SZ-Adventskalender:"Das macht die Leute fertig"

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Die Wohnungsnot im Landkreis ist mittlerweile so groß, dass auch Angestellte mit Arbeitsvertrag nichts mehr finden und in einem schäbigen Hotelzimmer oder in der Notunterkunft landen.

Von Susanne Hauck, Bad Tölz

Es kann jeden treffen: Familien mit Kindern, Singles, die Oma mit der kleinen Rente von nebenan. Die Wohnungsnot im Landkreis ist mittlerweile so brutal, dass sogar Angestellte mit festem Gehalt nichts mehr finden. "Wir haben hier das Riesenproblem, dass es Arbeit ohne Ende gibt, aber keine Wohnungen", sagt Barbara Stärz, 40, Leiterin der Beratungsstelle der Caritas in Bad Tölz. Zu den Verlierern gehören auch Alleinerziehende oder Besitzer von Haustieren. Plötzlich auf der Straße zu stehen, geht schneller als man denkt. "Die Mama schmeißt den Sohn raus, weil er ständig Ärger macht, Frauen flüchten vor ihrem gewalttätigen Mann, bei einer Scheidung wird das gemeinsame Haus verkauft", zählt Stärz auf. Und wer einmal das Dach über dem Kopf verloren hat, tut sich schwer, ein neues zu finden.

So eine Abwärtsspirale schildert sie an einem typischen Beispiel einer Familie. Er arbeitet als Handwerker, sie in der Altenpflege, der kleinen Kinder wegen in Teilzeit. Sie haben ein mittleres Einkommen und ein nettes Zuhause im Landkreis. Dann passiert es: Er fängt einen neuen Job an. Doch der Chef entpuppt sich als Choleriker, der ihn wegen jeder Kleinigkeit zur Schnecke macht. Noch in der Probezeit kommt die Kündigung. Schnell ist das Konto leer, weil das Einkommen der Frau hinten und vorne nicht reicht. Das Ehepaar schafft es nicht mehr, die Miete zu zahlen. Mit dem Familienfrieden ist es auch dahin, weil es jeden Tag Streit ums Geld gibt. Zur Krönung liegt kurz darauf die fristlose Kündigung im Briefkasten.

"Dass Familien im Handumdrehen überschuldet sind, wenn der Hauptverdiener arbeitslos wird, passiert sehr häufig", erklärt Stärz. Weil viele Betroffene vom Papierkram völlig überfordert seien, würden sie sehr schnell den Überblick über ihre finanziellen Verhältnisse verlieren. "Das kommt auch daher, dass sie erstmal total unter Schock stehen", weiß Stärz aus Erfahrung. "Und es dauert halt seine Zeit, bis alle Belege fürs Kindergeld und Wohngeld beisammen sind oder der Arbeitslosenantrag bewilligt ist." Im Fall der Beispiel-Familie ist zwar nochmal alles gut gegangen. Auch, weil Barbara Stärz mit dem Vermieter vereinbaren konnte, dass er die Miete stundete, bis die Familie die ihr zustehende Unterstützung bekam. Aber so läuft es nicht immer.

Eigenbedarfskündigungen sind inzwischen mit der häufigste Grund, warum jemand auf der Straße steht. "Sie haben enorm zugenommen", ist die Erfahrung von Barbara Stärz, weil es der einfachste Weg sei, jemanden loszuwerden. Und auch Menschen in stabilen Verhältnissen haben dann das Problem, dass sie nichts mehr finden. So musste eine Rentnerin aus Bad Tölz, die ihr ganzes Leben gearbeitet hatte, mit Mitte 70 wegen Eigenbedarfs aus ihrer Wohnung raus. Eigentlich waren ihre Wünsche waren bescheiden: ein bis zwei Zimmer, ebenerdig, die Katze sollte miteinziehen dürfen und das Ganze einigermaßen bezahlbar sein. Aber trotz monatelanger Suche ergab sich nichts, was sie sich mit ihrer Rente hätte leisten können. Schlussendlich landete die alte Dame in einem Hotel, das Zimmer für Monteure und Wohnungslose vermietete. So ein Unterschlupf, der nicht länger als ein halbes Jahr erlaubt ist und keinen Kündigungsschutz genießt, kostet rund 600 Euro im Monat.

Barbara Stärz leitet die Wohnungslosenhilfe der Caritas in Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

"Es handelt sich dabei um verdeckte Obdachlosigkeit", erklärt Stärz' Kollege Robert Pölt. Wer so lebt - und das tun viele - hat offiziell keinen festen Wohnsitz mehr. Diese Lebenssituation hinterlässt Spuren in Psyche und Körper: "Die Leute ernähren sich schlecht, weil sie sich im Hotel nichts kochen können und keinen Kühlschrank haben, die Klamotten fangen an zu stinken, weil es keine Waschmaschine gibt", berichtet der 42-Jährige. "Und weil es keinen Kündigungsschutz gibt, kann es passieren, dass sie von heute auf morgen raus müssen, wenn im Frühling wieder die Touristensaison anfängt."

Aber immerhin bietet so ein Hotelzimmer wenigstens noch einen Rückzugsort und die Möglichkeit, die Tür hinter sich zumachen zu können. Anders als in den Notunterkünften im Landkreis, die die Kommunen für Obdachlose bereithalten müssen. Wer hier strandet, ist nie allein. Sondern teilt ein spartanisches Zimmer mit anderen, schläft im Stockbett und hat nicht mehr als einen eigenen Spind. Warmes Wasser zum Duschen ist oft Mangelware. Entgegen dem Klischee leben hier nicht nur Hartz-IV-Empfänger oder Obdachlose mit Alkoholproblemen, sondern auch Menschen, die einen Job haben, aber keine bezahlbare Wohnung mehr finden: Bauarbeiter, Handwerker, Pflegekräfte, Küchenhilfen, Saisonkräfte aus der Tourismusbranche, Azubis. "Für kurze Zeit ist das schon zumutbar, aber wenn es jahrelang ohne Perspektive so geht, ist das eine Riesenbelastung", sagt Pölt. "Wenn man morgens aufstehen und acht Stunden in die Arbeit soll, aber seit zwei Wochen nicht schlafen kann, weil der Spinner nebenan jede Nacht rumort, dann macht das die Leute fertig. Es ist Wahnsinn, wie schnell man runterkommt." Viele fingen dann doch das Trinken an, Depressionen seien an der Tagesordnung. "Wer zwei Jahre in einer Notunterkunft lebt, ist nervlich am Ende."

Deswegen ist die Wohnungslosenberatung der Caritas im Klosterweg 2 auch eine unbürokratische, ja familiäre Anlaufstelle. Dort sieht es eher aus wie in einem Wohnzimmer als einem Büro. Es gibt einen Kühlschrank, Lebensmittel, Bier, Tabak, Bücher zum Ausleihen, eine Kleiderkammer und mit einer Dusche und einer Waschmaschine Möglichkeiten für die Hilfesuchenden, sich und ihre Sachen zu pflegen. Barbara Stärz und Robert Pölt helfen bei Behördengängen und Rechtsangelegenheiten, besorgen übergangsweise Ferienwohnungen, wenn jemand plötzlich vor der Tür steht, wie neulich ein verzweifeltes Paar, das mit einem Dutzend Haustieren im Auto eine Odyssee durch halb Europa hinter sich hatte. Sie versuchen drohende Wohnungslosigkeiten abzuwenden und suchen nach Lösungen, bei denen manchmal nichts anderes übrigbleibt, als aus dem Landkreis wegzuziehen. Manches Rentnerpaar habe sich einen Ruck gegeben und sei in den Bayerischen Wald gezogen, wo die Mieten noch billiger sind. Einige Hartz-IV-Empfänger hätten erfolgreich einen Neuanfang in den neuen Bundesländern hingekriegt, wo es noch leerstehende Wohnungen gibt.

Weil die alte Waschmaschine in der Caritas-Wohnberatungsstelle kaputt gegangen ist, würde ein neues Gerät sehr helfen. Was ebenfalls auf der Wunschliste steht, ist die Anschaffung von Schlafsäcken für die Hilfesuchenden. Manches Klientel campiert im Sommer auch lieber im Freien als in der Notunterkunft. Aber die gespendeten Zelte aus der Kleiderkammer sind oft nicht mehr richtig wasserdicht, deswegen würden neue Zelte gute Dienste leisten.

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