Im Sitzungssaal des Tölzer Rathauses hängt neuerdings ein Kreuz an der Wand. Es ist ein schmuckloses Kreuz ohne Corpus, das Bürgermeister Ingo Mehner (CSU) zur Stadtratssitzung in der vergangenen Woche anbringen ließ. Diese Order sorgt jedoch für Streit. "Der Staat hat religionsneutral zu sein", kritisiert Stadtrat Franz Mayer-Schwendner (Grüne). Aus Protest hängte er deshalb zwei Tage später im Bauausschuss vier Fotos mit religiösen Symbolen des Islam, des Judentums, des Buddhismus und des Hinduismus dazu. Diese Bilder ließ Mehner wieder entfernen.
Im alten Sitzungssaal hing bis zum Umbau des Tölzer Rathauses ein Kreuz, im neuen Saal, der 2017 eingeweiht wurde, bislang nicht. In der jüngsten Klausur des Stadtrats fragte Mehner nach eigenem Bekunden nach, ob jemand ein Problem damit habe, wenn er dort wieder ein Kreuz anbringen lasse. Darauf habe man diskutiert, berichtet der Rathauschef: "Man muss schon sagen, dass es im Stadtrat sicher unterschiedliche, persönliche Einstellungen gibt." Auf seine Frage hin habe aber niemand gesagt, "dass ich es nicht aufhängen soll".
Mayer-Schwendner war bei der Klausur nicht zugegen. Wegen des Kreuzes im Saal habe er mit Mehner korrespondiert und ihn aufgefordert, es entweder abzuhängen oder darüber öffentlich zu diskutieren, sagt er. Als dies in der Stadtratssitzung nicht geschah, habe er die vier Fotos im Bauausschuss dazugehängt. Der Grünen-Stadtrat will das nicht als Aktion gegen das Christentum verstanden wissen: "Ich möchte nicht die Religionsgemeinschaft der Christen an den Pranger stellen", betont er.
Allerdings stelle er die Frage, was denn passiere, wenn der nächste Bürgermeister beispielsweise ein Buddhist sei: "Stehen dann lauter Buddha-Figuren im Sitzungssaal?" Die Begründung, dass die bayerische Verfassung christlich geprägt sei, mag Mayer-Schwendner nicht gelten lassen. Bayern sei zwar christlich-jüdisch geprägt. Der Gottesbezug in der Verfassung sei aber nicht alleine aufs Christentum bezogen, dies habe man 1946 beim Erstellen "bewusst nicht gemacht". Er sei als religionsoffenes Symbol im Sinne einer "Verantwortung vor Gott und den Menschen" in die Präambel aufgenommen. Der Grünen-Stadtrat kritisiert das "Narrativ" der CSU: "Die CSU, die Kirche, der blaue Himmel - das stimmt nicht."
Mehner ärgert sich über solche Sätze: "Das hat doch nichts mit der CSU zu tun." Das Kreuz symbolisiert für ihn das Wertefundament, auf dem die Verfassung fuße. Der Bürgermeister verweist auf das Böckenförde-Diktum. Dieses Theorem des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde besagt: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Und dies seien nun mal die christlichen Werte. Auch das Grundgesetz speise sich eben nicht aus dem Buddhismus oder dem Hinduismus, so Mehner.
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Wobei er klarstellt, dass das Kreuz im Sitzungssaal keineswegs ausdrücke, dass Nicht-Christen nicht erwünscht wären. An der Fotoaktion von Mayer-Schwendner stört den Rathauschef vor allem, dass damit das Aufhängen eines Kreuzes politisiert werde. "Ich habe das bewusst dezent gemacht, ohne Pressemitteilung, ohne Facebook-Hinweis", so Mehner. Dies nun zu einem "großen politischen Thema zu machen, finde ich unerfreulich".
Dagegen pocht Mayer-Schwendner auf das Neutralitätsgebot des Staates. Die Frage, ob sich jemand am Kreuz störe, sei falsch gestellt, sagt er. Sie müsse vielmehr lauten: "Warum muss man es aufhängen?" Er will dem Bürgermeister nun die Gelegenheit geben, das Kreuz zu entfernen. Und wenn dies nicht geschieht? "Dann schauen wir weiter." Mehner jedoch sieht keinen Grund, das Kruzifix wieder abzuhängen.