Wenn der kleine Anton Hoefter aus dem Fenster sah, erschien ihm die Welt langweilig. Vor ihm lag das Tölzer Badeteil, durch das vor allem Besucher in fortgeschrittenem Alter flanierten. Nicht eben eine Aussicht, die ein Bub verlockend findet. Da war nichts, wo man mit anderen Jungs spielen und toben und kicken konnte. "Wir mussten immer ruhig sein", erinnert er sich an die Siebzigerjahre im Kurviertel, das meist von Sozialkurgästen bevölkert war. "Das Badeteil war geprägt von lauter alten Leuten." Und, ach ja, von vielen Kurkonzerten. "Ich fand es anstrengend", sagt der mittlerweile 51-Jährige. Dabei hatten sein Großvater und sein Vater das Tölzer Kurwesen über Jahrzehnte hinweg maßgeblich gestaltet.
Die Hoefters und die Stadt Bad Tölz: Das war stets eine Geschichte von Blütezeiten und Niedergängen, von Erfolgen und Konflikten, von Verbundenheit und Entfremdung. Bei alledem steht für Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr eines fest: Der Name Hoefter sei spätestens im 20. Jahrhundert "einer der zentralen Namen, wenn man über Tölzer Geschichte redet". Eine Ära, die sich nun dem Ende zuneigt und verblasst wie der Glanz des Hotels Jodquellenhof, das nurmehr Handwerker und Monteure auf Durchreise beherbergt, oder die alte Wandelhalle, die einst die größte ihrer Art in Europa war und seit Jahren schon leer steht. Auf die Frage, ob die Familie denn nun dabei sei, sich aus Bad Tölz zu verabschieden, antwortet Anton Hoefter: "Teils, teils." Emotional seien seine Geschwister und er der Stadt verbunden, "wir sehen Tölz immer noch als unsere Heimat an". Was die geschäftliche Seite angeht, sei man auf die Stadt allerdings nicht mehr angewiesen, sagt Hoefter, seit 2004 Vorstand der Jodquellen AG. Und: "Von uns lebt keiner mehr hier."
Die Geschichte der Hoefters in Bad Tölz beginnt im ausgehenden 18. Jahrhundert. 1785 wird Andreas Hoefter geboren. Der Sohn des Posthalters aus Steinhöring heiratet Susanna Harrer, die Tochter des Klammerbräu-Besitzers, die 1812 früh starb. Im 19. Jahrhundert war Tölz, das zeitweise um die 22 Brauereien und noch kein "Bad" im Namen hatte, vor allem für sein Bier berühmt. Damit sind auch der Klammerbräu und der Name Hoefter verquickt: Die Linie reicht von August über August junior bis hin zu Anton Hoefter, der dann den endgültigen Niedergang des Tölzer Brauwesens miterleben musste.
Der hatte allerdings schon vor der Zeit des Großvaters von Jod AG-Chef Anton Hoefter eingesetzt, etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein gewichtiger Grund war die Erfindung der Kompressionskältemaschine durch Carl von Linde im Jahr 1873. Denn damit war der Vorteil dahin, den Tölz so lange zu bieten hatte: die vielen tiefen Tuffsteinkeller in der Marktstraße, die eine ideale Temperatur boten, um den Gerstensaft zu kühlen. Nun konnten auch die Großbrauereien in München ihr Bier kalt lagern. "Da war klar, dass die Tölzer Brauereien nicht mehr wettbewerbsfähig waren", sagt der Vorstand der Jod AG. "Ihr Absatzmarkt in München brach weg."
Sein Großvater versuchte 1924 zunächst noch, durch den Zusammenschluss mit verbliebenen Brauereien zu einer Tölzer Aktiengesellschaft zu retten, was nicht mehr zu retten war. Ziel sei es gewesen, die mächtige Konkurrenz aus München "draußen zu halten", sagt Stadtarchivar Lindmeyr. Aber dies funktionierte nicht. "Mein Großvater hat das früh erkannt", so Anton Hoefter. Die Folge: Er verkaufte seine Aktienbrauerei einfach an die Münchner Löwenbräu.
Damit machte er sich in seiner Heimatstadt nicht sonderlich beliebt. "Die Tölzer waren böse", sagt sein Enkel. In seinen Unterlagen im Stadtarchiv hat Lindmeyr indes keine wutschnaubenden Zitate gefunden. "Verrat" oder ähnliche Vorwürfe seien ihm nicht untergekommen, sagt er. "Manche haben gesagt, Hoefter hat die Flüssigkeiten getauscht." Aber dies war der erste Konflikt zwischen der Familie und der Stadt.
Jodwasser gegen Bier: 1928 übernahm Anton Hoefter mit dem Erlös aus dem Brauerei-Verkauf die Aktienmehrheit der Jodquellen AG. Die gehörte vor allem den Hauptaktionären Michael und Eduard Steigenberger, auch die Stadt hielt Anteile. Die AG steckte damals allerdings tief in den Schulden. Dennoch: "Das war ein guter Schachzug", sagt sein Enkel. In der Stadtchronik steht dazu der Satz: Hoefter "kredenzt nun an Stelle des edlen Gerstensaftes seinen Mitbürgern und den seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts unseren Ort besuchenden Gästen aus aller Welt das zwar weniger nährkräftige, aber heilbringende Tölzer Jodwasser."
Der Branchenwechsel war wohlüberlegt. Schon vor dem Einstieg in die Jod AG war Anton Hoefter quer durch Europa gereist und hatte Kurorte besucht. Dabei sah er, was Bad Tölz fehlte: eine neue Wandelhalle. "Der Grund, sie zu bauen, war, dass man ein neues Aushängeschild brauchte, das der Kur ein neues Bild gab", sagt der heutige Vorstand der Jod AG. Schließlich kamen die Kurgäste in der Weimarer Republik noch auf eigene Rechnung, nicht wie nach dem Zweiten Weltkrieg auf Kosten der Krankenkassen.
Die Architekten Ernst Moll und Ernst von den Velden entwarfen mit 110 Metern Länge und 15 Metern Breite die damals größte Wandelhalle auf dem Kontinent. Erbaut wurde sie 1929/1930 von Architekt Josef Hillerbrand. Und abbezahlt war sie "innerhalb von sechs Jahren", wie Anton Hoefter erzählt. "Dazu hat auch die Inflation beigetragen."
Dann kamen die finsteren Jahre der Nazi-Zeit. Auch für die Familie Hoefter. Einmal habe Adolf Hitler eine Beerdigung in Bad Tölz besuchen und danach in der Wandelhalle eine Rede halten wollen, berichtet Anton Hoefter. Aber sein Großvater habe den Auftritt dort abgelehnt - "er sagte, das will ich nicht". 1939 wurde er dann im Alter von 50 Jahren zum Feldzug gegen Polen eingezogen. Während er an der Front war, funktionierten die braunen Machthaber das Hotel Jodquellenhof in ein Lazarett für die Wehrmacht um. Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Hoefter von den US-Streitkräften als Landrat eingesetzt. Allerdings legte er bereits nach wenigen Monaten dieses Amt nieder. "Der Druck von Tölzer Nazis, die sich reinwaschen wollten, war groß", erzählt der Enkel. Der nächste Konflikt also zwischen Familie und Stadt.
In den Wirtschaftswunderjahren ging es mit der Kur wieder aufwärts. Das Herderbad hinter dem Jodquellehof wurde neu gebaut, immer mehr Gäste kamen durch die Sozialkur in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Allerdings stellt Anton Hoefter eines klar: "Die Kurgäste, die unsere Familie hatte, waren keine Sozialkurgäste." Schon früh habe sein Großvater erkannt, dass die klassische Kur keine Zukunft habe. Gemeinsam mit seinem Sohn Max Hoefter, der 1965 die Jod AG übernahm, tourte er wieder durch Europa und sah sich Badeorte an. Nahe Zürich habe er gesehen, wie es ein kleiner Ort schaffte, die Städter anzulocken: "Das war die Idee zum Alpamare."
Das Spaßbad wurde 1970 unter Max Hoefter eröffnet. Es war eines der letzten Werke von Architekt Hillerbrand, der in jungen Jahren mit der Wandelhalle seine Laufbahn begonnen hatte. "Das Alpamare war von Anfang an sehr erfolgreich", sagt Anton Hoefter. Die Brandungswellen in einem Hallenbad, die großen Rutschen - so etwas war damals nicht nur in Oberbayern, sondern in der gesamten Bundesrepublik ein Novum. Das Alpamare stand bald für Bad Tölz wie der Knabenchor, der Eishockeyclub, später auch die TV-Krimiserie "Der Bulle von Tölz". Ein aus Touristiker-Sicht fast unbezahlbares Markenzeichen also. Es zog viele Jahre lang Gäste aus ganz Deutschland, auch aus Europa an.
Aber nichts ist nun mal von Dauer. Die Probleme mit dem Erlebnisbad, sagt Hoefter, hätten schon nach der Wende in den Neunzigerjahren begonnen. Damals hätten immer mehr Städte und Gemeinden eigene Bäder gebaut. Diese kommunale Konkurrenz habe dem Alpamare zwischen 10 000 und 20 000 Besucher pro Jahr abgezogen, so Hoefter. Hinzu kamen große Konkurrenten wie die Therme Erding, mit der man "ein gutes Einvernehmen" gepflegt habe. Aber am Ende, sagt Hoefter, "haben wir mit ungleich langen Spießen gekämpft". Das Alpamare blieb ein Privatbad, öffentliche Zuschüsse gab es nicht. Auch eine neue Indoor-Surfanlage half am Ende nicht, genug Einnahmen zu generieren. 2015 kam das Aus fürs Spaßbad.
Daran knüpft sich der dritte Konflikt zwischen der Familie und der Stadt. Anton Hoefter möchte auf dem Gelände des Alpamare nun Wohnhäuser bauen, im Rathaus beharrt man auf einer touristischen Nutzung, sprich: einem Hotel. Beide Seiten streiten darüber vor Gericht, nachdem die Jod AG unter anderem eine Normenkontrollklage gegen den Bebauungsplan "Sondergebiet Bäderviertel" eingereicht hatte. Die Wandelhalle soll nach Hoefters Vorstellungen vorne zur Ludwigspromenade hin eine Gastronomie, in der Mitte Wohnungen, nach hinten einen Saal für Kultur bekommen. Auch das korrespondiert nicht mit dem Leitmotiv der Stadt.
Der Chef der Jod AG sagt, er habe Zeit mit den Grundstücken im Kurviertel: "Wir haben keine Eile, etwas zu machen, wir werden uns nicht was reindrücken lassen." Die Lektion, die er gelernt habe, bestehe darin, "an der Schnittstelle zwischen öffentlicher Hand und privatem Betreiber" nichts mehr zu machen, sagt er. In seinem Leben liegt der Schwerpunkt ohnehin nicht mehr in Bad Tölz. Der 51-Jährige wohnt in der Schweiz, betreut unter anderem Alpamare-Bäder in Marokko und England, ist oft auf Dienstreisen unterwegs.
Wenn er in seine Geburtsstadt zurückkehrt und aus dem Fenster seines Büros schaut, hat er das Hotel Jodquellenhof vor sich, aus dem ein Hostel geworden ist. Ansonsten hat sich nicht sonderlich viel für ihn verändert. Noch immer sei das Bild des Badeteils von betagten Leuten geprägt, sagt er. "Es fehlt die Durchmischung." Das war schon so zu Zeiten seines Großvaters. Ein Ölgemälde im Büro zeigt Anton Hoefter, ein mildes Lächeln umspielt seine Lippen. Der Patriarch einer Familie, die Bad Tölz geprägt hat und sich nun zurückzieht.