Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie Dorfdynastien:Ein fruchtbarer "Gendefekt"

Die Strobls in Schäftlarn sind seit Jahrhunderten Landwirte. Franz Strobl senior ist stolz auf diese Familientradition - und froh, dass sein Vor mehr als 600 Jahren taucht der Hof "am Glas" erstmals in Urkunden auf - seitdem ist er in der Hand einer Familie Sohn sie weiterführt

Von Marie Heßlinger

Einmal, da reiste einer aus Hamburg nach Schäftlarn. Franz Strobl war damals ungefähr 20 Jahre alt, er erinnert sich noch, wie der Fremde vor seiner Tür in Hohenschäftlarn stand. Der Hamburger hieß ebenfalls Strobl mit Nachnamen. Er wollte wissen, wer seine Ahnen waren. Die Spur führte nach Schäftlarn - wo seit mehr als 600 Jahren ein Familienstamm den Bauernhof am Stadtweg betreibt.

Franz Strobl senior sitzt auf der Eckbank der Bauernküche. "Ehrlich gesagt bin ich nicht so der Ahnenforscher", sagt der 65-Jährige. Er hält den Blick auf den Tisch gerichtet. Er ist kein Mensch der großen Worte. Er könnte der Held eines Mittelalterfilms sein, mit seinen blauen Augen, der geradlinigen Nase, seinem dichten grauen Haar und dem Vollbart. Das Strobl-typische Aussehen, sagt Strobl, das sei schon sehr offensichtlich. "Meine Frau sagt, es wird Zeit, dass die Strobl-Gene ein wenig verdünnt werden", sagt er und lächelt. Er hat sieben Geschwister. Sie alle trügen dieselben Gesichtszüge.

Was für die Schäftlarner als "typisch Strobl" gelte? "Na ja, ein Teil ist mit uns verwandt, weitschichtig", sagt er. 17 Strobl-Haushalte gibt es laut Telefonbuch in Schäftlarn. Handyanschlüsse dürfte es weitaus mehr geben.

Von seinen sieben Geschwistern lebt nur eine Schwester in Schäftlarn. Der Rest hat sich im Oberland verstreut. Sie alle hätten guten Kontakt zueinander, sagt Strobl. "Zusammenhalt ist uns ganz wichtig, im Ganzen." Bodenständigkeit und Zuverlässigkeit zählt er als weitere wichtige Familienwerte auf.

Vor einigen Jahren gab es einmal ein großes Strobl-Fest - in einem Ort namens Strobl in Österreich, mit vielen fernen Verwandten. Womöglich kamen die Vorfahren mit Namen Strobl von dort? Eine offene Frage. Strobl ging nicht zu dem Treffen, "weil meine Arbeit mir sehr wichtig ist", sagt er. Er blieb beim Hof. "Das sind die Gene", erklärt er und schaut mit einem Schmunzeln auf.

"1313" steht auf dem Keramikschild am Hauseingang des Hofes. Seit jenem Jahr könnte es den Hof "am Glas" bereits geben. In Urkunden tauchte er erstmals 1457 auf. Damals hießen seine Besitzer "Clas" mit Nachnamen. "Der Hof ist nie verkauft worden", sagt Strobl. "Aber es waren nicht nur Söhne da, deswegen hat der Name gewechselt." Was "Clas" bedeutet, weiß Strobl nicht. Doch er erhebt sich, auf der Suche nach einem Buch. Eine Wanduhr tickt. Vom Beistelltisch schaut eine Frau aus einem Bilderrahmen herüber. Sie hat eine Nase wie Strobl - unverkennbar seine Mutter.

Mit einem Stammbaum kommt Strobl zurück. Er wurde von Hand geschrieben und eingerahmt. "1458 bis 1578 Stamm Clas" steht da. Aus Clas wird "Clähs" und schließlich "Schmelzer" und "Schmölzer". Und 1778 taucht zum ersten Mal der Name "Strobl" auf - Johann Strobl. Er müsse aus Mooseurach bei Königsdorf gekommen sein, vermutet Strobl, zumindest habe er das mal gehört.

Johann Strobl nannte seinen Sohn ebenfalls Johann, und der wiederum gab seinem Sohn denselben Namen. Franz Strobl - jener, der nun auf der Eckbank sitzt - trägt ebenfalls denselben Namen wie sein Vater. Der jüngste Franz Strobl ist heuer zwei Jahre alt und einer der fünf Enkel.

Franz Strobl senior und sein Sohn teilen sich die Hofarbeit. Der Vater kümmert sich um die 70 Kühe, der 34 Jahre alte Junior um 60 Hektar Ackerland. Vor 13 Jahren entschied der Senior, auf biologische Landwirtschaft umzusteigen. "Erstens haben wir nicht mehr erwirtschaftet, was notwendig war", sagt er. "Zweitens habe ich gesundheitliche Probleme gehabt durch die Pflanzenschutzmittel." Es sei "absolut der richtige Schritt" gewesen, kann er heute sagen. In der Geschichte des Hofes war es ein großer Schritt.

Bereits Strobls Vater wagte eine große Veränderung, als er den Stall zu einem Laufstall umbaute und die Kühe von ihren Ketten löste. "Er war ein Vordenker", sagt Strobl, auch im Hinblick auf die Technik und die Fahrzeuge. In Schäftlarn hätten sich daraufhin viele Bauern neue Traktoren zugelegt, sagt Strobl. "Es war ein richtiges Wettrüsten." Nicht alle Bauern seien einander wohlgesonnen gewesen.

Und doch, Strobl erinnert sich an eine Zeit, als die Traktoren noch kleiner waren und es um die 28 Landwirte in Schäftlarn gab. Wenn sich die Wege zweier Landwirte kreuzten, hielten sie an und unterhielten sich. "Heute sitzen wir auf großen Schleppern mit Kabinen, im einen Ohr das Handy, im anderen das Radio." Sein Großvater indes ritt noch auf Pferden.

Für Franz Strobl war schon immer klar, dass er als ältester Sohn den Hof übernehmen würde. Er wollte "mit lebender Materie, mit der Natur zu tun" haben. In eine jahrhundertealte Bauernfamilie hineinzuwachsen, das sei "einfach ein tolles Gefühl", sagt er. "Und ich hab' das Glück, dass mein Sohn den gleichen Gendefekt hat wie ich und den Hof übernehmen will."

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SZ vom 08.01.2021
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