SZ-Adventskalender:Bevor die Hoffnung Wirklichkeit wurde

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Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, Krankheit: Nach schwerer Zeit hatte sich Thomas W. Hilfe vom SZ-Adventskalender erhofft. Doch nun ist er plötzlich gestorben - mit gerade einmal 52 Jahren

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Manchmal überschlagen sich die Ereignisse, und manchmal nehmen sie dabei eine schreckliche, weil endgültige Wendung: Thomas W. (Name von der Redaktion geändert) ist mitten in der Nacht gestorben. Mit gerade einmal 52 Jahren. Plötzlich, unerwartet hat sein Herz aufgehört zu schlagen, und das nur zwei Tage, nachdem er gerade noch von seinem Schicksal und seinen Lebensumständen berichtet und auf Spenden von Lesern der Süddeutschen Zeitung gehofft hatte. Thomas W. saß zu diesem Zeitpunkt in einer Notunterkunft, und eigentlich erzählte er eine Biografie, die so typisch wie grausam ist, wenn erst einmal alles schief läuft und ein Mensch keine Wohnung mehr hat. Es hatte schon vor vielen Jahren begonnen, und zwar mit immer schwierigeren Arbeitsverhältnissen. Zwar hatte er eine fundierte Ausbildung vorzuweisen, doch die Arbeitsbedingungen machten ihm zu schaffen. "Es wurde immer mehr verlangt für immer weniger Geld, der Druck nahm ständig zu, der Ton wurde rauer, und irgendwann, wenn man etwas gesagt hat wegen der vielen Überstunden, hieß es nur, "dann such Dir was anderes", erzählte er. Genau das tat er dann auch und landete beim Bau. Auch hier war harte Arbeit an der Tagesordnung, aber die Tätigkeiten lagen ihm. "Ich bin eigentlich jemand, der richtig anpacken kann und will", sagte er. Nur dann ging sein Arbeitgeber pleite, und schon wieder musste er sich etwas Neues suchen. Es folgten diverse Jobs, die er immer wieder aus unterschiedlichen Gründen wechselte: Mal war Mobbing im Spiel, mal stimmten die Bedingungen einfach nicht. "Ganz ehrlich, ich habe so oft 14 Tage lang Probearbeiten müssen, nur um dann zu hören, danke, wir haben keinen Platz für Sie. Und wenn man dann vorher fragt, ob man sich denn nicht auch in zwei Tagen ein Bild von einem machen können, ist man gleich wieder draußen", kritisierte er. Schnell wurden potenzielle Arbeitgeber bei den Vorstellungsgesprächen misstrauisch: "Warum wechseln Sie so häufig, haben sie mich gefragt", erinnerte sich Thomas W.

Zwar konnte er bis dahin sein Leben ganz gut meistern, doch als ihm die Kündigung ins Haus flatterte, begann die Abwärtsspirale. "Der Wohnungsmarkt hier in der Region ist einfach eine Katastrophe, ich habe nichts finden können", schilderte er. In seiner Verzweiflung geht er auf das Angebot eines Freundes ein und kauft ihm einen Wohnwagen ab. "Es war ja nur als Zwischenlösung gedacht", sagte er, doch aus der Zwischenlösung wird eine Zwangsbleibe, Thomas W. wird zum Dauercamper. Auch seine Lebensgefährtin, Olga D. (Name geändert) zieht mit ein. Das geht einige Jahre zwar ganz gut, "aber bei der Arbeitssuche hilft es nicht, wenn man als Adresse einen Campingplatz angibt", sagt sie aus eigener Erfahrung. Auch sie erlebt immer wieder Absagen, etwa in einem Hotel, als sie sich dort als Zimmermädchen bewirbt: "Wo wohnen Sie, in einem Wohnwagen? Geht gar nicht", habe ihr die Arbeitgeberin beim Vorstellungsgespräch gesagt und sie des Zimmers verwiesen. Und dann kommt erneut alles auf einmal: Thomas W. erleidet einen Herzinfarkt, seine Mutter wird schwer krank, muss mehrfach operiert werden und verträgt die eingesetzten Stints nicht. Sie stirbt und hinterlässt einen Sohn, der selbst schwer angeschlagen ist und nicht weiß, wie er die Beerdigung stemmen soll. "Das Schlimmste war, ihr nicht einmal in einem anständigen Anzug Danke und Lebewohl am Grab sagen zu können." Fast zeitgleich erhalten Thomas W. und Olga D. auch einen Räumungsbescheid für den Campingplatz, dort sind keine Dauercamper mehr erlaubt. "Wir standen ganz wortwörtlich auf der Straße", erzählen beide. Um die Obdachlosigkeit abzuwenden, kommen die beiden interimsmäßig in einer Notunterkunft unter. Ein Zimmer für zwei Personen, gerade einmal 20 Quadratmeter mit einer winzigen Nasszelle, mehr ist nicht. Auf einer gebrauchten Couch schlafen sie, das Essen machen sie auf einer mobilen Heizplatte warm, die wenigen Habseligkeiten stapeln sich in einer Ecke.

"Ich möchte arbeiten, ich will wieder die soziale Leiter raufkommen", sagte Thomas W. eindringlich. Doch nach seinem Herzinfarkt ist Arbeiten auf dem Bau nicht mehr möglich, eine Umschulung ist in Aussicht gestellt. Einen Kühlschrank zu haben, davon träumten beide, und von Winterkleidung und Winterschuhen. Das sei von den 385 Euro, die beide zum Leben haben, nicht drin. Dass es vielleicht Spender gebe, die ihnen dabei helfen könnten, rührte die beiden zu Tränen. "Es muss doch wieder aufwärts gehen, nicht nur abwärts. Das wäre so schön, wenn es dafür einen kleinen Schubs geben könnte, es wäre echt ein Licht am Horizont, es wäre Hoffnung", sagte er bei der Verabschiedung.

Eine Hoffnung, die sich für ihn nicht erfüllen sollte. Wie sehr seine Augen vor leiser Hoffnung funkelten, aber bleibt in Erinnerung. Und nun ist es an Olga D. ganz allein, den Verlust zu bewältigen, ihren Lebensgefährten zu verabschieden, wieder Fuß zu fassen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt und dabei selbst die Hoffnung nicht zu verlieren. Hoffnung, dass es Hilfe gibt.

© SZ vom 30.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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