SZ-Adventskalender:Kraftort für Co-Therapeuten

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Zäune und Koppeln für die Tiere im Eurasburger Inselhaus waren marode. Inzwischen können die Ziegen und Pferde dort dank Spenden der Leser wieder Ruhe finden, nachdem sie ihrerseits Kindern geholfen haben.

Von Veronika Ellecosta, Eurasburg

Auf dem Rücken der Pferde erwerben Kinder Mut und Selbstvertrauen. Die Tiere eignen sich mit ihrem Feingespür besonders als Co-Therapeuten. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Rentnerpferd Moses darf als einer der ersten die neue Koppel des Inselhauses Eurasburg betreten und bewundern. Die Erde ist frisch aufgeworfen, wurde doch in den letzten Tagen erst der abschüssige Hang vor den Stallungen begradigt. Alte Pferde, sagt Elke Burghardt, Assistentin der Geschäftsführung, könnten aufgrund des verlangsamten Stoffwechsels das Winterfell nur schwer selbst abwerfen- deshalb hat man im Inselhaus etwas nachgeholfen und Moses für den Sommer geschoren. Gleichzeitig hat Elke Burghardt dem Pferd einen neuen Haarschnitt verpasst: Auf dem Po von Moses prangt nun ein Fell-Herz. "Koppel mit Herz", lacht Burghardt.

30 Jahre hat das Rentnerpferd auf dem Buckel, mindestens 20 davon hat es im Inselhaus in Eurasburg zugebracht. In seiner aktiven Dienstzeit war Moses als heilpädagogisches Pferd für die Kinder hier tätig. Nun darf er die Erneuerungen und den Umbau der Stallungen miterleben. Dank der Spenden von Lesern konnte nämlich der "Adventskalender für gute Werke" der Süddeutschen Zeitung im vergangenen Jahr Gelder für das Inselhaus zur Verfügung stellen, um der tiergestützten Pädagogik dort Unterstützung zukommen zu lassen. Die Finanzspritze war auch dringend notwendig: Neben den maroden Pferdeställen und dem Koppelzaun muss auch der Ziegenauslauf elektronisch umzäunt und das Ziegengehege ausgebessert werden. "Die Ziegen entkommen durch jedes kleine Loch. Wir waren oft unterwegs, um sie wieder einzufangen", schildert Burghardt. Die Ausbruchsserien der Ziegen haben glücklicherweise ein Ende gefunden. Mit den Spendengeldern hat das Inselhaus das Waldstück der Ziegen bereits im Mai mit elektrischem Zaun eingegrenzt.

Im Kinderheim Inselhaus werden Pferde, Hunde und Ziegen als Co-Therapeuten eingesetzt. Seit 1985 bietet das Inselhaus tiergestützte Pädagogik an. Burghardt bezeichnet die Tiere gerne als Türöffner. Viele der 18 Kinder kämen aus schwierigen familiären Verhältnissen und hätten Beziehungsbrüche hinter sich. "Einige werfen erst einmal ihren Ranzen in die Ecke, wenn sie von der Schule kommen, und erzählen den Tieren von ihrem Tag. So bekommen auch wir mehr Zugang zu den Kindern", sagt sie. Kuscheln und Streicheln und vor allem haptische Wahrnehmung sei Balsam für die Kinderseelen. Gerade weil Tiere dazu aufforderten, sie mit allen Sinnen zu spüren und wahrzunehmen, könnten Kinder neues Vertrauen in sich selbst gewinnen. Besonders im Umgang mit den Pferden würden die Kinder lernen, ihr Verhalten zu regulieren. Vom Feingespür der Pferde ist Burghardt immer noch fasziniert. "Die Pferde spüren genau, wenn das Kind unruhig ist. Dann kommt es nicht her." Deshalb müsse sich das Kind erst sammeln, um ein Pferd zu sich führen zu können. Dabei sei verbale Kommunikation mit den Tieren gar nicht so vordergründig. "Nonverbale Sprache sagt viel mehr."

Begleitet werde die tiergestützte Pädagogik von psychologischen Fachkräften und Pädagogen. Bei der Bewältigung gemeinsamer Aufgaben mit den Tieren lernen Kinder mutig zu werden und sich angemessen durchzusetzen. Es geht auch darum, Verantwortung für das andere Lebewesen zu übernehmen, genauso wie sich getragen fühlen und fallen lassen zu dürfen. Besonders in der Reithalle im Grundstück erlebten die Kinder Erfolgserlebnisse, wenn sie lernten, das Pferd ohne Strick zu führen. Wenn das Pferd das Kind als Chef akzeptiere und ihm vertraue, seien das rührende Szenen, findet Burghardt.

Die neugierigen Ziegen beobachten das Treiben am Eurasburger Inselhaus. Ausbrechen können die Tiere allerdings nicht mehr: Der marode Zaun wurde dank der Spendengelder von SZ-Lesern repariert. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die sechs Pferde des Inselhauses sind eigens ausgebildet für den Umgang mit den Kindern. Charakterlich müssten die Tiere höchst sensibel auf die Kinder reagieren können, gleichzeitig auch geduldig und sanftmütig sein. "Wenn da ein Pferd mit einem Kind auf dem Rücken scheut, können die Kinder das Vertrauen nicht aufbauen", sagt Burghardt. Durch die Stallungen soll deshalb auch eine artgerechte Haltung ermöglicht werden, damit die Pferde seelisch ausgeglichen bleiben. In den großen offenen Ställen wurde mit den Spendengeldern der Boden neu verlegt. Es gibt nun auch einige Trennwände mit mehr Heunetzen und Futterstellen für die Pferde. Das sei wichtig, betont Burghardt, weil die Pferde nur gemäß ihrer Rangordnung fressen. Mit mehr Futterstellen gibt es auch keinen Stress zwischen den Tieren und sie kommen sich nicht in die Quere. Die neuen Futterstellen, Netzbeutel mit Heu, sind außerdem so engmaschig gestaltet, dass die Pferde auch lange und ausgiebig daran fressen können und den ganzen Tag beschäftigt sind. Für die tierischen Co-Therapeuten ist es wichtig, ausgelastet zu sein.

Rentnerpferd Moses hat sich mittlerweile in den kleineren und älteren Recki-Stall zurückgezogen. Sein Pferde-Po mit Herz ragt aus dem offenen Stall hinaus, während er laut schnaubend Heu aus einem Netz rupft. Den Koppelgang zuvor hat Moses sichtlich genossen. Weil der Elektrozaun ständig ausfiel, waren die Wiesen vor der Spendenaktion oft nicht nutzbar. Jetzt hat das Inselhaus die Wiesen mit einem Akazienzaun umkoppelt, denn Akazie sei ein lange haltbares Holz. Die Pferde grasen nun gemütlich in ihrer neuen alten Heimat. Der Hang ist mit neuen Pfählen gestützt, auch der Zaun des Reitvierecks ist repariert worden und die Ställe sind mit neuen Stromlitzen und einem Stromgerät versorgt. Fehle nur noch das Tor zur Koppel, sagt Elke Burghardt.

Moses mit dem Herz im Fell... (Foto: Harry Wolfsbauer)
© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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