SZ-Adventskalender:Gebunden an ein Versprechen

Sabine M. pflegt ihren demenzkranken Vater. Die alleinerziehende Mutter findet deshalb nur schwer einen neuen Job

Von Klaus Schieder

Sie hat es versprochen. Und was sie versprochen hat, das hält sie auch. Vor allem dann, wenn es um ihren Vater geht. Als sich langsam ankündigte, dass er pflegebedürftig wird, hatte er seine Tochter gebeten, sie möge sich doch bitte um ihn kümmern. Da konnte Sabine M. (Name geändert) nicht Nein sagen. "Ich mache es gerne für meinen Vater", sagt die Mittvierzigerin auch jetzt noch, Jahre später. Dann fügt sie mit einem leichten Lächeln hinzu: "Auch wenn er mal schimpft, aber er ist eben mein Vater." Dabei ist das Leben für die Mutter von drei Kindern ohnedies schon alles andere als einfach.

Sie wollte Friseurin werden, beendete die Ausbildung aber nicht. Gearbeitet hat sie dennoch immer. Vom Vater ihrer beiden Söhne ließ sie sich scheiden, auch mit dem Freund, von dem sie ihre Tochter bekam, lebt sie nicht mehr zusammen. Sie arbeitete als Servicekraft in der Buchberg-Klinik, sie war in einer Papierfabrik in Penzberg angestellt. Immer auf 450-Euro-Basis, immer zu Nachtzeiten, die der Pflege des Vater nicht zuwiderliefen. So fuhr sie denn abends, wenn andere längst daheim vor dem Fernseher sitzen, mit ihrem klapprigen Kleinwagen nach Penzberg hinüber, um in der Nachtschicht zu arbeiten. Jahrelang ging das so. Bis zum Mai. Dann verlor sie ihren Job.

Rund um die Uhr im Einsatz

Am Morgen steht Sabine M. in dem alten Haus auf, das noch ihrem Vater gehört. Er hatte früher bei der Firma Moralt in Bad Tölz gearbeitet, schon vor 20 Jahren starb seine Frau an Diabetes. Sie geht zu Fuß zehn Minuten hinüber zu der Wohnung, wo der demenzkranke 88-Jährige inzwischen im Anwesen ihres Bruder lebt. Aber der sei in seinem Beruf stark eingespannt und habe keine Zeit, den Vater zu pflegen. Die Mittvierzigerin hilft ihrem Papa beim Aufstehen, wäscht ihn, legt ihm die Windeln an, bereitet das Frühstück zu und geht mit ihm danach ins Wohnzimmer. Sie geht kurz nach Hause und kommt mittags wieder, wenn das Essen auf Rädern geliefert wird. Sie tauscht die Windeln aus und bleibt, bis sich ihr Vater hinlegt. Eine Stunde später kehrt sie schon wieder zurück, macht Kaffee für ihn. Am späten Nachmittag muss sie das Abendessen herrichten, am frühen Abend ihm dann den Schlafanzug anziehen und ihn zu Bett bringen. Danach fing für Sabine M. oft erst der Arbeitstag an. Und wenn sich Job und Pflege nicht vereinbaren ließen? Für diesen Notfall gebe es ja noch die Verhinderungspflege, sagt sie. Gottlob habe die Krankenkasse dafür die Kosten übernommen.

Einen neuen Job zu finden, ist für die Mittvierzigerin nicht einfach. Da sind die zeitlichen Begrenzungen wegen der Pflege. Da sind auch die räumlichen Einschränkungen. "Ich muss ja in der Nähe bleiben." Wegen ihres Vater vor allem, aber nicht bloß ihm zuliebe. Auch wegen ihrer zehnjährigen Tochter, die gerade auf die Hauptschule gekommen ist, möchte sie nicht umziehen. Das Kind soll nicht aus seinem Freundeskreis herausgerissen werden. Die beiden Söhne, 20 und 23 Jahre alt, sind aus dem Haus und bauen sich ihr eigenes Leben auf. "Sie haben eine eigene Wohnung, einen eigenen Beruf." Ob sie mit ihrer Tochter noch lange im sanierungsbedürftigen Haus der Eltern wohnen kann, weiß Sabine M. nicht. Der rechtliche Betreuer ihres Vaters wolle es verkaufen, sagt sie. "Es ist ein altes Haus, es gehört instandgehalten, aber ich habe nicht das Geld, um es herzurichten."

Im Moment lebt Sabine M. von Hartz IV und dem Pflegegeld. Das reicht gerade so fürs Leben. Größere Anschaffungen kann sie sich nicht leisten. Ihre kleine Tochter braucht aber ein Laptop für den Schulunterricht und auch für die Hausaufgaben. Das ist im schmalen Etat der Mutter nicht drin. Ebenso wenig wie ein Ersatz für den alten Kleiderschrank, der in seine Einzelteile zerfällt. Ein Notebook und ein Schrank, "das wäre toll", sagt Sabine M. Selbstverständlich suche sie weiterhin nach einem neuen Job. "Man muss halt schauen, wie das von der Zeit her ist, wegen meinem Vater." Versprochen ist nun mal versprochen.

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