SZ-Serie "Sagen und Mythen", Folge 2:"Das Gesicht des bayerischen Nationalgefühls"

Der Schmied von Kochel, legendärer Anführer der aufständischen Bauern, ist historisch nicht belegt. Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler sieht die politische Funktion hinter der Gestalt

Von Luzie Gänslmayer, Kochel am See

Kein elektrisches Licht, das finstere Nächte erhellte, keine Naturwissenschaften, die unheimliche Phänomene hätten erklären können - kein Wunder, dass die Menschen früherer Zeiten versuchten, mit Geschichten zu erklären, was sie ängstigte. Auch historische Ereignisse wurden als Geschichten weitererzählt, oft ausgeschmückt und verfremdet. So entstand über die Generationen ein reicher Schatz an Sagen, Mythen und Legenden. Einige davon werden nun zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag in der SZ nacherzählt.

Als Figur ist der Schmied von Kochel bis heute präsent - auch 311 Jahre nachdem er bei der Sendlinger Mordweihnacht ums Leben gekommen sein soll. Er tritt in Theaterstücken auf und spielt eine zentrale Rolle bei Festzügen am Kochelsee, im Oberland oder auf der Wiesn. Hünenhaft steht er mitten in Kochel, darunter die Inschrift: "Balthes Mayer, genannt Schmied von Kochel, Anführer der Oberländer Bauern in der Sendlinger Bauernschlacht von 1705". In der einen Hand hält er die mit Nägeln gespickte Keule, den Morgenstern; in der anderen die bayerische Flagge. Er trägt Lederhosen, Hemd und Wadelstrümpfe, sein Blick ist entschlossen. Dabei hat es den bayerischen Helden so womöglich nie gegeben.

Schlehdorf 1250 Jahre Sternmarsch

Beim Festzug zu 1250 Jahre Schlehdorf zieht der Schmied durch die Gemeinde.

(Foto: Manfred Neubauer)

Nicht nur in Kochel ist der legendäre Schmied täglich präsent: Auch in München erinnert ein Denkmal an ihn und an die Sendlinger Mordweihnacht. Es steht in der Lindwurmstraße, gegenüber der Alten Sendlinger Kirche, in der die Bauern Zuflucht gesucht hatten. Die planten wegen der Kriegsverbrechen der Österreicher - sie eroberten Bayern während des Spanischen Erbfolgekriegs (1701-1714) - einen Aufstand. Das Motto: "Liaba bairisch steam, als kaiserlich verdeam". Schmied Balthasar Mayer soll die Bauern angeführt und sich den kaiserlichen Truppen bis zum Ende entgegengestellt haben, so die Sage.

Der Aufstand scheiterte jedoch kläglich: Die notdürftig zusammengekratzten Waffen - die meisten Bauern besaßen nur Mistgabeln, Dreschflegel und Ähnliches - Verrat und Unerfahrenheit machten die Aufständischen zu leicht besiegbaren Angreifern. In der Hoffnung, verschont zu werden, flüchteten sie zur alten Pfarrkirche in Sendling. Die Österreicher aber gewährten kein Pardon. Sie trieben die Bauern immer enger zusammen, erschossen sie erbarmungslos. Der Legende nach soll der Schmied von Kochel rücklings erschossen worden sein: In der einen Hand die Keule, in der anderen die bayerische Flagge - stolz nach oben gerichtet. Zahlreiche Gemälde zeigen ihn so.

Maria Himmelfahrt in Kochel am See - Trachtenfestzug

Auch an Maria Himmelfahrt beim Trachtenfestzug durch Kochel ist der Schmied mit von der Partie.

(Foto: Peter Kneffel/ dpa)

Viele Kochler sind von der Existenz des Schmieds Balthasar Mayer überzeugt. Darunter die Schauspielerin Liesel Brunner und ihr Ehemann, der gelernte Inspizient Franz Brunner. Für die Festspiele im Jahr 2005 arbeiteten sie die Sage theatralisch auf. In den insgesamt 64 ausverkauften Vorstellungen des Historienspiels "Der Schmied von Kochel oder die Sendlinger Mordweihnacht" wurde der Aufstand anhand der Figur Balthes Mayer erzählt. "Der Schmied von Kochel ist definitiv keine Sagengestalt oder Legende. Es gibt einfach Leute, die ein gewisses Führungstalent haben. Ein mir bekannter Pfarrer, der sich mit der Kochler Geschichte ausgekannt hatte, sagte einmal zu mir: Wenn sich eine Figur über 150 Jahre hält, dann muss etwas Wahres dran sein", sagt Franz Brunner. Dass sich die Existenz des Volkshelden nicht belegen lässt, könne man mit der Vernichtung der Kirchenbücher erklären, in denen die Namen der Oberlandbauern ursprünglich aufgelistet waren. Brunner betont: "Er spielt für uns Kochler auch heute noch eine große Rolle und das wird auch so bleiben."

Auch Liesel Brunner ist sich sicher, dass es den Mann gegeben haben muss. Die aus Mainz stammende Schauspielerin inszenierte mehr als 20 Jahre lang Stücke für den Kochler Theaterverein. "Wir haben uns mit den alten Stücken über den Schmied beschäftigt und diese schließlich modernisiert", erklärt sie. Für die Schauspielerin ist klar, dass der Schmied von Kochel ein wahrer Anführer gewesen sein muss. "Er war wohl eine besondere Persönlichkeit, sonst wären ihm die Bauern nicht gefolgt. Ein Held, der glaubte, er könne mit seinen Anhängern etwas erreichen."

Schmid von Kochel Denkmal in München, 2011

Heroisch ist der Schmied von Kochel allemal: Hier als Denkmal in München.

(Foto: Robert Haas)

Im Historienspiel der Brunners wurde der Schmied als bärtiger Mann aus dem Volke dargestellt. Groß, stark, mutig. Ohne Frau und Kind; nicht mehr der Jüngste - er soll etwa 70 Jahre alt gewesen sein - aber ein entschlossener Kämpfer. Hans Liegsalz und Ulfried Grüllmayer spielten 2005 den Schmied abwechselnd. Im vorletzten Bild wird der Volksheld nach langem Kampf erschossen, die bayerische Flagge fällt auf seinen toten Körper. Dann erscheinen die Schatten der zurückgebliebenen Alten, Frauen und Kinder. Sie beten das Vaterunser.

Gerade wegen der verbreiteten heroischen Interpretationen zweifelt der oberbayerische Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler die Geschichte an. "Den Schmied von Kochel hat es nie gegeben", sagt der Historiker, "alle Versuche, ihn einer historischen Figur zuzuordnen, waren erfolglos." Solche Sagengestalten hätten stets eine Funktion und würden teilweise politisch bewusst in die Welt gesetzt. "Dank des Schmieds wurde die Mordweihnacht zu einem patriotischen Aufstand im Sinne Bayerns umfunktioniert", erklärt Göttler. "Er sollte der Niederlage einen Sinn, dem Nationalgefühl der Bayern ein Gesicht geben. Die Bauern sollen sich freiwillig gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen der Österreicher gewandt haben. Dem widerspricht Göttler: "Nicht alle Bauern kämpften in dieser Nacht aus freien Stücken. Schließlich war die militärische Übermacht der Österreicher immens, die Bauern hatten keine realistische Chance auf einen Sieg."

Die Sendlinger Mordweihnacht

Kochel am See/München - Nach dem Tod des letzten spanischen Habsburgers Karl II. führen Frankreich und das habsburgerische Österreich einen Krieg um die spanische Krone. Im September 1701 schließen sich Österreich, Niederlande und England zur Großen Allianz gegen den französischen König Ludwig XIV. zusammen. Dieser verbündet sich mit Bayern. 1704 besiegt die Allianzarmee das französisch-bayerische Heer, Österreich besetzt Bayern, Kurfürst Max Emanuel muss fliehen. Bayern wird bis 1714 kaiserlich.

Die Unterdrückung macht dem bayerischen Volk zu schaffen: Die Steuern werden vervierfacht, Bürger ohne Begründung ins Gefängnis geworfen; Menschenjäger durchstreifen die Gegend, junge Männer werden in den Armeedienst gepresst. Im Herbst 1705 regt sich erster Widerstand. Die Bauern des Ober- und Unterlandes erheben sich. Ihr Ziel: die Eroberung Münchens und die Rückkehr des Kurfürsten. In München finden sich Verbündete, die den Aufständischen die Tore öffnen sollen. Am 21. Dezember treffen im Kloster Schäftlarn rund 3000 Bauern aus Oberbayern ein. Sie sind schlecht ausgerüstet, besitzen kaum Waffen. Unter ihnen, so erzählt es die Legende, ist auch ein Schmied aus Kochel, Balthasar Mayer, der die Bauern zum Kampf ermutigt. Doch die schlechten Nachrichten häufen sich: Kaiserliche Truppen haben den Aufständischen aus Niederbayern den Weg versperrt, die vereinbarten Raketensignale aus München bleiben aus, in den Straßen patrouillieren Soldaten. Es ist klar: Die Bauern sind verraten worden. Dennoch beginnen sie am 24. Dezember ihren Marsch. Gegen 23 Uhr treffen sie in Sendling ein, am nächsten Morgen ziehen die Leicht- und Unbewaffneten weiter: zum Roten Turm am westlichen Brückenkopf der Isarbrücke. Dort soll der hünenhafte Schmied das Tor mit einem großen Stamm aufgestoßen haben. Die Angreifer erstürmen den Turm und treiben die Österreicher bis zum stärker befestigten Isartor zurück. Dort rücken schließlich kaiserliche Truppen an. Die Bauern flüchten zurück zum Hauptquartier, zur alten Pfarrkirche. Sie legen ihre Waffen nieder und ergeben sich.

Die österreichischen Truppen und ungarischen Husaren treiben die Aufständisches dennoch zu einem Kreis zusammen und schlachten sie erbarmungslos ab. Der Schmied von Kochel kämpft der Erzählung nach stundenlang für sein Land, eingekesselt zwischen Soldaten und seinen toten Kameraden. Keiner kommt an ihn heran, bis er heimtückisch von hinten erschossen wird. Er stirbt, so geht die Sage, als Letzter der Aufständischen. luga

Die Mutmaßung, dass die Vernichtung der Kirchenbücher ein Grund für die schlechte Nachweisbarkeit des Schmieds sei, bezweifelt Göttler. Es sei sehr ungewöhnlich, dass es bisher nicht möglich gewesen ist, den Schmied historisch zu belegen. "Gerade bei ähnlichen Charakteren wie dem Tiroler Freiheitskämpfer Andreas Hofer sind Quellen und Nachweise da - beim Schmied von Kochel nicht." Balthasar Mayer, der meist mit dem Schmied von Kochel in Verbindung gebracht wird, sei gar kein Teilnehmer des Aufstands gewesen und komme somit nicht in Frage. Zudem seien die Grab- und Denkmäler in Kochel und München erst 100 Jahre später entstanden, also nicht zeitgenössisch. "Diese Darstellung als bodenständiger, hünenhafter Mann, der wie mit dem Dreizack daherkommt, spricht dafür, dass er eine mythologische Gestalt ist", sagt Göttler. Er erinnere stark an den biblischen Goliath.

Dennoch ist die Geschichte so tief im Oberland verwurzelt, dass der Schmied nicht nur in Kochel, sondern auch in Bad Tölz Anhänger hat. Die bayerischen Gebirgsschützen reklamieren den Volkshelden für sich. Schließlich sollen die Aufstände der Bayern von der Landesdefension - einer Vorläuferformation der Gebirgsschützen - getragen worden sein.

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