Süddeutsche Zeitung

SZ-Kulturpreis Tassilo:Raus aus dem stillen Kämmerlein

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Der Konzertverein Isartal und sein Philharmonisches Orchester ermöglichen Laienmusikern, gemeinsam mit Profis sinfonische Werke aufzuführen. Davon profitiert auch das Publikum.

Von Susanne Hauck, Wolfratshausen

Die Kontrabässe sind schon da, nach und nach folgen die Flöten, die Fagotte, Oboen, und Klarinetten, die Bratschen und Celli, die Hörner, Posaunen, Trompeten und die Tuba. Und natürlich die Geigen. Um kurz vor acht Uhr herrscht konzentrierte Geschäftigkeit in der als Probenraum dienenden Aula des Ickinger Gymnasiums. Henri Bonamy, der einzige Profimusiker im Raum, hat schon auf dem Dirigentenstuhl Platz genommen und den Taktstock ergriffen. Zum ersten Mal steht die Sinfonie in d-Moll von César Franck auf dem Probenplan, im März soll sie aufgeführt werden. Es ist ein gefühlvolles Werk mit markanten Tonartwechseln. Gut vier Wochen haben sich die Musiker und Musikerinnen daheim schon vorbereitet.

Es ist die große Liebe zur Musik, die seit mehr als 30 Jahren Menschen im Alter von 20 bis 80 mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen dazu bringt, sich Woche für Woche zum gemeinsamen Musizieren einzufinden. Seit 1991 prägt das Philharmonische Orchester des Konzertvereins Isartal die kulturelle Landschaft im Landkreis entscheidend mit. Die Keimzelle schuf einst der Ickinger Matt Boynick. Aus einer Handvoll begeisterter Amateurmusiker aus der Umgebung formte er ein Ensemble, das sich nach ersten Erfolgen rasant zu einem großen symphonischen Klangkörper entwickelte.

Die Probe hat begonnen. Bonamy lässt einzelne Takte spielen, unterbricht immer wieder, um zu erklären und zu verbessern. "Können wir mal die Bläser haben?", sagt der Maestro. Ausdruck und Stimmung brauchen noch Feinschliff. "Bei Franck geht es um Klage und Verwandlung." Dann sind die Streicher dran, bitte vibrato und pianissimo und Achtung auf die lange Linie. Und, ganz wichtig: "Die letzte Note keinesfalls kurz spielen, wir sind nicht bei Haydn oder Mozart." Bonamy lobt mehr, als er kritisiert, aber er ist ein Klangtüftler, der nichts durchgehen lässt.

Endlich, nach einer Dreiviertelstunde heißt es: "Tutti, bitte!" An die 50 Instrumente lassen einen mächtigen schwelgerischen Klang anschwellen, der das Herz aufgehen lässt. Der Dirigent ist zufrieden. "Das war sehr schön."

Für viele Amateurmusiker kann die Bedeutung dieses Orchesters nicht hoch genug eingeschätzt werden. Statt im stillen Kämmerlein vor sich hin zu spielen, erleben sie die Freude des gemeinsamen Musizierens und bekommen die Gelegenheit zum Auftritt mit einem großen Sinfonieorchester und vielen verschiedenen Instrumenten.

Zugleich bringt der Verein dem Publikum berühmte sinfonische Werke von Komponisten wie Haydn, Mozart, Beethoven oder Schubert nahe, die sonst nur in den Metropolen zur Aufführung kommen. Und das quasi vor der Haustür, meist in der Loisachhalle Wolfratshausen und zum kleinen Preis. Die Zusammenarbeit mit professionellen Solisten und Konzerte von Gastensembles sind weitere Markenzeichen der Reihe "Klassik pur im Isartal", die der Verein organisiert.

Im Orchester sitzen Ärzte, Lehrerinnen, Anwältinnen, Architekten, Angestellte, Kauf- und Versicherungsleute, Programmierer und Steuerberaterinnen; ein Pater aus Kloster Schäftlarn ist dabei und eine geflüchtete elfjährige Ukrainerin, ebenso ein Geigenbauer und mehrere Musiklehrer und -lehrerinnen, aber kein einziger Profimusiker. Alle sind sie talentierte Amateure. Das Üben in der Freizeit - bei vielen noch neben dem Beruf - gehört dazu.

Markus Legner ist von Beginn an dabei, so wie Heinrich von Stackelberg, Hedi Schütze und Sybille Dimbath. Legner hat als Arzt am Wolfratshauser Krankenhaus gearbeitet und im vergangenen Jahr den Vorsitz im Konzertverein übernommen. Er spielt Kontrabass. "Der ist meistens ein Begleitinstrument", sagt er. "Dafür setze ich mich ungefähr zweimal die Woche für eine Stunde hin."

Rose Scharf muss da als erste Geige noch deutlich mehr tun. Dreimal wöchentlich zwei Stunden sei ihr Pensum, sagt die Deutschlehrerin im Ruhestand, deren Mann Klaus-Peter die Trompete spielt. Wie diese drei haben auch viele andere Orchestermitglieder von klein auf ein Instrument gelernt und später in Studentenorchestern erste Erfahrungen gesammelt. Manche aber auch nicht.

"Es ist die Freude an der Musik, die zählt", sagt Legner. "Unsere Philosophie ist, dass kein Zwang dahinter stehen soll." So gibt es - reichlich ungewöhnlich - weder ein offizielles Vorspielen noch eine Probezeit. Jeder, der es sich zutraue, sei willkommen. Die Leistung reguliere sich sowieso von selbst, sagt Legner verschmitzt: "Es will sich ja keiner neben einem guten Nebenmann blamieren." Geübt werde dann automatisch mehr. "Die Besseren ziehen auf diese Weise die Schlechteren mit."

Dabei wird durchaus Rücksicht auf die Leistungsunterschiede genommen. Das Orchester spielt normalerweise keinen Bruckner oder Mahler, weil die Anforderungen zu hoch wären. Vor Weihnachten gab's aber ausnahmsweise die "Nullte" von Bruckner. "Die war sauschwer und hat einige von uns ins Schwitzen gebracht." Dass die Schwächeren bei solchen Stücken eine Runde pausieren, werde ohne Weiteres akzeptiert. Genauso viel Verständnis haben die Mitglieder, wenn jemand eine Weile aussetzt, wenn er gerade viel um die Ohren hat.

Unter erfahrenen musikalischen Leitern wie Günther Weiß, Christoph Adt und seit 2019 Henri Bonamy konnte das Orchester, das sich von den Abonnements, Zuschüssen und Sponsoren finanziert, in den vergangenen 30 Jahren sein Profil ungeheuer schärfen. "Vor zehn, 15 Jahren hätten wir uns das gar nicht vorstellen können", sagt Legner. Das anspruchsvolle Repertoire reicht von Barock über Klassik und Romantik bis zur Musik des 20. Jahrhunderts.

Für Legner ist ein Orchester ein extrem faszinierender Organismus, wenn 50 oder mehr Individuen zusammenkommen und für ein, zwei außergewöhnliche Stunden zu einem musikalischen Körper zu verschmelzen und kraft dieses Zusammenspiels das Publikum mitreißen und in eine andere Welt entrücken können.

So ist die Motivation hinter all der Plackerei das gemeinsame Musizieren, das gekrönt ist vom Konzertauftritt. "Die Aufführung macht das ganze Ackern über drei oder vier Monate hinweg wieder wett", schwärmt Legner. "Das ist so ein tolles Erlebnis, das einen für alle Mühe entschädigt und fürs nächste Stück beflügelt."

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