SZ-Adventskalender:Das jähe Ende eines jungen Glücks

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Nach dem Krebstod seiner Frau muss sich der erst 22 Jahre alte Wolfgang B. alleine um seine 18 Monate alte Tochter kümmern. Der liebevolle Vater will erst wieder arbeiten gehen, wenn die Kleine in die Krippe kommt. Für einen Grabstein fehlt jedoch das Geld

Von Claudia Koestler

Es ist etwas fundamental falsch an diesem Bild: Die kleine Sophie sitzt auf dem Schoß von Wolfgang B. (alle Namen geändert, Anm. d. Red.) und probiert erst mit staunenden Augen, dann mit einem kieksenden Lachen, den Besuch einzuordnen. Schnell aber ist der kleine, grüne Frosch doch wieder viel interessanter. Und so bietet sie begeistert das kleine Stofftier dem umrahmten Bild einer jungen Frau an, während Wolfgang B. ihr die blonden Locken aus dem Gesicht streicht. Liebevoller könnte der junge Mann mit dem Kind nicht umgehen. Und doch sagt er: "Ich hab' wirklich Bammel davor, wenn die Kleine irgendwann beginnt, mich nach ihrer Mutter zu fragen." Denn das ist die Frau auf dem Bild, und sie wird für das Kind immer nur auf diesem Foto präsent bleiben.

Der junge Mann hingegen, der ein wenig wirkt, als könnte er auch noch der große Bruder der 18 Monate alten Sophie sein, ist ihr Vater. Er kümmert sich rührend um sie. Trotzdem wird der 22-Jährige ihr eines Tages erklären müssen, warum sie ihre Mutter nie bewusst hat kennenlernen dürfen. "Und dann ist alles wieder da, diese Angst, diese Schmerzen, diese Wut, nichts tun zu können", beschreibt er. Wolfgangs Ehefrau und Sophies Mutter ist im Sommer vorigen Jahres gestorben: Brustkrebs.

Nur den ersten Geburtstag ihrer kleinen Tochter konnte sie gerade noch miterleben, allerdings schon schwer gezeichnet von der Krankheit. "Es waren wirklich unfassbar grausame Erlebnisse in den vergangenen Jahren", sagt der junge Witwer. Ganz besonders im letzten Jahr. "Man will als junger Mensch echt nicht mit seiner Frau über Beerdigungen, Särge und Grabsteine reden müssen."

Andere in seinem Alter begeben sich erst einmal ins volle Leben, treffen Freunde, schrauben an Motorrädern oder Autos, testen ihre Chancen bei den Mädchen. Die Dinge sind noch ohne Schwere, ohne größere Belastungen, doch bei Wolfgang läuft es ganz anders. Der Krebstod seiner Frau war nicht der einzige Todesfall, den der junge Mann verarbeiten muss. 2017 starben erst seine geliebte Großmutter, dann sein Onkel. "Erst denkt man noch, hey, langsam erwachsen werden, jetzt öffnen sich doch alle Türen, und dann kommt plötzlich ein Hammerschlag nach dem nächsten."

Dabei hatte vor gar nicht langer Zeit alles so wunderbar begonnen, mit jener Leichtigkeit, welche die Jugendzeit ausmacht. Der ausgebildete Handwerker traf sich 2017 mit Freunden zum Essen und bemerkte dabei die Schwester einer Bekannten: Valerie. Sie plauderten, sie lachten, sie schäkerten, und es dauerte nicht lange, da wurde aus den beiden ein hübsches, junges Paar. "Ich dachte, das Leben nimmt echt Fahrt auf, zu zweit schaffen wir alles." Und danach sah auch alles erst einmal aus: Sie arbeiteten beide, bezogen die erste gemeinsame Wohnung, richteten sich mit bescheidenen Mitteln nett ein, sparten auf einen gemeinsamen Urlaub und vielleicht für ein Auto.

Dann wurde Valerie schwanger. "Klar, so früh hatten wir jetzt nicht damit geplant oder gerechnet, aber es war trotzdem eine superfreudige Überraschung", sagt Wolfgang. Es gab gar keine Diskussion, beide wollten das Kind, und der stolze werdende Vater postete jeden Schritt des neuen Lebens. Und er wollte Verantwortung übernehmen: Er machte seiner Valerie einen Antrag, den sie annahm. Beide heirateten. Der Geburtstermin aber schockiert ihn: "Es war fast auf die Minute genau der Tag, an dem ein Jahr zuvor meine Großmutter gestorben ist." Noch im Kreißsaal brach er zusammen, "Glück und Leid sind manchmal so unfassbar dicht beieinander." Die kleine Sophie aber wird der ganze Stolz der Eltern - ein fröhliches und aufgewecktes Kind.

Doch nur vier Monate nach der Geburt bemerkte Wolfgang bei Valerie einen Knoten in der Brust. Die Ärzte stellten schnell die Diagnose Brustkrebs, sie rieten zu einer Therapie mit Chemo und Bestrahlung. Aber die Behandlung schlug nicht an. "Es muss ein extrem schnell wachsender Tumor gewesen sein, denn die Marker schossen nur so in die Höhe." Valerie litt unter extremen Schmerzen, auch im Kopf, die junge Familie zerriss sich zwischen Familienpflichten mit einem Neugeborenen und lebenswichtiger Therapie. Eine Tomografie zeigte schließlich bei Valerie, dass der Tumor bereits gestreut hat. Die Mediziner versuchten noch, ihr die Chemo direkt ins Gehirn zu leiten, doch es war ein aussichtsloser Kampf. "Die Ärzte haben gesagt, sie wissen nicht, wie lange sie überleben würde", erzählt Wolfgang.

Sie wurde nach Hause entlassen, war vor Schmerzen allerdings kaum mehr bei sich und machte wenige Tage später ihrem Ehemann klar, dass sie nicht länger leben wolle. Mehr als 70 Stunden lang saß und wachte er an ihrem Bett, streichelte ihre Hand, versorgte sie mit dem Nötigsten. Als der Pflegedienst sie waschen wollte, machte sie ihre letzten Atemzüge und starb zu Hause, in den Armen ihres Mannes. "Man denkt nicht, man funktioniert nur, und kann die ganze Situation eigentlich überhaupt nicht fassen", berichtet er.

Halt gibt ihm seither seine Tochter, für die er ganz und gar da ist. Bilder im Wohnzimmer erinnern an eine fröhlichere Zeit, als Valerie noch da war. Seine Arbeit will er erst wieder aufnehmen, wenn die Kleine in die Krippe kommt. So lange will er für sie zuhause bleiben, ihr Vater und Mutter gleichzeitig sein.

Wie er sich kümmert, sie im Auge hat bei ihren kleinen Entdeckungstouren, mit ihr knuddelt, für sie kocht, wie er sorgsam ihre frisch gewaschene Kleidung stapelt: Er macht das sichtlich gut. Doch auch wenn ihm seine Mutter dabei hilft, den Alltag als alleinerziehender Witwer mit gerade einmal 22 Jahren zu bewältigen - bis dahin ist es sehr knapp für die kleine Familie. Dabei möchte er so gerne einen letzten Wunsch für seine Frau erfüllen: "Sie wollte ein schönes Begräbnis." Das hat er ihr auch erfüllt, der ganzen eigenen Trauer zum Trotz. Nur für den Grabstein, für den reichte es bislang nicht.

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