Stadtrat online:Trügerische Verlockung

Live-Übertragungen des Stadtrats im Internet bergen die Gefahr von Schaufensterreden in sich. Eines darf man zumindest nicht erwarten: mehr Transparenz in der Politik.

Von Klaus Schieder

Auf den ersten Blick sieht die Idee blendend aus: Kameras und Mikrofone nehmen jedes Wort, jede Geste, jedes Mienenspiel in einer Stadtratssitzung auf, die Bilder und Reden werden live ins Internet gestellt. Übers weltweite Netz können dann auch all jene Bürger die Debatten verfolgen, die keine Zeit haben, nachmittags oder am frühen Abend ins Rathaus zu gehen und auf den Zuschauerbänken zu sitzen. Sie können sich sogar jenes Thema herbeiscrollen, das sie interessiert, und müssen nicht erst fünf oder sechs andere Tagesordnungspunkte abwarten. Insofern haben die Anträge auf eine Live-Übertragung, die in den Bürgerversammlungen in Bad Tölz und Wolfratshausen gestellt wurden, durchaus ihren Reiz. Nur eines darf man sich von diesen Livestreams nicht versprechen: Mehr Transparenz in der Stadtpolitik. Das Gegenteil dürfte eintreten.

Stadträte sind keine Polit-Profis, zu deren Tagesgeschäft die Auftritte vor einer Kamera gehören. Manche lokalen Mandatsträger werden ihre Äußerungen ängstlicher als bisher abwägen und auf ein grobes, aber klares Wort eher mal verzichten. Mit der Folge, dass noch mehr fade Schaufensterreden gehalten werden. Vor allem besteht aber eine andere Gefahr: Die latente Neigung in den Zimmern der Bürgermeister und Amtsleiter, konfliktstoffreiche Themen unter großzügiger Interpretation der Gemeindeordnung im Geheimen zu beraten, dürfte sich verfestigen.

Und noch etwas spricht gegen die Ausstrahlungen im Internet: Zu den Ratsdebatten kommen neben einer Handvoll Dauergästen in der Regel bloß Zuschauer, die eine Entscheidung des Gremiums persönlich betrifft. Ansonsten hält sich das Interesse der Bevölkerung erfahrungsgemäß arg in Grenzen. Ob es sich da lohnt, eine fünfstellige Summe für die Online-Bilder auszugeben, ist fraglich. In der Bürgerversammlung in Wolfratshausen wurde der Antrag auf Video-Aufnahmen aus den Sitzungen abgelehnt. Von den Bürgern, nicht von den Stadträten.

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