Süddeutsche Zeitung

Mythen:Die Furcht vor dem schlafenden Riesenwurm im Starnberger See

Jedes Gewässer braucht sein Ungeheuer - und so haben verschiedenen Sagen nach auch der Starnberger und der Ammersee ihre unheimlichen Wesen. Und so mancher hatte schon gruselige Begegnungen mit ihnen.

Von Sabine Bader

Jeder ordentliche See braucht sein Ungeheuer. Das gehört einfach dazu. Das wohl bekannteste seiner Art ist Nessi im schottischen Loch Ness. Nicht zu verachten ist auch der Waller, der im Walchensee schlummern soll. Wasser ist und bleibt nun mal unheimlich, denn niemand weiß genau, was sich auf dem Grund alles tummelt. Darum ist es auch nicht erstaunlich, dass sich im Starnberger See wie im Ammersee ebenfalls Unheimliches verbergen soll. Zumindest wird dies in alten Sagen erzählt.

Um genau zu sein, ist der Starnberger See an seiner tiefsten Stelle 127,8 Meter tief. Er hat, anders als der Ammersee, keinen Zufluss, sondern wird von einer Vielzahl unterirdischer Quellen gespeist. Sein Abfluss im Norden ist die Würm. Früher wurde der See auch Würmsee genannt. Der Name könnte aber auch einen anderen Ursprung haben. Einen gruseligen. Denn man erzählt sich, dass auf dem Grund des Sees ein riesiges Ungeheuer haust. Es soll einen Schlangenleib haben, der sich in vielen Windungen über den Seeboden schlingert. Den Kopf soll der Riesenwurm unter seinem Leib verbergen.

Gesehen hat das Untier noch niemand. Gisela Schinzel-Penth beschreibt es in einer Passage ihres Sagenbuchs über das Fünfseenland dennoch. Und auch der Schriftsteller Gerd Holzheimer hat den gigantischen Wurm vom Würmsee in der Veranstaltungsreihe "Literarischer Herbst" im Rahmen seiner mystischen Feldforschung erwähnt. Schließlich ist die Vorstellung, dass alles Leben aus dem Wasser kommt, in allen Religionen und in der Evolutionstheorie verankert. Schon in der Bibel wurde Jonas vom Wal verschlungen und Jesus wandelte über das Wasser.

Doch zurück zum Wurm im See. Unerwähnt blieb bisher, dass das Tier auf dem Grund des Starnberger Sees schon seit der Erschaffung der Welt tief und fest schlafen soll. Und man sagt sich, dass an dem Tag, an dem es erwacht, das Haupt aus dem Wasser reckt und den See verlässt, alles Land überflutet wird und die Welt untergeht. Möge der Wurm also weiterhin selig ruhen.

Der Pöckinger Meeresbiologe Hans Fricke hat mehr als 1000 Tauchfahrten in Mini-U-Booten unternommen. Auch dem Starnberger See ist er schon mehrfach auf den Grund gegangen - mit seinen U-Booten Geo und Jago. "Das Wasser", so beschreibt Fricke, "ist auch in mehr als 100 Metern Tiefe erstaunlich klar. Der Boden erinnert an einen gelblichen Käsekuchen, das rührt von Bakterien in der Faulschlammschicht her". Vor Jahren war Fricke beispielsweise im Starnberger See getaucht, um eine gekenterte Yacht zu finden, die er schließlich auch gefunden hat. "Das Schiff stand voll aufgetakelt auf dem Seegrund", erinnert sich Fricke. Von den Sagen, die sich gern um Gewässer aller Art ranken, hält Fricke nicht allzu viel. "Ich bin Wissenschaftler", sagt er.

Gruselexpedition in der Tauchglocke

Auch den Ammersee hat Fricke übrigens schon ergründet. Eine unheimliche Stimme hat er in der Tiefe allerdings nicht vernommen. Gisela Schinzel-Penth berichtet in ihrem Buch dennoch von einem Mann, der nach einer "ruchlosen Tat" von einem Richtern vor die Wahl gestellt wurde, entweder mit einem Glassturz den Ammersee zu erkunden oder gleich gehängt zu werden. Wen wunderst's: Der Mann soll sich schließlich schweren Herzens zum Tauchgang entschlossen haben. Nach etlichen Versuchen, so heißt es, sei es einem kundigen Handwerker auch gelungen, eine Glasglocke zu konstruieren, die den Anforderungen der Tiefe genügt und ausreichend Luft bietet.

Aus allen Ortschaften rund um den See sollen die Leute zum Ufer gekommen sein, um den Tauchversuch zu beobachten. Es kamen der Sage nach Tausende, die das Schauspiel sehen wollten. Ein großes Boot, auf dem der Glassturz platziert war, soll den Verurteilten auf den See hinaus gebracht haben. Nachdem der Mann das Gehäuse bestiegen hatte, so wird erzählt, wurden die Ritzen mit Pech und Wachs abgedichtet, die Glocke über Bord gewuchtet, mit Blei beschwert und zu Wasser gelassen, so weit die Seile reichten.

Die Menschen am Ufer wagten, so hieß es, kaum zu atmen vor Aufregung. Als man den Verurteilten schließlich wieder emporgezogen hatte, soll er leichenblass und mehr tot als lebendig in dem Gehäuse gelegen und wenig später gesagt haben: "Dem Himmel sei Dank, der mich wieder zum Licht zurückkehren ließ. Ich hatte schon geglaubt, nie mehr die Sonne zu erblicken. Als ich ins Wasser tauchte, war erst eine sanfte Bläue um mich. Dann wurde es ganz grün und als ich noch tiefer kam, umgab mich stockdunkle schwarze Nacht. Nichts, aber auch gar nichts konnte ich erkennen, so unheimlich und undurchdringlich war die Finsternis."

Den See mit Gaben und Gebeten milde stimmen

In seinen Ohren soll es wie wild gedröhnt und im Kopf ganz gewaltig gesummt haben, so dass er dachte, das Haupt würde ihm zerspringen. Und dann, so die Sage, war da jene grauenerregende Stimme: "Ergründ'st du mich, so verschling ich dich", soll sie gedroht haben.

Starr vor Entsetzen sei man in den Orten am Ufer gewesen. Um den See friedlich zu stimmen, so sagt man, hätten einige kluge Dörfler beschlossen, jedes Jahr eine Messe lesen zu lassen und einen goldenen Ring als Opfer ins Wasser zu werfen. So hoffte man, den Ammersee sanftmütig zu stimmen, damit er nicht über die Ufer tritt und das Land überschwemmt.

Gisela Schinzel-Penth, "Sagen und Legenden um das Fünfseenland und Wolfratshausen", Ambrolacus Buch- und Bildverlag

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SZ vom 03.01.2017/vewo
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