SZ-Adventskalender:Martyrium nach Snowboard-Unfall

Nach neun Operationen in fast zehn Jahren lebt Anna L. derzeit von nur 100 Euro im Monat

Von Claudia Koestler

Snowboard-Weltcup in St. Vigil: Boardercross

Nach einem Unfall mit dem Snowboard ist das Kreuzband von Anna L. immer wieder gerissen. Die vielen Operationen haben die gesamte Lebensplanung der jungen Frau über den Haufen geworfen.

(Foto: dpa)

Immer wieder stellt sie sich diese quälende Frage: Was wäre gewesen, wenn sie an jenem Tag nicht die Snowboardschuhe angezogen hätte, wenn sie nicht das Board gepackt und auf die Piste gegangen wäre? "Aber das macht einen nur verrückt. Es ist, wie es ist, und da muss ich jetzt eben durch", sagt Anna L. (Name geändert, Anm. d. Red.) und zeigt sich kämpferisch.

Die junge Frau wirkt auf den ersten Blick typisch für jemanden unter 30, der mitten im Oberland aufgewachsen ist: frisch und fröhlich, geerdet und heimatverbunden, und vor allem sportbegeistert. Erst mit der Familie, später dann mit Freunden zog es Anna L. immer schon nach draußen, wie sie erzählt. Zum Spielen, zum Radeln, zum Wandern und eben auch zum Ski- und Snowboardfahren in den Bergen vor der Haustüre. Doch der erste Blick täuscht. Wenn sie aufstehen und gehen will, bemerkt man, dass ihr rechtes Bein in einer dicken Schiene stabilisiert werden muss - und das ihr jeder Schritt wehtut. In diesen Momenten wirkt Anna L. wie jemand, der schon viel im Leben mitgemacht und unter der zehrenden Last viele Kräfte gelassen hat.

Es war ein massiver Kreuzbandriss, denn sich die junge Anna L. vor rund zehn Jahren bei einem Unfall auf der Piste zugezogen hat - und der ein jahrelanges Martyrium nach sich zog. Denn die Operation und die Heilung verlaufen alles andere als nach Plan; in der Folge muss Anna weitere neun Operationen in neuneinhalb Jahren durchstehen. Dennoch ist ihr Bein bis heute nicht normal belastbar, die erst genähten, später ersetzten neuen Kreuzbänder reißen ihr wiederholt, der Knorpel wird geschädigt.

"Der Unfall mit dem Snowboard war das einzige Mal, dass es wirklich eine nachvollziehbare Ursache gab, dass das Kreuzband riss", erzählt sie. Kurz nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatte, reißt das Kreuzband erneut - "einfach so, beim Aufstehen", erinnert sich Anna L. Und dabei bleibt es nicht. Insgesamt fünf Mal reißt ihr das Kreuzband im rechten Bein trotz Operationen, Schienen und Ruhe. Acht Jahre lang lässt sie sich bei einem Kniespezialisten behandeln, doch auch der Experte weiß irgendwann nicht mehr weiter, zumal neben dem Kreuzband auch das Innenband mehrfach reißt. Sie wechselt nach München, dort vermuten die Mediziner, dass es von einer Fehlstellung ihres Beines herrühren könnte - und korrigieren in einer aufwendigen weiteren Operation die Stellung ihres Schienbeins. "Der Knochen wurde quasi etwas verformt, damit die Bänder nicht überstrapaziert werden", erklärt sie. Doch da ist bereits der Knorpel geschädigt.

Fast zehn Jahre in Behandlung, die zahlreichen Operationen, all das schlägt der jungen Frau aufs Gemüt, wie sie sagt. Zumal es sie komplett aus ihrer eigentlichen Lebensplanung wirft: "Durch die vielen OPs und Rehas konnte ich nach meiner Ausbildung nicht mehr in meinem Beruf weiterarbeiten, das ist richtig schlimm für mich." Denn sie habe sehr gerne als Verkäuferin gearbeitet. Doch der ganze Tag sei inzwischen verplant mit den vielen Bausteinen, um endlich wieder gesund zu werden, von der Physiotherapie bis hin zur Arztbesuchen.

Inzwischen bezieht Anna L. Hartz IV, nach Abzug der Miete für ihr kleines Ein-Zimmer-Apartment bleiben ihr zwischen 80 und 100 Euro zum Leben im Monat. Nicht viel, um sich neben Nahrungsmitteln nötige Anschaffungen wie eine gute Matratze, Winterschuhe und -kleidung oder gar mal einen Computer zu leisten. "Wenn ich Freunde und Familie nicht hätte, ich wüsste nicht, wie ich über die Runden kommen sollte." Zumal ständig Ausgaben kämen, "die man nicht kalkulieren kann, die Rezepte etwa."

Dazu komme die Scham: "Man wird ja wahnsinnig schnell in eine Schublade gesteckt, wenn man jung und arbeitslos ist, so von wegen, die will nicht." Das aber stimme bei ihr ganz und gar nicht: "Das ist keine Lebensqualität, in meinem Alter so eingeschränkt sein zu müssen. Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen, als rauszugehen, rauszukommen, anzupacken und etwas aufzubauen." Stattdessen, fügt sie leise an, fehlten ihr nun zehn wichtige Jahre. Und es bleibt die Angst, dass sie es nicht alleine in der Hand hat, das zu ändern. "Es ist echt krass, wenn einen der eigene Körper so im Stich lässt."

Eine Operation steht noch an, dann kann hoffentlich auch bei Anna L. der endgültige Heilungsprozess beginnen - und sie an ihr altes, junges Leben anknüpfen. "Ich will mich umschulen lassen, denn die Ärzte sagen, dass ich nicht viel stehen sollte, sondern mindestens 40 Prozent im Sitzen arbeiten sollte." Ihr größter Wunsch wäre es, Goldschmiedin zu werden, oder aber Arbeitserzieherin. Und wie zum Beweis, dass sie endlich durchstarten will, hat sie in beiden Bereichen schon Praktika gemacht und überzeugt. Jetzt braucht es nur nur noch das Okay der Ärzte.

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