SZ-Adventskalender:Ein Stück normales Leben

Der vom Unglück gebeutelten Melanie K. fehlt das Geld für grundlegende Dinge. Ihre Tochter etwa braucht eine Brille

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Wenn es anderen nicht gut ging, war Melanie K. (Name geändert) immer sofort zur Stelle. Als gelernte Krankenschwester half sie rund um die Uhr Patienten, versorgte sie, wusch sie und hatte auch immer ein Wort des Trostes oder der Aufmunterung übrig. Wenn sie nach Hause kam, wartete dort ihre Tochter auf sie. Der Vater des Kindes will weder Kontakt noch Unterhalt zahlen. Und so wurden Mutter und Tochter zu einem eingespielten Team, das sich gegenseitig Halt gab in schwierigen Zeiten. "Sie ist mein Ein und Alles", sagt Melanie K.

Doch nun brauchen beide Hilfe. Vor zwei Jahren begannen die Schmerzen in Melanie K.s Körper. Die Ärzte diagnostizierten eine tückische Erbkrankheit: Sie nimmt zu viel Eisen aus der Nahrung auf und speichert es in den Organen, ihre Leber ist deshalb stark angegriffen. Trotz Therapiemaßnahmen verschlimmerten sich die Schmerzen zusehends. Ein halbes Jahr später stellte sich heraus: Die 41-Jährige leidet obendrein unter extremem Rheuma. Nachts könne sie kaum mehr schlafen. Nach dem Aufstehen schmerzt jede Bewegung, "so als ob man von einer Dampfwalze überfahren wurde und dann ein Hammer weiter auf einen einschlägt".

Nach langer Krankheitsphase und vielen, wenig erfolgreichen Therapieversuchen wollte Melanie K. im Sommer dennoch wieder arbeiten, um nicht länger von Sozialleistungen und Krankengeld leben zu müssen. "Schließlich habe ich immer gerne gearbeitet", sagt sie. Auch in der neuen Arbeitsstelle fühlte sie sich sehr wohl - bis die Schmerzen erneut überhandnahmen. Zunächst wollte sie sich davon nicht abhalten lassen, doch dann kam ein Bandscheibenvorfall dazu. "Das schwere Heben, die körperliche Belastung, es geht einfach nicht mehr", sagt sie. "Es ist richtig schlimm für mich, nicht arbeiten zu können und mitten im Leben zu stehen - aber die Krankheit bremst mich aus und zwingt mich hinein in ein Leben wie ein Pflegefall." Seither lebt sie mit ihrer Tochter von Sozialleistungen, die rund 600 Euro, die zum Leben bleiben, reichen hinten und vorne nicht. Und etwas auf die hohe Kante legen konnte die alleinerziehende Mutter in ihrem bisherigen Berufsleben nicht.

Das Unglück reißt für Melanie K. nicht ab: Anfang des Jahres starb ihr Vater mit 70 Jahren an einer besonders aggressiven Form von Krebs. "Ihn zu verlieren ist schrecklich, denn er war für mich und meine Tochter Halt und Mittelpunkt zugleich." Besonders die Tochter trauert um ihren Großvater. Melanie K. macht sich noch weitere Sorgen um sie: Seit Monaten schläft sie nicht mehr richtig, das bei ihr diagnostizierte Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) trete immer deutlicher zutage, jetzt wo das Kind in die Pubertät kommt. Und sie hat Sorge, auch bei ihr könnte die Erbkrankheit ausbrechen.

"Das Wichtigste ist mir, dass es ihr gut geht", sagt Melanie K., und steckt zurück, wo es geht. Trotzdem bleibt am Ende des Monats meist nicht genug übrig - nicht einmal für das Zugticket, um das Grab ihres Vaters zu besuchen. "Und jetzt im Winter wird es richtig eng", sagt die Mutter. Denn die Tochter ist aus ihrer alten Winterkleidung längst herausgewachsen. Geld für eine Jacke, für Hose, Strümpfe und Schuhe kann Melanie K. nicht aufbringen. Genauso wenig wie für eine neue Brille, für die Anforderungen, die die Schule ihrer Tochter stellt, oder für ein Handy, damit sie die Tochter in einem akuten Notfall verständigen kann. "Für andere mag so etwas selbstverständlich sein", sagt Melanie K. "Für uns aber wäre es ein Traum. Ein Stück Rückkehr in ein normales Leben, eine Ausfahrt aus dem Teufelskreis der Krankheit."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: