SZ-Serie Dorfdynastien:Pioniere im Isarwinkel

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Bis ins 14. Jahrhundert reicht die Geschichte der Lenggrieser Familie Klaffenbacher zurück. Sie ist hervorragend dokumentiert. Nur die Frage, ob der Klaffenbach nach der Familie benannt wurde oder andersrum, bleibt ein Mysterium.

Von Petra Schneider, Lenggries

In der Stube der Familie Klaffenbacher hängt gleich neben der Tür ein mannshoher "Erbfolgestammbaum". Eine schön gemachte Arbeit, die Josef und Anna Klaffenbacher nach einer Originalhandschrift von 1929 malen ließen, damit die lange Familiengeschichte endlich einmal ordentlich dokumentiert ist. 1999 sind die beiden extra an den Mondsee ins Salzkammergut zu einem Spezialisten gefahren. "Der hat g'sagt, dass er so einen Stammbaum noch nie gesehen hat", erzählt der 72-jährige Senior. So lang und reich verzweigt und durchgehend mit dem Namen Klaffenbacher im Hauptstamm.

An den Wurzeln des Eichen-Stammbaums wird ein Hans Klaffenbacher und die Jahreszahl 1565 genannt. Das Geschlecht ist aber viel älter: Denn die Klaffenbachers sind mit den Wasensteiners die ersten Familien, die den Isarwinkel besiedelt haben. Das belegen Schriftstücke aus dem Jahr 1386, in denen der Name Klaffenbacher bereits erwähnt ist. Außerdem gibt es ein Familienwappen, das 1493 von König Maximilian I., dem späteren Kaiser des "Heiligen Römischen Reichs", verliehen wurde. Die Originalurkunde des Wappens hängt im Flur. Sie zeigt Reichsapfel, gekrönten Helm und Streitaxt, darunter eine altdeutsche Schrift, die schwer zu entziffern ist.

Die Oma von Hoferbe Stefan Klaffenbacher hat das königliche Dekret in die moderne Schrift übertragen und einen handgeschriebenen Zettel auf die Rückseite geklebt. Von einem "alten Geschlecht" ist da die Rede; der Helm und der Arm mit der Streitaxt verdeutliche die "Stärke und Tapferkeit des Stamms". Woher das mit der Tapferkeit kommt, kann Josef Klaffenbacher nicht sagen, "mir ham uns halt wahrscheinlich immer zur Wehr g'setzt". Älter als 60 ist kaum einer seiner Vorfahren geworden. Das Leben auf dem Hof war hart, die Winter schneereich und kalt. Bis vor etwa 100 Jahren sei es üblich gewesen, dass immer einer im Stall übernachtet habe, erzählt er im oberbayrischen Dialekt, "falls was is, mit de Viecher."

Das Stallklima sei damals aber nicht gesund gewesen, feucht und schlecht belüftet. Die Folge war oft eine tödliche Tuberkulose, die sich in der Familie verbreitete. Denn gegessen wurde aus einer Schüssel. Die Löffel hingen unter dem Tisch und wurden nur "alle heiligen Zeiten sauber gemacht", sagt der Senior. Dann grinst er und erzählt die Anekdote von der ersten "Spülmaschine", die es im Isarwinkel in den 1950er Jahren gegeben habe. Die Spülmaschine, "des war der Hund, der die Löffel abgeschleckt hat".

Nicht nur der Nachname Klaffenbacher ist über die Jahrhunderte geblieben, weil es immer einen Sohn als Hoferben gab. Auch der Vorname: Bis 1755 hießen alle Hans, ab dann Josef, die Ehefrauen fast alle Maria. "Die Namensauswahl ist offenbar beschränkt gewesen", sagt Stefan Klaffenbacher, der als eines von drei Kindern den Hof übernommen hat. Vornamensmäßig schert er als erster aus der Familientradition aus. Er ist auch der erste, der Bürgermeister geworden ist. Berühmte Persönlichkeiten habe es bei den Klaffenbachers nicht gegeben.

"Mit einem Bischof können wir nicht dienen", sagt seine Mutter und lacht. Die 66-Jährige interessiert sich für die Familiengeschichte, die reich dokumentiert ist. In einem Schrank lagern Berge von historischen Akten und Urkunden, die Historikern vermutlich das Herz höher schlagen lassen. Geschrieben in filigraner Sütterlinschrift, die Tinte verblasst, viele mit einem Siegel. Hofübergabeverträge ab ungefähr 1600 aus mindestens zwei Jahrhunderten. Beim Durchblättern kommt ein "Pockenschutzimpfschein" von 1856 zum Vorschein oder ein Arbeitszeugnis der Papierfabrik Fleck aus dem Jahr 1889 für Jakob Klaffenbacher, den Bruder des damaligen Hoferben. "Mei, des müsste man alles mal übersetzen und digitalisieren lassen", sagt Anna Klaffenbacher. Aber es fehle halt immer die Zeit.

Der Hof "Beim Klaffenbacher" liegt hinter dem Lenggrieser Ortsteil Winkl. Es geht links über den Klaffenbach eine kurvige Anhöhe auf 715 Höhenmeter hinauf. Im Winter liegt hier immer ein bisschen mehr Schnee als im Ort Lenggries selbst. Etwa 50 Einwohner hat der Ortsteil, auf dem Hof lebt der Bürgermeister mit seiner Familie und den Eltern, auch seine Tante wohnt in Klaffenbach. 30 Hektar Wald gehören zum Anwesen.

Die Klaffenbachers waren immer Bauern: Seit 1505 ist der Hof ununterbrochen in Familienbesitz, wie eine Urkunde des Bayerischen Bauernverbands von 1952 lobend vermerkt, die gerahmt im Flur hängt. Und nie sei man einem Gut oder einem Kloster zur Abgabe eines "Zehnten" verpflichtet gewesen. "Wir waren immer unabhängig", sagt der Senior. Die Klaffenbachers sind ein stolzes Bauerngeschlecht. In den "Blättern des Bayerischen Landesvereins für Familienkunde" von 1939 werden sie als "alter Bauernadel" aufgeführt.

Ob der Klaffenbach der Familie und dem Ortsteil den Namen gegeben hat, oder umgekehrt, ist schwer zu sagen. Eine Anfrage seiner Tante beim Bayerischen Staatsarchiv habe wenig ergeben, erklärt Stefan Klaffenbacher. Was der Begriff "klaffen" bedeutet, weiß niemand mehr so genau: Vielleicht eine Beschreibung des klüftigen, felsigen Bachlaufs. Vielleicht lautmalerisch ein reißender, "klaffender" Bach. Reißend ist das Bächlein seit dem Pfingsthochwasser von 1999 freilich nicht mehr. Damals sei eine Sandschicht weggespült worden, sodass das Wasser seitdem "versitzt", wie Josef Klaffenbacher erklärt. Im Sommer sei der Bach, der in die Isar fließt, oft ausgetrocknet.

Stefan Klaffenbacher ist nicht nur Familienvater, sondern auch Lenggrieser Bürgermeister und Bauer. (Foto: N/A)

Der Hof der Familie, so wie er heute dasteht, wurde 1923 gebaut. Es gibt einen Brotbackofen und einen Räucherschrank, die aber lange schon nicht mehr in Betrieb sind. Vom Gang rechts führt eine Tür direkt in den Kuhstall. Früher hatten die Bauern in der Gegend traditionell neun Kühe, mit zunehmender Mechanisierung 15 oder 16. Mehr Futter gaben die Grünflächen nicht her. Die Klaffenbachers hielten zusätzlich einen "Dorfstier", der auf sämtlichen Höfen zwischen Winkl und Hohenwiesen für Nachwuchs sorgte. Milchkühe gibt es auf dem Hof schon lange nicht mehr, dafür um die 20 Stück Jungvieh. Zweieinhalb Jahre bleiben sie im Stall, auf den Weiden und der eigenen Alm, dann werden sie an regionale Metzger zum Schlachten verkauft.

Schon sein Vater habe den Betrieb im Nebenerwerb geführt, sagt Stefan Klaffenbacher. Milchvieh rechne sich bei einem so kleinen Bestand nicht, zudem müsste der Stall ausgebaut werden, wofür aber der Platz fehle. In Lenggries und Wegscheid gibt es noch ein paar große Betriebe mit 30, 40 Kühen; die allermeisten Bauern bewirtschaften ihre Höfe aber im Nebenerwerb oder sind auf Zusatzeinkommen durch einen Wald oder Ferienwohnungen angewiesen.

Stefan Klaffenbacher ist gelernter Maschinenbaumeister und seit September Lenggrieser Bürgermeister. Er ist mit der Landwirtschaft groß geworden. Seine Frau Nathalie arbeitet in Teilzeit im Landratsamt in Bad Tölz und steht oft um fünf Uhr in der Früh im Stall, um die Kälber mit der Milchflasche zu füttern. Die Viehhaltung sei eine "Einstellungssache", sagt der 34-Jährige, vom wirtschaftlichen Standpunkt her lohne sie sich nicht. Trotzdem: "Ganz ohne Tiere kann ich mir das nicht vorstellen."

Einem alten Bauerngeschlecht anzugehören, mit Wappen und allem drum und dran, "da ist man schon stolz drauf", sagt Stefan Klaffenbacher. Das sei auch ein "Vermächtnis, das man fortführen will." Und die nächste Generation steht schon bereit: Die eineinhalbjährige Magdalena und der dreijährige Max, der mit zweitem Vornamen Josef heißt und mit seinem kleinen Bulldog auf dem Hof herumkurvt.

© SZ vom 30.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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