SZ-Serie: Bau-Geschichten:Prosit mit Flair

Die Weinstube der Spirituosenhandlung Schwaighofer war eine der ersten Arbeiten des Architekten Gabriel von Seidl in Bad Tölz

Von Benjamin Engel, Bad Tölz

Das 115 Jahre alte Gästebuch der Tölzer Weinstube Schwaighofer befindet sich immer noch in Familienbesitz. Blättert Claus Janßen die Seiten des in Leder gebundenen Bandes durch, stößt er auf Namen von Kurgästen selbst aus Norddeutschland und dem damaligen Preußen - sehr viele Adelige, Künstler und weitere hochstehende Persönlichkeiten. Der Architekt Gabriel von Seidl (1848 bis 1913) hat sich bei einem Besuch im Jahr 1902 darin als "Hausmauerer" verewigt.

Seiner Bedeutung für die heutige Kreisstadt Bad Tölz wird das kaum gerecht. Die einheitliche Bebauung der Markstraße mit ihren giebelständigen Häusern samt alpenländischer Details, Schnitzereien und neobarocken Elementen im Heimatstil fußt auf seinen Entwürfen. Die Urgroßeltern von Claus Janßen - Max und Josefa Schwaighofer - hatten das Haus mit der heutigen Weinstube 1890 gekauft. Sechs Jahre später beauftragten beide den Münchner Architekten, die frühere Küche als Gastraum umzubauen. Es handelte sich um eine seiner ersten Arbeiten in der Kurstadt.

Die Inneneinrichtung der Weinstube mit der halbhohen, dunklen Holzvertäfelung, der umlaufenden Sitzbank und der Stuckdecke mit Weinranken ist bis heute weitgehend so erhalten, wie Seidl den Raum gestaltet hat. "Das ist etwas Besonderes", sagt der 57-jährige Janßen. Er betreibt den Wein- und Spirituosenhandel in der vierten Generation. Und er ist der 22. Besitzer des dazugehörigen Hauses seit dem 16. Jahrhundert. Das hat der Geschichtsbewusste - er ist Vorsitzender des Historischen Vereins Bad Tölz - herausgefunden. "Wenn man in so einem alten Haus aufwächst, hat man eine besondere Beziehung zum Gebäude. Man lebt in und mit so einem Haus. Es ist Teil von einem selbst. Man ist einfach verwachsen damit. Ich würde nie woanders einziehen wollen."

Angesichts der langen Reihe früherer Besitzer wird er nachdenklich. Manche seien im Magistrat von Bad Tölz gewesen, andere hätten wohltätige Stiftungen gegründet. "Generationen kommen und gehen, aber das Gebäude bleibt da."

Schon als Kind hat Janßen in der Wein- und Spirituosenhandlung mitgeholfen. Mit fünf Jahren durfte er seinem ersten Kunden einen Schnaps einschenken. Daran erinnert sich der Tölzer genau, womöglich, weil der Mann Kriegsinvalide war und eine Beinprothese hatte. An den Sonntagen spielte er im Laden mit den kleinen Schnapsflaschen Kaufladen, während seine Großmutter Maria Schwaighofer auf ihn aufpasste.

Sie hatte 1938 nur den Wein- und Spirituosenfachhandel weitergeführt, die Gaststube indes verpachtet. Ihr Mann Josef Janßen aus Wattenscheid war kurz zuvor gestorben. Alleine wollte sie beides nicht weiterführen. Sie gab das Lokal mit einem großen Gastraum im vorderen und der alten Seidl-Weinstube im hinteren Bereich ab. Beim Einmarsch US-amerikanischer Soldaten wurde die große Stube durch eine Panzergranate 1945 vollständig zerstört. Die Seidl-Stube blieb unversehrt.

2002 übernahm Claus Janßen den Laden von seinem Vater Karl und das Lokal mit dazu. Er gestaltete den vorderen Teil der Weinstube zu einem neuen Verkaufsraum um. Gemeinsam mit seinem Neffen Hannes führt er die traditionelle Herstellung von Schnäpsen und Likören in der eigenen Brennerei wie Enzian, Alpenkräuterlikör oder Leonhardischnaps fort.

Dass in der von Seidl gestalteten Weinstube heute noch die Gäste sitzen, gefällt Janßen. "Es ist gut, dass es nicht nur museal ist, sondern noch richtig benutzt wird", sagt er. Um es den Gästen bequemer zu machen, hat er eine helle Holzleiste an die umlaufende Sitzbank an der östlichen Raumseite angestückelt. Dank der Polsterauflage ist das praktisch kaum zu sehen. Seidl habe die Sitzbank uneinheitlich gestaltet, erklärt Janßen. An der westlichen Wand sei diese sehr breit, sodass die Gäste ohne Kissen im Rücken eigentlich zu tief vom Tisch entfernt säßen. Direkt gegenüber sei die Sitzbank dagegen ursprünglich so schmal gewesen, dass niemand länger bequem darauf sitzen könne.

Die Wanduhr direkt über der eigenmächtig verbreiterten Sitzbank stammt ebenfalls von Seidl. Mit einem Partner hat der Architekt laut Janßen in München einen Kunsthandel, eine Art Einrichtungshaus, betrieben. Dort habe es auch die Uhr gegeben. Damit seien auch andere Münchner Gaststätten ausgestattet worden. Kein Exemplar sei erhalten. Vier Allegoriebilder zu den vier Jahreszeiten umrahmten früher die Wanduhr. Die Gemälde bewahrt Janßen jetzt im ersten Stock seines Hauses auf. Sie standen den Wandlampen für die bessere Beleuchtung der Weinstube im Weg. Und auch ein Bild des bayerischen Königs Ludwig I., das früher ebenfalls dort hing, hat der Inhaber anderswo verstaut.

Etwas verblasst ist die von Seidl ebenfalls gestaltete Malerei auf der Fassade. Darauf prosten sich ein Wirt mit Schürze und sein Gast mit je einem Weinglas in der Hand zu. "Vivat zur Rechten, Vivat zur Linken. Redliche Freundschaft versüßet das Trinken", heißt es dazu. Dem Motto kann wohl auch Janßen zustimmen. "Beim Wein kommen die Leute zusammen und werden gemütlich. Manche Gäste reservieren im Urlaub immer wieder bei mir", sagt er.

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