Süddeutsche Zeitung

Streit über Trinkwasser-Chlorung:Zwischen Vorsicht und Verunsicherung

Geretsried und Königsdorf werfen dem Gesundheitsamt Panikmache vor. Leiter Franz Hartmann wehrt sich und fordert den Einbau einer Ultrafiltrationsanlage - es geht um Millionen

Von Ingrid Hügenell

Anton Demmel, Bürgermeister von Königsdorf, und Jan Dühring, Geschäftsleitender Beamter der Stadt Geretsried, werfen dem Tölzer Amt für Humanmedizin vorschnelles Handeln vor. Durch rasche, aber aus ihrer Sicht unnötige Anordnungen, dem Trinkwasser Chlor zuzusetzen, werde die Bevölkerung verunsichert. Im Regelfall werde nach einer auffälligen Probe nicht sofort chloriert, sagt Dühring. Vielmehr komme es darauf an, die Probe zu interpretieren und ihre Relevanz abzuschätzen. Zudem würden Referenzproben genommen, um zu sehen, ob es sich um einen Zufallsfund handle oder ob die Probe vielleicht verunreinigt worden sei - entweder schon bei der Entnahme oder später im Labor. "Die Chlorung kommt zu früh", sagt Dühring.

Franz Hartmann, Leiter des Amts für Humanmedizin, weist hingegen darauf hin, seine Aufgabe sei es, auch die Schwächsten zu schützen: Schwangere und Säuglinge, alte Menschen und andere, deren Immunsystem geschwächt ist. Die Geretsrieder wie die Königsdorfer müssten weiter gechlortes und auch abgekochtes Leitungswasser trinken. Im Trinkwasser beider Kommunen wurden wiederholt coliforme Keime und Enterokokken entdeckt, sowohl im Rohwasser als auch in Proben, die nach der jeweiligen UV-Anlage gezogen worden waren.

Wie Hartmann am Freitag mitteilte, war eine Königsdorfer Probe vom 12. November positiv: Im Rohwasser, also dem Quellwasser vor der UV-Anlage, seien coliforme Keime und Enterokokken gefunden worden. "Es ist evident, dass man chloren und abkochen muss", sagt Hartmann. "Die Belastung des Wassers muss erheblich sein, damit wir bei den Proben überhaupt etwas finden."

Die hydrogeologische Situation um die Brunnen der beiden Gemeinden sei ungünstig, erklärt Hartmann. Die Quellen liegen nur etwa 300 Meter auseinander. Das Grundwasser fließt dort lediglich zwei bis drei Meter unterhalb der Oberfläche. Darüber finden sich sandige Kiese, die kaum Filterwirkung haben, und darüber eine dünne Humusschicht, die nur wenig filtere, wie Franz Hartmann erklärt. "Die Wasserversorgung ist nicht schützbar", folgert er.

Er möchte nun, dass beide Kommunen Ultrafiltrationsanlagen bauen. Denn nur so könne sicher gestellt werden, dass weder Viren und Bakterien noch Einzeller oder Keime, die gegen UV-Bestrahlung und Chlor resistent seien, ins Trinkwasser gelangen.

Der gemeindliche Gutachter und das Wasserwirtschaftsamt halten das laut Demmel für Königsdorf für unnötig. Königsdorf klagte gegen die Anordnung Hartmanns, dass bis zum Einbau einer Filteranlage das Königsdorfer Wasser gechlort und abgekocht werden muss. "Schade, dass man für eine Sachentscheidung ein Gericht braucht", sagt er.

Seiner Ansicht nach hätte man die Sache bei einem Expertengespräch regeln können. Dem habe sich Hartmann verweigert. Das Verwaltungsgericht entschied vorige Woche, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Die Anordnung muss ausgeführt werden.

Demmel ist davon nicht überrascht. Er sehnt nun eine Entscheidung in der Hauptsache herbei, "egal welche, jede Entscheidung ist für uns ein Gewinn." Doch damit wird es noch dauern. Demmel rechnet mit einer Entscheidung des Gerichts erst im kommenden Jahr. Besonders ärgert den Königsdorfer Bürgermeister, dass ihm und seiner Verwaltung Fahrlässigkeit vorgeworfen wurde. "Wir trinken alle dieses Wasser, auch meine Familie", sagt er. "Herr Hartmann trinkt es nicht." Er sei auf jeden Fall für Vorsicht, sagt Demmel, aber gegen "Panikmache".

Der Bau von Ultrafiltrationsanlagen käme beide Kommunen sehr teuer, es geht um Millionenbeträge. "Das ist aber nicht das Thema", betont Demmel. "Wenn klar ist, dass wir das brauchen, dann bauen wir das sofort. Aber unser Experte sagt, wir brauchen es nicht." Auch Dühring sagt: "Eine Ultrafiltration ist aus unserer Sicht auf Grund der bestehenden Datenlage nicht erforderlich."

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Quelle:
SZ vom 16.11.2013
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