SZ-Adventskalender:Das Arbeitsleben gebacken kriegen

Café Miteinand

Manfred Plischke kommt an jedem Donnerstag ins Café, hier wird er von Maxi bedient.

(Foto: Manfred Neubauer)

Im neu gegründeten Tölzer Café Miteinand haben die Mitarbeiter mindestens so viel Spaß wie die Gäste. Trotz Behinderung sammeln sie hier Erfahrungen und tanken dabei Selbstbewusstsein.

Von Claudia Koestler

Der Klang eines Flügels lotst Besucher schon vom Parkplatz aus ins evangelische Gemeindezentrum in Bad Tölz. Kaum durch die Tür muss man nur dem verführerischen Duft von Kaffee und Kuchen bis in den großen Saal folgen. Die jungen Mitarbeiter bedienen dort gerade die Kaffeemaschine, andere balancieren Tabletts mit Kaffee, Tee, O-Saft, Müsli und Semmeln durch das quirlige Gewusel. Mehr als 20 Gäste sitzen in dem lichtdurchfluteten Raum an liebevoll geschmückten Tischen und unterhalten sich angeregt, am Flügel gibt ein Mann gerade ein paar Weihnachtsklassiker zum Besten, Kinder toben in einer extra eingerichteten Spielecke. Soweit alles wie in einem ganz normalen Café im Herzen der Stadt.

Doch das neue "Café Miteinand" in der Tölzer Schützenstraße 10 ist etwas Besonderes. Denn unter den Personen, die sich um die Gäste kümmern, ihnen die Heißgetränke aufbrühen oder ein Stück vom Kuchen abschneiden und servieren, sind Jugendliche mit geistigen oder körperlichen Behinderungen. Sie öffnen einmal in der Woche die Türen zum "Café Miteinand" und lernen so einen ganz realen Arbeitsalltag kennen. Manche sind noch etwas schüchtern und arbeiten lieber im Hintergrund, in der Kaffeeküche zum Beispiel. Andere sind mutiger und bereiten die Getränke oder Waffeln vor. Die 16-jährige Sophie zum Beispiel bewegt sich sicher mit ihren Tabletts durch den Raum, serviert mit einem freundlichen Lächeln die Spezialitäten und plaudert ein wenig mit den Gästen.

Die Begegnung und Kommunikation zwischen Menschen mit und ohne Behinderung zu fördern, das ist die Grundidee des "Cafés Miteinand", das aus einer privaten Elterninitiative entstanden ist. "Es muss eben immer einen geben, der anfängt", bringt es Tanja Rudolph auf den Punkt, die zusammen mit Sabine Richter das Projekt ins Rollen gebracht hat. Beide sind Mütter von Kindern mit Behinderungen. Durch den Alltag mit ihrer Tochter Sophie wurde Tanja Rudolph allerdings bewusst, dass Menschen mit Behinderung für viele im Alltag praktisch nicht sichtbar sind. Sie fahren morgens in die Werkstätten, zur Schule oder in die Förderstätte - und abends wieder zurück. So wuchs der Wunsch, etwas zu initiieren, bei dem Menschen mit und ohne Behinderung verstärkt miteinander in Kontakt kommen können.

Café Miteinand

Sabine Richter (links) und Tanja Rudolph haben das Inklusionsprojekt „Café Miteinand“ in Bad Tölz initiiert. Die Leser der "Süddeutschen Zeitung" halfen mit ihren Spenden bei der Grundausstattung. Foto: Manfred Neubauer

Berufliche Perspektive

Dazu geht es den beiden Müttern auch darum, dass Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft inkludiert und ihre Begabungen gefördert werden. Mit der Tätigkeit im Café sollen sie auch erste Erfahrungen mit der Arbeitswelt sammeln, um später eine berufliche Zukunft zu haben.

Doch der Weg, Schüler mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, ist noch immer steinig. "Wir wissen, unsere Kinder können keine Ausbildung machen", sagt Rudolph. "Sie haben einfach keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt, sie könnten später höchstens in einer Werkstatt unterkommen." Aber: "Unsere Kinder können mehr", betont Rudolph. Es mangle nur an Möglichkeiten und Angeboten, um im "normalen" Leben Fuß zu fassen.

Für Richter und Rudolph stellte sich deshalb die Frage: Was tun? Sie führten viele Gespräche, schrieben unzählige Mails, bis sie auf den evangelischen Pfarrer Johannes Schultheiß trafen, der Rudolph zu einem Gespräch einlud. "Ich habe geredet und geredet, da hat er mich einfach gefragt: Was wollen Sie denn eigentlich?", erinnert sich Rudolph. Und als sie daraufhin die Idee von einem Inklusions-Café ansprach, machte der Tölzer Pfarrer Schultheiß gleich Nägel mit Köpfen. Rudolph konnte das zunächst nicht glauben. "Es war das kürzeste und effektivste Gespräch, das ich in den vergangenen Jahren geführt habe", freut sie sich heute. Schultheiß stellte nicht nur den Gemeindesaal zur Verfügung, sondern die Kirche übernahm auch die Trägerschaft für das besondere Café. "Damit entstehen uns keine Kosten außer der Arbeitskraft", sagt Rudolph, "wir haben den Druck nicht, dass wir unbedingt Gewinn machen müssen."

Gelebte Inklusion wird dort seither, seit Anfang Dezember, wöchentlich praktiziert. Jeden Donnerstag - außer in den Ferien - bedienen im "Café Miteinand" Menschen mit Behinderung die Gäste mit schmackhaften Kuchen, kleinen Snacks, Kaffee und Teespezialitäten. Immer mittwochs werden von den Jugendlichen in der Tölzer Montessori-Schule dazu die Kuchen und andere süße Verführungen gebacken und vorbereitet. Die Rezepte zu lesen und umzusetzen sei klassisches "learning by doing". Und am Mittwochabend wird von ehrenamtlichen Helfern das Interieur des Cafés aufgebaut. Am Donnerstagmittag wird wieder abgebaut. Für die Schüler ist das eine tolle Möglichkeit, ihre Fähigkeiten einem Publikum vorzustellen und sich eben in einer realen Arbeitssituation zu beweisen.

In der Tat bringen alle, die hier arbeiten, besondere Fähigkeiten mit: "Sonja zum Beispiel kann sehr gut rechnen, sie macht bei uns die Kasse", erklärt Rudolph. "Sophie ist sehr kommunikativ und Emily kann sich sehr viel merken, sie bedient die Kaffeemaschinen." Alle seien extrem motiviert und freuten sich schon Tage vorher wieder auf ihren Einsatz. Das wiederum steigere das Selbstwertgefühl. Jugendliche, die anfangs noch sehr schüchtern und zurückhaltend waren, sind im Lauf der Zeit zunehmend mutiger geworden und stehen mittlerweile ganz souverän am Tresen und bedienen die Gäste. Umgekehrt lernen auch die Gäste, Berührungsängste abzubauen.

Ohne Unterstützung von freiwilligen Helfern funktioniert so ein Projekt jedoch nicht. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter haben zum Teil selbst Erfahrungen mit behinderten Familienmitgliedern. Andere möchten sich sozial engagieren oder Kontakte knüpfen, manche finden den Weg über die Kirche oder die Tölzer Ehrenamtsbörse zum Café.

Fest steht für alle Beteiligten nach den ersten Wochen: Das "Café Miteinand" soll wachsen. Und dafür braucht es eine, vielleicht auch zwei spezielle Kaffeemaschinen, die von den Mitarbeitern gut und einfach zu bedienen sind. Auch T-Shirts mit einem Logo wünschen sich die Mitarbeiter, um als solche noch besser wahrgenommen zu werden. Eine Tafel, um die tagesaktuellen Spezialitäten aufzulisten, und ein Industriestaubsauger, um das Café auch wieder hygienisch zu hinterlassen, stehen ganz oben auf dem Wunschzettel der Initiatoren.

Vorbild Inklusionshotel

Allerdings soll das Café lediglich der erste Schritt und Grundstein sein für ein noch größeres Projekt: ein echter Inklusionsbetrieb in Bad Tölz, in dem möglichst viele Menschen mit Behinderung einer Arbeit nachgehen können. Dafür gebe es Beispiele, allerdings weit weg: So gibt es laut Rudolph in Hamburg ein Inklusionshotel, das Arbeit in vielen unterschiedlichen Bereichen bietet - vom Schreiner bis zum Zimmermädchen.

Für den Landkreis schwebt Rudolph eher ein Bauernhofcafé vor. In einem umgebauten Stall könnten Gäste verköstigt werden, schwerpunktmäßig mit Frühstück und regionalen, selbstgemachten Produkten, einem kleinen, günstigen Mittagstisch, Kaffee, Kuchen und Brotzeiten. Darüber hinaus könnte die Küche für einen Cateringservice zur Verfügung stehen. Die Räumlichkeiten könnten auch für Veranstaltungen vermietet werden, für Seminare etwa, Hochzeiten, Märkte oder Ausstellungen. In einem Hofladen könnten regionale, selbst produzierte und bauernhofeigene Produkte angeboten werden, etwa Aufstriche, Brote, Nudeln oder Eier. Therapeutisches Reiten könnte auf dem Hof genauso angeboten werden wie besondere touristische Attraktionen, etwa Jurten zum Übernachten oder ein "Bubblecamp", bei dem Pärchen oder Familien unterm Sternenhimmel campieren.

Auf einem solchen Bauernhof könnten Menschen mit Behinderung viele Einsatzmöglichkeiten und jeder einen perfekten Arbeitsplatz finden. Doch noch fehlen der Initiative eine geeignete Immobilie und ein Träger. "Wir hoffen sehr, dass sich jemand meldet", sagt Tanja Rudolph. Denn an Mitarbeitern mangelt es schließlich nicht, die sich mit aller Hingabe, Freude und Tatkraft einbringen wollen.

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