SZ „Gute Werke“:Supermarkt für einen Nachmittag

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Hans Besch, Heidemarie Ritter und Ellen Lütze (v. li.) von der Geretsrieder-Wolfratshauser Tafel sind bereit für die Ausgabe. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Geretsrieder-Wolfratshauser Tafel, die inzwischen etwa 400 Bedürftige versorgt, ruft immer montags zur Ausgabe in die Jeschkenstraße. Die Klienten wissen den reibungslosen Ablauf zu schätzen – und freuen sich auch über kleine Besonderheiten.

Von Anja Brandstäter, Geretsried

Jeden Montagnachmittag ist Ausgabe bei der Geretsrieder Tafel. Und diesmal erhält sie eine besondere Spende: Die vierjährige Sophie trägt eine ganze Palette Schokoladen-Nikoläuse in den ersten Stock des Gebäudes in der Jeschkenstraße 22. Auch ihre Mutter und ihr kleiner Bruder sind dabei und helfen dabei, die insgesamt 102 der in Silberfolie gewickelten Köstlichkeiten in den Ausgaberaum zu befördert. Dort kommt ihre Spende in ein Regal voller Konserven und unverderblicher Lebensmittel wie Zucker, Marmelade, Nudeln oder Reis. Hans Besch hilft der Familie beim Einräumen. Er ist einer von zehn Freiwilligen, die an diesem Ausgabetag mit anpacken. Sophie erzählt, dass das ganze Dorf Hechenberg beim Martinsumzug spontan Geld für die Tafel eingesammelt habe, und diesen Betrag hätten sie in Schokoladen-Nikoläuse umgesetzt. Die Vierjährige ist ziemlich aufgeregt, denn sie möchte am liebsten jedem persönlich einen Nikolaus schenken. Aber da muss sie sich noch etwas gedulden.

Hans Besch portioniert die Walnüsse aus einer großen Plastikbox in kleine Schachteln, so dass jeder Bedürftige gleich viele erhält. Er beeilt sich, denn es ist fast 16 Uhr, und um diese Uhrzeit beginnt normalerweise die Verteilung. Und jetzt kommt auch noch eine ganze Ladung Obst und Gemüse aus den Supermärkten. Helfer tragen zudem eine ungewöhnlich große Blumenspende in den Ausgaberaum. Heidemarie Ritter, die Vorsitzende des Vereins Geretsrieder-Wolfratshauser-Tafel, nimmt letzte Handgriffe vor, damit die Ausgabe schnell und geordnet abläuft. „Wir wissen nie, was wir bekommen“, sagt sie, „und wir wissen nie, wie viele Menschen kommen.“

Besondere Ware: Insgesamt 102 Schoko-Nikoläuse hat das Dorf Hechenberg von Spenden bei Martinsumzug gekauft und der Tafel gestiftet. (Foto: Hartmut Pöstges)

Auf ihre Mitstreiter kann sie sich jedenfalls verlassen. Ellen Lutze etwa kümmert sich um das Brot und die Backwaren. Die geviertelten Laiber schichtet sie sorgfältig in ein Regal. Auf den Tischen stehen vier große Wannen, die mit Kleingebäck gefüllt sind: Croissants, Mohn- und Nussschnecken, süßes Kleingebäck und Semmeln.

Schräg gegenüber sortieren engagierte Frauen Obst und Gemüse, denn die Kisten, die gerade eingetroffen sind, beinhalten die unterschiedlichsten Lebensmittel: Neben Salatköpfen liegen Orangen, Paprikaschoten, Rosenkohl, Radieschen im Bündel oder Gurken. In Windeseile haben die Helferinnen die Lebensmittelspenden nicht nur nach Gemüse und Obst getrennt, sondern die einzelnen Sorten in eigene Kisten gepackt und ins Regal gestellt. Es sieht fast aus wie in einem Kramerladen: übersichtlich und appetitlich. Auf der anderen Seite des Raumes befindet sich eine Frisch-Theke mit Käse, Milchprodukten und Wurstwaren.

Sortiert und schön präsentiert: Mit den Gemüse- und Obstkisten wirkt die Ausgabestelle in der Jeschkenstraße wie ein Kramerladen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Um kurz nach 16 Uhr warten die Menschen bereits geduldig vor dem Eingang der Tafel. Die meisten Klienten kennen sich schon. Viele von ihnen sind Geflüchtete, stammen aus Syrien, Afghanistan und aus der Ukraine. Ritter begrüßt die Menschen und kontrolliert ihre Berechtigungsscheine. Außerdem zieht jeder, der zur Tafel kommt, eine Nummer und wartet, bis diese aufgerufen wird. „Das geschieht nach dem Zufallsprinzip“, erklärt Heidemarie Ritter. Gerangel gibt es nicht, die Ausgabe läuft sehr geordnet ab.

Ein neunjähriger Junge aus der Ukraine begleitet seine Großmutter. Er spricht perfekt Deutsch und geht seit zweieinhalb Jahren hier in die Schule, wie er erzählt. „Ich habe eine nette Lehrerin“, sagt er. Gleich sind sie dran, seine Oma hat die Nummer drei gezogen. Der Junge wartet geduldig ab, welche Lebensmittel sie diesmal auswählt, und hilft ihr dann, die Waren nach Hause zu tragen.

Daneben freut sich ein Vater mit seinem Sohn: Die beiden holen Lebensmittel für ihre Großfamilie, auch das ist auf der Berechtigungskarte notiert: für acht Personen. „Das ist eine gute Einrichtung“, sagt der Mann, der vor drei Jahren mit seiner Familie aus Afghanistan geflohen ist. Mit seinem Sohn packt er Gemüse, Obst, Reis, Milch und Eier in seine Tüten.

Auch Schnittblumen können die Tafel-Berechtigten mitnehmen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Tafel in der Jeschkenstrasse ist auch zu einem Treffpunkt geworden. Während die Menschen warten, bis sie an der Reihe sind, kommen sie miteinander ins Gespräch. Kinder sind willkommen, sie können in einer Ecke spielen. „Momentan haben wir viele Menschen aus Aserbaidschan“, berichtet Heidemarie Ritter. Bei Verständigungsschwierigkeiten behelfe man sich mit einer Übersetzungs-App auf dem Smartphone. Der Ablauf bei der Ausgabe der Tafel, das wird schnell klar, ist perfekt organisiert. „Wir sind ein tolles Team und es funktioniert sehr gut“, sagt die 71-Jährige. „Das Anstrengendste ist der Aufbau.“ Derzeit engagieren sich 94 Menschen ehrenamtlich für die Geretsrieder-Wolfratshauser-Tafel. „Es ist gut, dass wir so viele sind, denn wir werden nicht jünger“, sagt Ritter. Den Verein gibt es seit 1998. Momentan versorgt er an die 400 Menschen mit Lebensmitteln, die sonst teilweise im Abfall landen würden.

An den Verteilertagen sind vier Helfer mit zwei Autos unterwegs, um die Lebensmittel abzuholen. „Die Geschäfte wissen, dass wir kommen. Auch das ist vorher bereits abgesprochen“, erklärt Ritter. Damit dies alles möglich ist, ist die Tafel auf Unterstützung angewiesen. „Wir haben hohe Energiekosten, denn wir müssen zum Beispiel tanken.“ Doch nun stehen die Engagierten vor einer neuen Herausforderung: Der Lagerraum im Keller in der Jeschkenstraße muss renoviert werden. Es geht um Hygiene. „Der Bauhof in Geretsried ist immer hilfsbereit. Die Wände müssen gestrichen werden und wir haben kein Regal, in dem wir Konserven ordentlich lagern können“, sagt die Vorsitzende.

Die Tafel benötigt daher dringend ein großes solides Metallregal – am besten eine Maßanfertigung, um die Gegebenheiten perfekt zu nutzen, erläutert Ritter. Im Keller des Gebäudes in der Jeschkenstraße befindet sich ein Lagerraum, der renoviert werden muss. „Wir brauchen ein Regal, das absolut stabil ist, um die Konserven unterzubringen“, sagt die Vorsitzende. Von Schoko-Nikoläusen allein kann schließlich keiner leben.

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