SZ-Adventskalender:Auf der Straße

Das Haus Sankt Jakobus bietet Menschen in akuter Not eine Übergangsbleibe und hilft ihnen oft, den Weg in ein geregeltes Leben zu finden. Wohnungslosigkeit ist nach der Erfahrung der Caritas in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Von Felicitas Amler

Sie sind beide da, an diesem verschneiten, kalten Winterabend im gut beheizten Haus Sankt Jakobus: Der "Berber" der alten Art, Mitte fünfzig, Alkoholproblem, Knasterfahrung, schon lange auf der Straße - einer, der "bloß nicht festmachen" möchte; daneben der Obdachlose der neueren Generation, noch keine dreißig, Vater eines kleinen Jungen, knapp vorbeigeschrammt an einer qualifizierten Ausbildung - einer, der sich niederlassen möchte, Wohnung und Beruf sucht.

Die Frage nach dem "typischen" Obdachlosen kann die Sozialpädagogin Barbara Stärz gar nicht so eindeutig beantworten. "Die Fälle werden viel komplexer", sagt die 35-Jährige, die seit 2008 bei der Caritas in Bad Tölz für die Wohnungslosenhilfe zuständig ist. Das Haus Sankt Jakobus, eine wichtige Adresse für alle, die im Wortsinn auf der Straße stehen, ist Teil dieser Arbeit. "Es ist ein unverzichtbares Sicherheitsnetz für Menschen, die überall rausgefallen sind", heißt es dazu im Caritas-Jahresbericht.

Haus Sankt Jakobus

Diese Tür öffnet sich für jeden, der eine Herberge auf Zeit braucht: Das Haus Sankt Jakobus der Caritas bietet acht Schlafplätze.

(Foto: Manfred Neubauer)

Und es fallen immer mehr Menschen raus aus einer Gesellschaft, die jahrzehntelang nicht genug dafür getan hat, Wohnraum für alle zu schaffen. Obdachlosenbetreuerinnen versuchen schon lange, diese Erkenntnis zu verbreiten. Stärz sagt, in ihrer Arbeit habe sich alles verschoben, "weil's hint' und vorn an Wohnungen mangelt". Inzwischen kämen immer öfter auch Menschen, die Arbeit haben, oder solche, die eine Rente beziehen. Obdachlos trotz Job? Ja, sagt Stärz, der junge Mann etwa, der mit seiner Freundin zusammengelebt hat; dann ist die Beziehung auseinandergegangen, er musste ausziehen, konnte sich eine Weile bei dem einen oder anderen Freund einquartieren, er sucht eine Wohnung, findet keine, die er sich leisten kann, die Freunde werden ungeduldig.

Eine bedrängte Situation, es kommen Drogen ins Spiel. Plötzlich kann er nicht mehr, braucht ein Dach überm Kopf, es ist Winter und bitter kalt .

Das Haus Sankt Jakobus ist die Rettung. Eine auf 14 Tage befristete Übergangsbleibe für absolute Notfälle: eine ebenerdige Wohnung mitten in Bad Tölz mit einem winzigen Garten vor der Tür, vier Stockbetten drinnen, Sitzecke samt Fernseher, Küchenzeile, Bad mit Dusche, Waschmaschine. Jeden Abend von sechs bis acht Uhr ist eine Mitarbeiterin dort, die Zufluchtsuchende aufnimmt, die Hausordnung erklärt und ihnen rät, am nächsten Tag in die Beratung der Sozialpädagogin auf der anderen Seite der Isar, im Franziskuszentrum, zu gehen. Dort bekommen sie den Tagessatz an sozialer Absicherung ausgehändigt: 13,60 Euro.

Haus Sankt Jakobus

Im Haus Jakobus teilen sich mehrere Menschen ein Zimmer.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die Ziele der Beratung können so unterschiedlich sein wie die Menschen, die kommen. Schulden, Alkohol, Knast: Da vermittle sie die Leute weiter zu den passenden Hilfsangeboten, sagt Stärz. Die Obdachlosen alten Schlags wollten oft möglichst nicht über ihre Probleme reden; die jungen dagegen ganz gezielt. "Die sagen, ich will nicht auf der Straße sein. Sie wünschen sich ein bürgerliches Leben und kommen mit klaren Aufträgen: Therapie, Entschuldung."

Oder Arbeit: Die würde dem jungen Mann helfen, der seit Kurzem im Haus Sankt Jakobus ist, weil er in der Nähe seines siebenjährigen Sohnes sein wollte. Ein paar Jahre hat er sich im Süden Europas durchgeschlagen, es klingt fast romantisch, wenn er davon erzählt: Leicht sei es gewesen, ein wenig Geld zu verdienen, Weinernte, Hilfsarbeiten auf Baustellen, mal hier, mal da: "Die schönste Zeit meines Lebens." Er kann sich sehr gut ausdrücken und verschweigt auch nicht, dass er heute eigentlich ganz anders dastehen könnte - wenn er nicht erst die Schule und dann eine Ausbildung geschmissen hätte. Jugendlicher Leichtsinn, Protest gegen alles Etablierte, er reflektiert das durchaus. Jetzt, da er sich endlich mehr um sein Kind kümmern möchte, sei er "motiviert, alles zu tun, was sich anbietet". Ein Jahr lang habe er das "ohne helfende Hand" versucht, sagt er. Nun wird man sehen, ob er mit Unterstützung von Barbara Stärz womöglich zurückfindet in ein geregeltes Leben. Eine Notwohnung, wie Bad Tölz sie vorhält, könnte ein erster Schritt sein.

Haus Sankt Jakobus

Sozialpädagogin Barbara Stärz, Haus Jakobus.

(Foto: Manfred Neubauer)

Bad Tölz, Geretsried und Wolfratshausen haben 80 solcher Notwohnungen, von denen die meisten eine längere Perspektive bieten als das für akute Notfälle gedachte Haus Sankt Jakobus. Wenn man den Aufenthalt dort nicht auf 14 Tage befristen würde, so sagt Stärz, "dann hätten wir ratzfatz acht Plätze voll". Im Haus Sankt Jakobus haben im vergangenen Jahr 62 Menschen übernachtet; 57 von ihnen waren Männer. Viele Obdachlose, so sagt es der Jahresbericht, litten an Sucht- und an psychischen Erkrankungen; oft handle es sich um Doppel- oder Mehrfachdiagnosen. Doch die Wohnungsnot "ist in der Mittelschicht angekommen". Und diese neue Obdachlosigkeit, die auch aus der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt resultiere, mache die Betroffenen oft erst krank.

Neben Barbara Stärz in Bad Tölz kümmern sich bei der Caritas Robert Polt (Loisachtal), Ines Lobenstein (Wolfratshausen), Christine von Pechmann und Claudia König-Heinle (Geretsried) um Wohnungslose. Diese Aufgabe hat der Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen auf die Caritas übertragen. Politisch aber äußert sich Landrat Josef Niedermaier (Freie Wähler) zunehmend oft zur Situation: "Wohnraum ist das Megathema in der nächsten Zeit", so lautet seine Formel. Das sehen die Wohnungslosenhelferinnen der Caritas genauso. Im Jahresbericht ermutigen sie explizit Planer und Gestalter im Landkreis, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und an Konzepten und Fördermodellen zu arbeiten.

Doch auch wenn zumindest in den drei Städten des Landkreises und in der einen oder anderen Gemeinde inzwischen vermehrt bezahlbare Wohnungen gebaut werden: Eine Notadresse wie Sankt Jakobus wird weiterhin nötig sein. Damit es eine wohnliche Adresse bleibt, möchte die Caritas sie neu einrichten und die sanitären Anlagen in Ordnung bringen. Der SZ-Adventskalender hilft dabei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: