist es nicht getan. Die Gedenkstätte muss bespielt werden, darf nicht mit einer Dauerausstellung erstarren. "An Ideen mangelt es uns nicht", unterstreicht Krafft und lässt die kulturellen Veranstaltungen der vergangenen zweieinhalb Jahre Revue passieren, von den regelmäßigen Sonderausstellungen, Vernissagen und Konzerten bis zu Lesungen, Vorträgen, und Kunstinstallationen.

Zu den eindrucksvollsten Projekten seit der Eröffnung des Museums zählt das jüngst erschienene Buch "Lebensbilder" mit Porträts ehemaliger jüdischer Föhrenwaldler, dessen Zustandekommen angesichts der Vergangenheit umso bemerkenswerter ist. "Es setzt sehr viel Vertrauen voraus, dass sich die Menschen so öffnen, ihre Erinnerungen mit uns teilen und die Verwerfungen ihres Lebens schildern", sagt Krafft über das Gemeinschaftsprojekt, bei dem Dutzende von Vereinsmitgliedern mitgeholfen haben.

© SZ vom 06.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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