SZ-Adventskalender:Ein Ort der Zuflucht

Das Frauenhaus bietet Schutz, wenn die Beziehung zur Qual wird. Auch die Kinder können dort zur Ruhe kommen und wieder angstfrei schlafen. Für sie werden ein Kuschelzelt und Spielgeräte gebraucht.

Von Benjamin Engel

Gewalt gegen Frauen entlädt sich manchmal offen sichtbar - als Ohrfeige oder Faustschlag. Sie kann aber auch weit subtilere Formen annehmen. Dann spielt etwa ein Mann mit der Macht über sein Kind, um seine Frau gefügig zu machen. In einem konkreten Fall hatte das Kind des Ehepaars eine schwere Lebensmittelallergie. Der Vater drohte, ihm Essen zu geben, das es nicht verträgt - nur damit seine Frau parierte. Wenn sie nicht spurte, flößte er dem Sohn allergieauslösendes Essen ein.

Nach Jahren der Drangsal suchte die Frau Zuflucht im Wolfratshauser Frauenhaus - dem einzigen im Landkreis. Daran kann sich Sozialpädagogin Michaela Raphelt vom Wolfratshauser Verein "Frauen helfen Frauen" noch gut erinnern. Der Fall sei typisch für die Mechanismen familiärer Gewalt, erklärt sie. "Den Männern geht es um die Macht über Frau und Kinder, ihren Besitzanspruch."

In vielen von physischer und psychischer Gewalt geprägten Beziehungen zeigen sich ähnliche Muster. Vielfach isolieren Männer ihre Frauen systematisch von deren eigenen Bekannten, Freunden und der Familie. Damit zerstören sie deren Selbstwertgefühl. "Die Frau hat zur Verfügung zu sein", sagt Raphelt. Oft gehe das Jahre so, bis die Frauen sich endlich trauten auszubrechen. Zunehmend kämen auch Ältere mit mehr als 60 Jahren.

In Wolfratshausen ist der Verein "Frauen helfen Frauen" seit mehr als drei Jahrzehnten aktiv. Die Mitglieder betreiben das Frauenhaus. In der Einrichtung können sieben Frauen mit ihren Kindern gleichzeitig unterkommen. Das Haus mit sechs Zimmern und einem Notzimmer ist ständig überbelegt. Knapp jede zweite Hilfesuchende musste 2016 abgewiesen werden. Deshalb gibt es sogar eine Warteliste. Trotzdem braucht es aus Sicht von Raphelt kein zweites Frauenhaus im Landkreis. Die Einrichtung sei eine Übergangslösung, bis die Frauen für sich selbst sorgen könnten. "Wir brauchen stattdessen mehr bezahlbare Wohnungen", erklärt sie.

Nach aktuellen Studien ist jede vierte Frau in einer Beziehung schon zum Opfer geworden. Sie werden von ihren Lebenspartnern geschubst oder geohrfeigt, verprügelt oder sexuell misshandelt. Besonders in Erinnerung bleiben der Sozialpädagogin Raphelt die extremen Fälle. Einmal kam eine Frau mit zahlreichen Stichwunden direkt vom Krankenhaus in die Wolfratshauser Zufluchtsstätte. Ihr Mann hatte sie mit dem Messer attackiert. Als das passierte, lebten beide schon getrennt. Über das Umgangsrecht mit den vier gemeinsamen Kindern hatten sie sich vollkommen zerstritten. Daran entzündete sich der Gewaltakt des Mannes.

Zu Beginn des Aufenthalts im Frauenhaus dominieren Existenzsorgen. Die Betroffenen wollen wissen, wie sie an Geld oder eine Wohnung kommen, eine Arbeit finden oder behalten können. "Das sind die Prioritäten in den ersten Wochen", sagt Raphelt. Erst darauf folge die therapeutische Verarbeitung. Ziel sei es, mit den Frauen Lösungen auf dem Weg in die Selbständigkeit zu erarbeiten. Das Team biete Einzelberatungen für Kinder und Mütter und Gruppengespräche an. Vor allem Kinder erlebten die Zeit im Frauenhaus oft als Befreiung. "Sie können das erste Mal wieder angstfrei schlafen", berichtet Raphelt. Die Anfänge des Münchner Frauen-Notrufs für Opfer häuslicher Gewalt hat die Sozialpädagogin zu Studienzeiten erlebt. Vor 31 Jahren zählte sie zu den Gründerinnen des Wolfratshauser Vereins "Frauen helfen Frauen". Gewalt gegen Frauen und Kinder sei lange öffentlich tabuisiert worden. "Darüber wurde nicht gesprochen." 1987 wurde der Notruf in Wolfratshausen (Telefon: 08171/18 680) eingerichtet. Darüber ist das Team 24 Stunden lang erreichbar. Zwei Jahre später eröffnete der Verein das erste Frauenhaus in der Stadt mit fünf Plätzen, zog 2004 in das jetzige, etwas größere Gebäude um.

Zudem berät das Team proaktiv. In diesem Fall informiert die Polizei bei Einsätzen zu häuslicher Gewalt mit Einverständnis der Opfer die Vereinsmitglieder. Die neben dann Kontakt zu den Betroffenen auf und nicht wie üblich umgekehrt. Deutlich mehr Frauen wenden sich heutzutage an das Vereins-Team. Im Vorjahr hatten die Sozialpädagoginnen 1202 Fälle telefonischer und persönlicher Beratung oder Begleitung. Vor allem die Betreuung nach dem Aufenthalt im Frauenhaus hat zugenommen. Insgesamt ist die Zahl der Übergriffe gegen Frauen nach dem Eindruck von Raphelt seit Jahrzehnten gleichgeblieben. "Heute wird nur mehr darüber geredet", sagt sie. Deswegen steige die Zahl der Hilfesuchenden. Sie wünscht sich, dass die Täter in der Gesellschaft mehr geächtet, vor Gericht härter bestraft werden. Nur so lasse sich die Gewalt eindämmen.

Derzeit richtet der Verein neue Souterrainräume zur Beratung und Betreuung ein. Der Zugang soll barrierefrei werden. Dafür braucht der Verein einen Treppenaufzug. Für einen Raum zur Betreuung von Kindern wünschen sich die Sozialpädagoginnen Material für ein Kuschelzelt, Rutschautos und ähnliches. Die Spielgeräte in dem kleinen Garten des Frauenhauses sind alt und abgenutzt. Neue wären ein Herzenswunsch.

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