SZ-Adventskalender: Hilfe für die Frühförderung:Damit Paul wieder Sprechen lernt

In der Frühförderstelle Bad Tölz werden Kinder therapiert, die eine Behinderung oder Entwicklungsverzögerung haben. Schon Säuglinge zählen zu den Klienten.

Von Ingrid Hügenell

Wenn sich Paul (Namen der Kinder geändert) ärgert oder freut, ist das kaum zu merken. Der Vierjährige kann nicht sprechen. Seit einem Unfall im Sommer 2016 ist der Bub, ein zartes, blondes Kind, im Wachkoma. Aber er reagiert - sein Puls steigt, wenn er sich aufregt. Ein Messgerät an einem seiner Finger piepst dann. So wissen seine Eltern, Pfleger und auch die Therapeutin, dass das Kind wahrnimmt, was um ihn herum vorgeht. Es gibt Hoffnung, dass sich sein Zustand noch weiter bessert. Das nächste Ziel formuliert Ergotherapeutin Stefanie Fischer: Paul soll wieder kommunizieren können. Wie viel darüber hinaus möglich ist, weiß momentan niemand.

Paul ist eines von 250 Kindern, die pro Jahr in der Tölzer Frühförderstelle der Klinik Hochried mit zwölf Angestellten und einigen Kooperationspartnern betreut werden. Wie deren Leiterin Anja Rohde erklärt, erhalten schon Säuglinge dort Therapien, vor allem Frühgeborene. Das Angebot reicht bis zum Vorschulalter. Die Therapeutinnen fördern die Kinder im sprachlichen und motorischen Bereich, stärken ihr Selbstvertrauen und arbeiten mit den Eltern, die oft auch Beratung brauchen.

SZ-Adventskalender Frühförderung

Stefanie Fischer hilft Paul, einen bunten Kreisel zu bedienen.

(Foto: Manfred Neubauer)

Sechs mal 60 Minuten pro Woche erhält Paul eine Behandlung: Ergo-, Logo- und Physiotherapie. Normalerweise kommen die Therapeutinnen zu ihm nach Hause, das ist für die Eltern eine Erleichterung, die sich mit Hilfe der Pfleger um den Buben kümmern. "Das ist schon kräftezehrend", sagt Pauls Mutter. "Er kann nichts alleine." Sie beugt sich zu ihrem Sohn hinunter, nimmt sanft seine Hände und spricht leise mit ihm. Sie lobt seine Fortschritte.

Langsam und behutsam häuft Stefanie Fischer blauen Kinetik-Sand auf Pauls Hand. Die Therapeutin erklärt dem Buben jeden Schritt ganz genau. Er soll sich nicht über Unvorhergesehenes wie ein lautes Geräusch erschrecken. Ob er etwas versteht? Dafür gibt es Anzeichen. Der Bub sitzt in einem Spezialbuggy, die Augen hat er geöffnet. Er schaut die Therapeutin an. Und er versucht, seine Hand wieder aus dem Spezialsand zu heben, der schön weich ist und besonders leicht nachgibt. Alleine schafft er es nicht, aber eine schwache Bewegung ist da, und sie ist zielgerichtet. Fischer hilft Paul, lobt, erklärt wieder, was sie als nächstes macht. Durch den Umgang mit dem Sand trainiert Paul seine Muskeln. Die Therapie ist für den Buben aber auch ein Spiel. Alleine kann er nicht mehr spielen, also hilft ihm Fischer. "Er ist ja ein Kind", sagt sie und drückt Pauls Hand sanft auf einen bunten Kreisel um ihn in Gang zu setzen. Alle Therapien in der Frühförderstelle verlaufen spielerisch, die Therapeutinnen gehen geduldig und liebevoll mit den Kindern um. Zum Beispiel mit Moritz, der im Bällebad tobt, und mit seinem kleinen Bruder Max, der nicht toben kann. Zufrieden sitzt Max auf dem Schoß seiner Mutter. Das Baby ist ein gutes Jahr alt und schaut aufgeweckt in die Runde, plappert munter vor sich hin. Max bekommt zweimal pro Woche Frühförderung: Einmal kommt die Mutter mit ihm in die Frühförderstelle, einmal besucht ihn eine Physiotherapeutin daheim. Denn Max kam mit einer Fehlbildung der Wirbelsäule, einer Spina bifida, zur Welt. Von den untersten Rippen abwärts ist der Bub weitgehend gelähmt. Seit er auf der Welt ist, wird er von der Frühförderstelle therapiert. Auch bei ihm geht es darum, seine Muskeln zu stärken. Dazu bringt die Physiotherapeutin Max beispielsweise in eine Position, die er selbst nicht einnehmen könnte. So lernt er, Körperspannung aufzubauen. Fischer trainiert bei der Ergotherapie die Sinneswahrnehmungen des Kindes, nützt dabei seine Neugier und seinen Forscherdrang aus. Und es wird viel gesungen. "Man weiß bei dieser Diagnose nicht genau, wo die Einschränkungen liegen werden", erklärt Anja Rohde. "Maxis Prognosen waren sehr schlecht. Er hat sich besser entwickelt, als wir gedacht haben." Auch sein dreijähriger Bruder Moritz profitiere von der Förderung, mit der Logopädin Christine Anspach übt er das Sprechen, im Bällebad, das zur psychomotorischen Therapie gehört, kann er aber auch viel Energie loswerden und lernen, seinen Körper besser zu spüren.

Die Mutter von Moritz und Max ist froh über die Förderung. "Man hat ja zuhause nicht so die Möglichkeiten", sagt sie. Die Eltern verfügen meist auch nicht über das Wissen, wie sie die Einschränkungen der Kinder gezielt behandeln können. Dadurch, dass sie bei der Therapie dabei sind, lernen sie, was sie selbst tun können. Bei Paul und Max ist klar, woher ihre Behinderungen kommen. In die Frühförderung kommen aber überwiegend Kinder, bei denen man es nicht genau weiß. "Die meisten kommen mit unklaren Entwicklungsstörungen", sagt Rohde. Nur etwa 20 bis 25 Prozent der Buben und Mädchen hätten ein "klassisches Syndrom" wie etwa Trisomie 21, auch als Down-Syndrom bekannt.

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Im Bällebad spielt Max mit seiner Mutter (links), während Moritz mit der Logopädin Christine Anspach die Bezeichnung der Farben übt.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die frühe Förderung tut allen gut. Etwa 70 Prozent der Buben und Mädchen profitieren Rohde zufolge so sehr von der Behandlung, dass sie nachher in eine Regelschule gehen können. "Es kann einen Entwicklungssprung geben, aber es gibt auch Sachen, die ziehen sich." Um noch besser helfen zu können, wünschen sich Anja Rohde und ihre Kolleginnen Therapie-Geräte. Zum Beispiel eine Klangwiege aus Holz, die mit Saiten bespannt und groß genug ist, dass man die Kinder hineinlegen kann. Sie würde Paul, Max und vielen anderen Kindern gut tun, weil sie darin die Schwingungen mit dem ganzen Körper aufnehmen können. Das trainiert ihre Wahrnehmung und entspannt sie zugleich. Auch weitere Therapiegeräte und spezielle Möbel würde die Frühförderstelle vom Spendengeld gerne anschaffen.

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