SZ-Adventskalender:Alleinerziehend, aber nicht allein

SZ-Adventskalender: Viele Betreuung oder Hilfe suchende Väter und Mütter sind Alleinerziehende.

Viele Betreuung oder Hilfe suchende Väter und Mütter sind Alleinerziehende.

(Foto: Catherina Hess)

Der Kinder- und Jugendförderverein möchte einen Treff etablieren, um "Elternteilen" Austausch, Information und Kinderbetreuung zu bieten. Korbinian Müller erzählt, warum das gerade in Corona-Zeiten helfen würde.

Von Felicitas Amler

Kinderbetreuung ist schon für viele Familien, in denen es Mutter und Vater gibt, ein Problem. Sie ist es umso mehr für Alleinerziehende. Und restlos schwierig wurde die Situation für Alleinerziehende durch die Corona-Pandemie. Korbinian Müller (Name geändert) erinnert sich mit Schaudern an die Wochen und Monate im Lockdown, eine Zeit der sozialen Isolation und der Überforderung für ihn wie für seine drei Kinder im Alter zwischen zehn und 13 Jahren. Hätte es den Alleinerziehenden-Treff schon gegeben, den der Kinder- und Jugendförderverein Wolfratshausen jetzt plant, "das wäre wunderbar gewesen!", sagt der Heilerziehungspfleger.

Müller ist Anfang vierzig, er und seine Frau haben sich vor Jahren getrennt, eines der Kinder ist immer bei ihm, die anderen beiden leben im wöchentlichen Wechsel bei Vater und Mutter. Er arbeitet etwas reduziert, 30 Stunden pro Woche, in einer Einrichtung für schwerst mehrfach beeinträchtigte Menschen. Ein Beruf, den er liebt, der aber auch seelisch belastend sein kann.

Alleinerziehend mit drei Kindern: "Das ist generell ein Problem der Betreuung", sagt Müller, "ein Riesenspagat." Der Alltag sieht, wenn alle drei bei ihm sind, so aus: Morgens mit dem Auto zwei Kinder zu den etliche Kilometer auseinander liegenden Schulen bringen; eines ist groß genug, um allein zur Schule zu gelangen. Dann schnell nach Hause, umsteigen aufs Fahrrad - billiger und in der morgendlichen Rushhour auch schneller - und ab zur wiederum einige Kilometer entfernten Arbeitsstelle. An drei Tagen in der Woche arbeitet er von acht bis zwei, halb drei, aber an zwei Tagen bis 16.20 Uhr. Da hat die Mittagsbetreuung des eines Kinds bereits 20 Minuten lang geschlossen. Die offene Ganztagsschule des anderen hatte montags überhaupt keinen Platz mehr frei und geht freitags auch nur bis Mittag. "Die Kinder müssen irgendwo unterkommen", sagt der Vater, und nennt das Ganze eine einzige Jongliererei. An einem Tag springen seine Eltern ein, ansonsten Freunde. Besonders in der Anfangsphase der Corona-Pandemie aber waren seine Eltern, die beide auf die Siebzig zugehen, der Vater hat auch Herzprobleme, sehr vorsichtig. Die Kinder sollten fernbleiben.

Und dann die Phasen des kompletten Lockdowns: "Das war wirklich übel." Der Vater nahm die Notbetreuung in Anspruch. "Da musste ich erst mal begründen, dass ich keinen anderen Ausweg habe." Nachmittags dann kümmerte er sich um die Schularbeiten der Kinder. Was so flott und modern klingt - Homeschooling - war für die ganze Familie in Wirklichkeit eine Riesenbelastung. Zunächst einmal habe er zusätzlich zu dem einzigen Computer im Haushalt einen Drucker und zwei gebrauchte Laptops kaufen müssen, erzählt Müller, damit alle arbeiten konnten. Dann ein schnelleres Internet, um die vielen Videobesprechungen absturzfrei zu schaffen. "Es ist ja oft alles zusammengebrochen." Nicht selten sei es acht, halb neun Uhr abends geworden, bis alles erledigt war. Irgendwann habe er gesagt, "die Kinder müssen auch noch Kinder sein können", und strikt früher Schluss gemacht.

Für die Schulkinder seien die Corona-Beschränkungen so schwer und folgenreich, sagt der Vater. "Alle Schüler haben doch jetzt Defizite." Sein Kleinster sei so abgesackt, dass er entschieden habe, ihn eine Klasse wiederholen zu lassen, statt ihn mit Ach und Krach durchzupauken. Und er selbst? Nach den harten Nachmittagen habe es für ihn abends nur noch dies gegeben: "Wäsche waschen, Brotzeit und alles andere herrichten für den nächsten Morgen, und dann ins Bett."

Ein Heilerziehungspfleger ist kein Großverdiener, und bei all den zusätzlichen finanziellen Belastungen der Pandemie sei das Konto schon öfters mal im Minus, sagt Müller. Genauso schwer aber fand er die seelischen Strapazen. "Man hat sich sehr isoliert gefühlt und als Einzelkämpfer." Oft habe er nicht gewusst, wo und wie er Hilfe und Unterstützung finden konnte, und "von Pontius zu Pilatus telefoniert".

Mit diesen Erfahrung als Vater oder Mutter immer allein zu sein, das kann Menschen zermürben. Fritz Meixner, Geschäftsführer des Kinder- und Jugendfördervereins (KJVF) Wolfratshausen, weiß das. Sein Verein hat eine umfassende Datenerhebung zum Thema Alleinerziehende gemacht. Darin wurden die Fallzahlen der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen des KJVF, der Sozialarbeit an Schulen, der Hilfen des Jugendamts und der Erziehungsberatungsstelle im Sozialraum Nord ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen eine eindeutige Tendenz: In immer mehr Fällen sind die Hilfe oder Betreuung suchenden Eltern eben nur "Elternteile", also Alleinerziehende. Das reicht von etwa 30 Prozent in der Schulsozialarbeit bis zu mehr als 50 Prozent in der Jugendhilfe.

Aus dieser Erkenntnis zieht Meixners Verein den Schluss: Es braucht in Wolfratshausen einen Alleinerziehenden-Treff. Das Gruppenangebot soll im Frühjahr beginnen und zunächst alle 14 Tage eine Anlaufstelle für Alleinerziehende sein. Sie soll Gedanken- und Erfahrungsaustausch ermöglichen, eine Kinderbetreuung sichern, Informationen von Referenten, etwa zum Thema Unterhalt, und gemeinsame Unternehmungen bieten. Die Räume seien da, sagt Meixner. Materielle Unterstützung wird nötig sein für Bastel- und Spielmaterial, ehrenamtliche Betreuung und für Ausflüge. Korbinian Müller findet die Vorstellung großartig, schon wegen des Informationsaustauschs - "und dass man weiß, man ist nicht allein".

Der SZ-Adventskalender möchte die Einrichtung und den Betrieb des geplanten Treffs unterstützen und bittet die Leserinnen und Leser dafür um Spenden.

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