Einstmals gab es über zwanzig Brauereien in der Stadt Bad Tölz. Beinahe hätte diese große Tradition 2003 ein jähes Ende gefunden: Der letzte verbliebene Betrieb, das Grüner-Bräu, kündigte seine Schließung an. Christoph Laschka und Andreas Grigoleit, ein Bankkaufmann und ein Schlosser, wollten das nicht einfach hinnehmen. Sie beschlossen, selbst mit dem Brauen anzufangen, und zwar noch ehe das Grüner-Bräu dicht macht. "Wir wollten verhindern, dass eine Lücke entsteht. Das darf in einer Stadt wie Tölz doch nicht passieren, dass es keine einzige Brauerei mehr gibt", erklärt Laschka die Beweggründe der Freunde.
Ein mutiges Unterfangen, denn Erfahrung mit dem Brau-Geschäft hatte beide nicht. "Aber ich habe zwei Braumeister im Bekanntenkreis. Die konnte ich zunächst schon um Rat fragen", versucht Laschka den leichten Wahnwitz dieses Schrittes zu relativieren. "Außerdem sind wir beide riesengroße Fans von dunklem Weißbier. Und es gab nirgendwo eines!" Da blieb nur ein Ausweg: Selbermachen. Folglich produziert das Steg-Bräu, das seinen Namen von dem in Sichtweite befindlichen Isarsteg an der Königsdorfer Straße ableitet, ein dunkles, naturtrübes Weißbier, das Laschka als "vollmundig und würzig" bezeichnet. Die "Winzerer Weisse" habe relativ wenig Kohlensäure und werde daher besonders gerne von Frauen getrunken. Sogar von solchen, die sonst gar kein Bier mögen, wie die Brauer berichten.
Das wäre ein guter Ansatz für eine PR-Kampagne, doch die braucht das Steg-Bräu überhaupt nicht. "An unser Bier kommt man nur durch Zufall. Und das ist auch gut so, denn wir trinken es am liebsten selbst", sagen die Brauer. Ein Geschäftsmodell der besonderen Art also, das Laschka und Grigoleit da betreiben. Etwa 50 Liter werden bei einem Braugang hergestellt. Gebraut wird um die zehn Mal im Jahr. Die rund 500 Liter Jahresausstoß seien im Familien- und Freundeskreis locker zu bewältigen.
Verkauft wird also gar nichts? "In der Regel nicht", sagt Laschka. "Es sei denn, wir bekommen den Auftrag, direkt für eine bestimmte Veranstaltung zu brauen." Man kann die "mobile Brauerei" samt den beiden Brauern nämlich mieten. Dann wird auf der grünen Wiese, im Festzelt oder sogar im fahrenden Zug gebraut. "Die Präsentation des Herstellungsprozesses ist uns ein Anliegen. Wir möchten einer breiten Öffentlichkeit zeigen, wie dieses Produkt erzeugt wird, das so einfach überall in der Flasche gekauft werden kann", sagen die beiden.
Auch auf dem Tölzer Leonhardi-Markt haben die Freunde ihr Handwerk schon mehrfach präsentiert. Es braucht dazu nur einen großen Tisch, auf dem ein Sudkessel und ein Läuterbottich sowie diverse Malze wie Gersten-, Weizen-, oder Farbmalz, und die Hopfenpellets Platz finden. Das Malz wird geschrotet und im Sudkessel mit Wasser vermischt. Dann wird die Temperatur langsam erhöht bis auf 76 Grad. Das braucht es, damit die verschiedenen Enzyme im Malz diverse biochemische Prozesse auslösen können.
Die Stärke aus dem Malzkorn wird dabei in vergärbaren Zucker umgewandelt. "Zu diesem Zeitpunkt handelt es sich noch um eine süße Brühe", erläutert Laschka. Diese wird nun mit einer großen Kelle in den Läuterbottich abgeschöpft. Das ist ein Topf mit einem Siebboden: Schwebeteilchen setzen sich so ab; die klare Brühe kommt zurück in den Sudkessel und wird für eineinhalb Stunden gekocht. "Dann gibt man den Hopfen hinzu. Er hat Bitterstoffe, verleiht dem Sud Aroma und macht das Bier haltbar." Nun muss die Mischung abkühlen. Dann werden die Rückstände des Hopfens herausgefiltert und schließlich bei 20 Grad die Hefe zugegeben. "Diese wandelt den Zucker nun um in Alkohol und Kohlensäure. Bis dahin schmeckt das Ganze eher wie Hopfentee", schmunzelt Laschka und macht deutlich, dass Hopfentee nicht eben zu seinen Lieblingsgetränken gehört.
Drei Tage lassen die Steg-Brauer das Bier im offenen Gefäß gären. Man kann dazu auch ein geschlossenes Behältnis verwenden. "Aber wir ziehen den offenen Prozess vor, weil so die überschüssige Kohlensäure entweichen kann." Genau: Das ist der Trick, damit auch Leute, die wenig Kohlensäure oder kein Bier mögen, auf ihre Kosten kommen. Im Fass oder Lagertank reift das Bier dann mindestens drei Wochen. Wird es nicht mehr gefiltert, erhält man ein naturtrübes Bier. So ziehen es Laschka und Grigoleit vor.
Beim Schaubrauen auf Veranstaltungen kommen die Gäste folglich nicht in den Genuss, das Bier, dessen Entstehungsprozess sie begleitet haben, auch gleich verkosten zu können. So wurde etwa das "Jubiläumsbier", das auf dem Tölzer Vichy-Platz gebraut wurde am 23. April dieses Jahres zum 500. Geburtstag des Reinheitsgebots und zur Einweihung des neuen Binder-Bräus im August in dessen Gaststube ausgeschenkt.
Üblicherweise findet der Brauvorgang in der Königsdorfer Straße statt. Die Brauerei kann man leicht übersehen: Sie befindet sich in einer Garage. Kommen Freunde vorbei, werden die ganzen Utensilien auf die Straße geräumt. Der Sudkessel, den Andreas Grigoleit selbst hergestellt hat, fasst 80 Liter. Ein neuer, größerer ist aber schon in Planung. Die Brau-Happenings locken immer wieder auch Spaziergänger von der nahen Isar an, die aus dem Staunen kaum heraus kommen.
Warum aber braut man in einem fahrenden Zug? Das kommt dabei heraus, wenn der Brauer Aktionär bei der Tiroler Achensee-Bahn ist und deren Vorstandsvorsitzender beklagt, dass sich nur noch Touristen, aber keine Einheimischem mehr für den Zugbetrieb interessieren. "Denen müsste man halt mal was Besonderes bieten", meinte Laschka. "Wie wäre es damit, auf der Fahrt Bier zu brauen?" Das kam beim Vorstand, den Aktionären und dem Zielpublikum super an: Im Salonwagen, der für Feierlichkeiten gebucht werden kann, packten die Tölzer ihre Brauutensilien aus. "Das lief unter Reutberger Flagge", erzählt Laschka. "Und es wurde auch deren Bier ausgeschenkt, weil wir ja gar nicht genügend hätten liefern können."
Ein PR-Event war es aber für alle Beteiligten. Und eine Riesengaudi ebenso. Wenn das Interesse am Bier ungebrochen ist, wie konnte es dann dahin kommen, dass eine Bierbrauerstadt wie Tölz fast alle Brauereien verlor? "Das liegt an der Erfindung der Kühlmaschine", sagt Laschka. Die Brauereien in Tölz waren meist auf Tuffstein gebaut. Man konnte also tiefe Keller graben. Vom Klammer- und Maxlweiher hat man im Winter große Eisblöcke heran geschafft, die die Keller den ganzen Sommer über kühlten.
Das dort gelagerte Bier wurde mit dem Floß nach München gebracht. Da die Stadt auf einer Kiesebene liegt, gab es dort keine Kühlkeller. So konnte man in der warmen Jahreszeit in München gar nicht brauen - und ließ sich das Bier zum Beispiel aus Tölz liefern. Doch dann kam die Kühlmaschine. "Die Münchner Betriebe wuchsen, diktierten die Preise und kauften die niedergemachten kleinen Brauereien im Umland systematisch auf", erläutert Laschka. Umso schöner, dass es "Verrückte" wie ihn und Grigoleit gibt, die im Kleinen etwas dagegen unternehmen. Und im Großen? "Es wäre schon ein sehr großer Schritt, hauptberuflich zu brauen. Wir stehen immer wieder kurz davor. Und verschieben die Entscheidung dann doch wieder".