SZ-Serie: Winterwerk, Teil 3:Cool auf den Kufen

Winterserie

Hand in Hand: Maria Hohenadel (links) hilft Frauke Klos bei der Eiskunstlaufkür, die sie bei den Special Olympics im März zeigen werden.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Eine Gruppe von Eiskunstläuferinnen trainiert in Geretsried für die Special Olympics

Von Marie Hesslinger, Geretsried

Auf dem Eis steht eine kleine Frau mit Brille. Zittrig hebt sie ein Bein, droht zu kippen. Mit einem Ruck klammert sie sich an die zarte Gestalt neben ihr und atmet erleichtert auf. Es sind nur noch wenige Wochen bis zu den Olympischen Winterspielen in Berchtesgaden.

Die 41-Jährige auf den neuen Schlittschuhen heißt Frauke Klos. Wenn das Wort "Special Olympics" fällt, beginnen ihre Augen zu leuchten. "Boah, cool", sagt sie und streicht verlegen ihre kurzen Haare hinters Ohr. "Das ist cool! Weil ich noch nie auf einem Wettkampf war." Bei dem Wettkampf in Berchtesgaden qualifizieren sich Menschen mit geistiger Behinderung für die internationalen Special Olympics in Schweden. "Ich hatte im Kindergarten mit dem Ausschneiden meine Probleme", sagt Klos, "Ich bin im Lernen langsamer als andere."

Maria Hohenadl hat den stabilen Stand an Klos' Seite. Sie hat keine Entwicklungsstörung. Fragt man die 35-Jährige, ob der Winter ihre Lieblingsjahreszeit sei, funkeln ihre Augen wie das blaue Glitzer-Stirnband, das sie trägt. Sie nickt heftig. "Seit ich Eiskunst laufe", sagt Hohenadl.

In fließenden Bewegungen stoßen sich Hohenadls Füße über das Eis der Sporthalle Geretsried. Die Trainingsstunde für die Wettkampfteilnehmerinnen hat begonnen. Hohenadl redet eifrig und mit hoher Stimme, während sie Bewegungsabläufe vormacht. Klos folgt ihr mit unsicheren Schritten, hält ihre Hände immer wieder sturzbereit nach vorn. Eine Minute und dreißig Sekunden soll die Paarkür dauern, die Klos und Hohenadl in der ersten Märzwoche aufführen werden. Die beiden sind an diesem Abend nicht die einzigen auf dem Eis. Eine Jugendliche dreht schwindelerregend schnelle Pirouetten. Zwei andere gleiten Hand in Hand im Kreis. Eine junge Frau mit Downsyndrom fährt langsam im Slalom ihrer Mutter hinterher. Sie trägt eine Hose mit dicken Polstern an Po und Knien. Für die Special Olympics muss sie es schaffen, den Parcours in unter einer Minute zu laufen.

Sechs Eiskunstläuferinnen der Inklusionsgruppe des Sportvereins ESC River Rats werden an dem Wettkampf teilnehmen. Zwei von ihnen als Paar, zwei im Einzelkampf. Insgesamt hat die Inklusionsgruppe um die 20 Mitglieder. "Inklusionssport ist in Deutschland ziemlich stiefmütterlich", sagt Trainerin Melanie Vollbrecht. In Bayern gibt es nur sehr wenige Inklusionsgruppen. In der Regel müssten Menschen mit Handicap für viel Geld private Trainingsstunden nehmen, sagt die 49 Jahre alte Trainerin. Vor zehn Jahren gründete sich die Inklusionsgruppe des ESC. "Jetzt kann man sich das ohne sie gar nicht mehr vorstellen", sagt Christa Jehl-Mayer, die sich im Verein um die Finanzen kümmert und an diesem Montag beim Training zuschaut. Sponsorengelder suche man für die Gruppe immer. Die Schatzmeisterin fügt hinzu: "Wobei man über diese Gruppe sagen muss: Die lassen sich am wenigsten schenken. Sie sind stolz auf ihr Geld."

Klos lebt selbständig. Sie wohnt in einer WG und arbeitet bei einer Medizintechnikfirma im Mitarbeiterrestaurant und im Labor. Ihre Kürpartnerin ist Krankenschwester. Klos schlussfolgert stolz: "Ich helfe Marias Patienten gesund zu werden, weil ich die Vorarbeit fürs Labor mache. Das passt so richtig zusammen finde ich." Auch der Rest passt gut zusammen. "Mit Maria ist es was ganz Besonderes, und mit meiner Trainerin Melanie", sagt Klos, "Man baut Berührungsängste ab, gegenseitig". Klos lobt die immerwährend gute Laune ihrer Tanzpartnerin. Hohenadl sagt: "Ich bin jemand, der anderen gerne etwas beibringt." Beide Frauen fingen aus gesundheitlichen Gründen mit dem Eiskunstlauf an, die speziellen Bewegungen empfinden sie als wohltuend. Klos läuft seit acht Jahren Schlittschuh, Hohenadl hat im vergangenen Jahr angefangen. Seitdem trainiert Hohenadl, so oft sie kann. "Das, was ich Frauke jetzt beibringe, das konnte ich vor einem Jahr selbst noch nicht", sagt sie.

Die beiden stehen jetzt an einer Balustrade. Hohenadl bringt ihrer Partnerin bei, das Körpergewicht auf die Außenseite der Kufen zu verlagern: "Ich möchte, dass du ein bisschen Vertrauen in die Kante bekommst", sagt sie. Die junge Frau, die Slalom geübt hat, watschelt an den beiden vorbei und packt ihr Vesper aus. Aufgeregt klatscht sie in die Hände, bevor sie die Gabel in den Salat sticht. Zu Hohenadl und Klos stellt sich eine 78-Jährige. Sie war Klos' Kindergärtnerin. "Immer, wenn Frauke einen Erfolg hat, ruft sie mich an", erklärt sie. Erfolge kann Klos am Ende der Trainingsstunde vorweisen. Ihre Bewegungen sind jetzt fließender. Sie fährt rückwärts und vorwärts, mit wellenförmigen Fußbewegungen. Ihre Arme hat sie dabei wie Flügel ausgebreitet, ihre Fingerspitzen streckt sie zur Decke hoch. Sie macht eine Standwaage und hebt ein Bein, diesmal alleine und ohne zu schwanken. Stolz strahlt die 41-Jährige ihre Zuschauerinnen an.

Wie ihre Chancen für die Special Olympics stehen? "Es wird schon Konkurrenz geben", sagt Trainerin Vollbrecht nachdenklich. "Dabei sein ist alles, oder?", scherzt sie dann. Klos jedoch will nach Schweden. "Ich will immer wieder Neues ausprobieren", sagt sie. "Ich bin halt mutig mit meinen 41 Jahren."

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