Starnberger See:Auf großer Fahrt

Starnberg, See; MS Starnberg

Karl-Heinz Stöckner arbeitet seit 26 Jahren bei der Bayerischen Seenschifffahrt, vor 15 Jahren hat er die Kapitänsprüfung abgelegt.

(Foto: Georgine Treybal)

Für Kapitän Karl-Heinz Stöckner ist es ein Traumjob, am Steuer der "MS Starnberg" zu stehen. Dabei kommt es mitunter zu seltsamen Begegnungen, etwa mit dem Flossenmann.

Von Otto Fritscher, Starnberg

Majestätisch gleitet der Ausflugsdampfer über den Starnberger See, der nur leichte Wellen wirft und in der Sonne glitzert. Karl-Heinz Stöckner greift zum Mikrofon und sagt: "Sehr verehrte Gäste, im Namen der Bayerischen Seenschifffahrt begrüße ich Sie an Bord der MS Starnberg. Ein paar Worte zum See . . ." Ja, diese Ansage könne er wohl im Schlaf, sagt Stöckner. Er hat das 56 Meter lange, 15 Meter breite und 420 Tonnen schwere Schiff soeben sanft vom großen Steg in Starnberg abgelegt, nachdem er mit dem Schiffshorn drei lange Töne gegeben hat, was "Maschine läuft rückwärts" bedeutet, und Kurs auf Berg genommen.

Seit 26 Jahren arbeitet Stöckner bei der Bayerischen Seenschifffahrt, vor 15 Jahren hat er die Kapitänsprüfung abgelegt. "Ich habe Schlosser gelernt, und bei der Schifffahrt werden Handwerker genommen", erklärt Stöckner. Denn von Ostern bis Oktober sind Mitarbeiter auf den Schiffen beschäftigt, je nach Dienstgrad als Matrose, Maschinist, Kassier oder Kapitän. Im Winterhalbjahr werden dann die Schiffe überholt und repariert, jedes Jahr wird eines auf Helling gelegt und generalüberholt, wie heuer nach der Saison die MS Starnberg. "Ich mag diesen Wechsel", sagt er, und man glaubt es ihm an diesem herrlichen Tag sofort.

Mit zwei Fingern steuert der Kapitän das Schiff, es hat zwei sogenannte Schottel-Antriebe mit zwei Schrauben am Heck, und dann gibt es noch das Bugstrahlruder vorne, mit dem Stöckner das Schiff beim An- und Ablegen sanft an den Steg heranzieht oder wegschiebt. "Alles Elektronik", sagt er, die älteren Schiffe haben noch ein Steuerrad. "Aber das ist so einfach wie Autofahren", sagt er und lacht. Man möchte es lieber nicht probieren. Es gibt zwar Radar an Bord, "aber unter 50 Meter Sichtweite würde ich nicht fahren", sagt Stöckner. An nebligen Herbsttagen kam das schon vor.

Die zwei Maschinen leisten, Diesel-Aggregate von Deutz, je 550 PS und ermöglichen eine Höchstgeschwindigkeit von 23 oder 24 km/h. "Die fahren wir aber nicht, wir sind mit 19 oder 20 km/h unterwegs, das spart Kraftstoff", erklärt Stöckner. 100 Liter verbraucht die MS Starnberg pro Stunde, in den Tanks sind je gut 2300 Liter Diesel gebunkert, was für ungefähr eine Woche Fahrbetrieb ausreicht. Dann geht es hinüber ans Westufer des Sees, nach Possenhofen. "Das ist die schwierigste Anlegestelle, da ist es eng", erklärt Stöckner. Segelboote, Bojen, Schwimmer, alles gilt es zu beachten. "Wenn wir mit mehr als 400 Tonnen in den Steg krachen würden, räumen wir alles weg, die Pfosten würden wie Zahnstocher knicken", sagt Stöckner. Aber passiert ist das noch nie. Allerdings, immer mehr Wassersportler bevölkern vor allem an schönen Tagen mit ihren Fahrzeugen oder Wassersportgeräten aller Art den See.

"Es ist schon erschreckend, wie wenig sich die meisten mit den Regeln auskennen", seufzt Stöckner. Immer wieder geraten Stehpaddler oder E-Boot-Fahrer in den Kurs der Ausflugsdampfer, deren orangefarbene Flagge am Topmast Vorfahrt vor allen anderen Wasserfahrzeugen signalisiert - ausgenommen Polizei oder Wasserwacht im Einsatz. Und dann sind da auch immer wieder Burschen oder junge Männer, die von den Pfosten der Anlegestege als Mutprobe hinter das Schiff springen, wenn es wieder ablegt. "Sehr gefährlich, man wird leicht zu einer der beiden Schrauben hinabgezogen", ärgert sich Stöckner. Ihm und seinen Kollegen bleibt es überlassen, ob sie bei möglicher Gefährdung überhaupt an einem Steg anlegen, oder zum Ärger der Passagiere - weiterfahren.

Noch gefährlich wäre es, wenn ein Schwimmer zwischen die beiden Schiffsrümpfe geraten würde. Diese verengen sich in der Schiffsmitte, so dass nicht nur das Wasser zwischen den Rümpfen näher an die Decke sozusagen steigt, es gibt auch einen gewaltigen Schwall samt Sog in Richtung der beiden Schrauben. Zu sehen ist diese Welle durch ein Bullauge im Unterdeck des Schiffes. "Da hätte ein Schwimmer keine Chance", warnt der Kapitän.

Es kommt Gott sei Dank nur selten zu gefährlichen Begegnungen, aber oftmals zu knappen. Und regelmäßig auch zu Begegnungen, die zudem noch kurios, oder besser noch, seltsam genannt werden können. Etwa mit jenem Mann, der regelmäßig zwischen Ammerland und Ambach so dicht an das große Schiff heranschwamm, dass er die Außenhaut mit einer Hand berühren konnte. Wobei Hand falsch ist, denn er trug nach Beobachtung der Kapitäne Schwimmflossen an Händen und Füßen. "Als er heuer zum ersten Mal aufgetaucht ist, hat er gerufen: Ich bin wieder da", erinnert sich Stöckner. Dann taucht der Mann wieder ab und verschwindet in den Fluten. Erst die alarmierte Polizei konnte nach intensiven Recherchen seiner habhaft werden.

Inzwischen ist Seeshaupt erreicht, "die südlichste Stelle des Sees", wie der Kapitän den Passagieren per erneuter Durchsage erklärt. "Und das merken Sie gleich daran, dass es hier deutlich wärmer ist", fügt er scherzeshalber hinzu. "Kein Witz" sei es indes, dass man von Seeshaupt aus zwar das Starnberger Schloss und das St. Josefs-Kirchlein sehen könne, aber nicht die Uferpromenade mit dem Undosa. "Da ist die Erdkrümmung dran schuld, hier in Seeshaupt sind wir sechs Meter höher", erklärt der Kapitän. Für einen Scherz ist Stöckner immer zu haben. Aber auch für allerlei Antworten, die von den Passagieren kommen: etwa, ob es eine erste und zweite Klasse gibt (nein), oder wo es sich gut wandern lässt, während eines Zwischenstopps oder von einer Anlegestelle zur anderen.

An diesem sonnigen Nachmittag ist alles ruhig geblieben, mehr als 500 Passagiere haben sich insgesamt eine Rundfahrt auf der MS Starnberg gegönnt, maximal 800 Passagiere fasst das Schiff. Genau nachgezählt von Stöckner und seiner vierköpfigen Crew. Aufgeregt hat sich nur eine Familie, die in Berg zugestiegen ist, und eigentlich zurück nach Starnberg schippern wollte. Sie hatte aber den Dampfer erwischt, der erst mal zur großen Rundfahrt Richtung Süden weiterfuhr. "Die meisten Fahrgäste sind sehr entspannt, nur einige wenige suchen etwas, worüber sie sich unbedingt aufregen wollen, etwa die Fahrkartenkontrolle beim Aussteigen."

Viel öfter kommt es vor, dass Schifffahrts-Fans den Kapitän, der im Amtsdeutsch Schiffsführer heißt, in seinem Steuerhaus besuchen wollen. Zumeist ist das kein Problem, nur beim Anfahren der Stege und beim Ablegen braucht der Kapitän die ganze Aufmerksamkeit, wenn er am Außensteuerstand steht. Und natürlich muss während dieser Rundfahrt auch ein heikles Thema zur Sprache kommen. Zwei mal ist gab es Unglücksfälle mit der MS Starnberg. Einmal kurz nach ihrer Einweihung, als sie gegen die Ufermauer in Berg krachte, und in der vergangenen Saison, als sie mit dem Steg in Ambach karambolierte, ein Rumpf des Katamarans und die Nepomuk-Figur zwischen den Rümpfen in Mitleidenschaft gezogen wurde. "Da ist klar nachgewiesen, dass die Elektronik versagt hat. Das waren keine Fahrfehler", sagt Stöckner. Dennoch. In dieser Saison wurde in den Maschinenraum des Schiffes erstmals eine Blackbox, eine Art Fahrtenschreiber, eingebaut, die jede Steuerbewegung aufzeichnet, "zur Entlastung der Kapitäne", wie der Maschinist sagt.

Bleibt die Frage: Möchte Stöckner statt der rund 50 Meter langen MS Starnberg nicht mal ein richtig dickes Schiff steuern, sagen wir in Hamburg auf der Elbe, oder gar ein Containerschiff auf dem Meer? "Ja, das wäre schon interessant", sagt Stöckner. Aber machbar sei es wohl nicht. Dafür reicht sein Schiffsführerschein der Klasse B, ausgestellt vom Starnberger Landratsamt, dann doch nicht aus. Immerhin darf er auf allen bayerischen Seen ans Steuerrad oder an den Joystick eines Fahrgastschiffes, wie es im Amtsdeutsch heißt. "Manchmal fahre ich privat eine Rundfahrt auf dem Ammersee mit", sagt Stöckner. Zu erkennen als Kapitänskollege gibt er sich allerdings nicht. "Und ich würde nie einem Kollegen reinreden, wie man anlegen soll oder so", sagt er. Und er würde sich auch nicht ohne Anweisung ans Steuer eines Schiffes der Ammersee-Flotte setzen. "Jeder See ist anders, und jedes Schiff hat seine Eigenheiten", sagt Stöckner. Auf dem Starnberger See können die Kapitäne allerdings jedes Schiff, von der kleinen MS Berg über die MS Bayern bis zur MS Seeshaupt und MS Starnberg steuern.

Inzwischen ist es fast 18 Uhr geworden, die Nachmittagsrundfahrt, die um 14.30 Uhr in Starnberg gestartet ist, nähert sich ihrem Endpunkt. Die Passagiere fordert Stöckner per Lautsprecherdurchsage auf, "zügig" das Schiff zu verlassen, schließlich muss auch ein Kapitän mal Feierabend haben. Allerdings muss Stöckner vorher noch sozusagen niedere Tätigkeiten verreichten, und die Stühle und Tische auf dem Oberdeck wieder in die richtige Ordnung bringen. Dann geht es zurück in den Hafen, alles abschließen, und heim nach Traubing. Denn nicht alle Kapitäne wohnen direkt am See, wie weiland Schauspieler Hans Albers in Garatshausen.

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