Noch einmal klein sein. Besser noch: ganz klein, däumlingsgroß - und dann mit Anlauf in dieses Himmelbett springen. Mit der Meerkatze im Kaminzimmer schmusen, vielleicht die Lesebrille, die Mister Bommes auf dem Sofa vergessen hat, verstecken - und dann die Treppe hinunter in die Küche schleichen, wo es sicher allerlei Gutes in Töpfen und Schüsseln zu probieren gibt. Herrlich ist es allein schon, das "Waldhaus Nr. 17" mit den Augen zu erkunden. Und dazu lädt Bo Starker in den kommenden Wochen ein. Im Tölzer Stadtmuseum hat die Künstlerin ihr mehr als zwei Meter hohes Puppenhaus aufgebaut, ein Königreich des Kokolores - und ein Zufluchtsort im sich anbahnenden Weihnachtswahnsinn.
"Der Zauber liegt im Unperfekten", sagt Starker, die sich gerade noch gelenkig durch ihr Miniaturreich windet, um winzige Stühle an ihren Platz zu rücken und Gemälde mit der Heißklebepistole zu fixieren, was sie nicht davon abhält, gleichzeitig wie ein Wasserfall zu reden. Sie sei in der DDR mit Kaufläden und Puppenstuben groß geworden, erzählt sie. Ihr Vater habe mit Antiquitäten gehandelt. "Ich durfte damit spielen, aber nach ein paar Wochen wurden sie immer verkauft." Die Liebe zum Trödel, zu vergessenen Kostbarkeiten, deren Wert nicht in Geld aufzuwiegen ist, hat sie sich auch als erfolgreiche Porträtmalerin bewahrt.
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Das Tölzer Stadtmuseum besitzt eine unvergleichliche barocke Sänfte. Sie wird in der Sonderausstellung im Haus der Bayerischen Geschichte gezeigt.
Plastik - Starker sagt "Plaste" - kommt ihr nicht ins Puppenhaus. Stattdessen gibt es dort winzige Fläschchen und Porzellankaraffen, ein Plüschsofa, das einmal eine Zigarrenschachtel war, Vorhänge aus Miedercorsagen und pompös gerahmte Ritterbilder, die im Original in Starkers Haus in Höfen hängen. "Sieht alles aus wie bei uns daheim", sagt sie. "Ein bisschen wie in Hogwarts." Nicht nur Harry Potter, auch der alte Pettersson dürfte sich in diesem verwunschenen Waldhaus wohlfühlen. Und Tomte Tummetott käme sicher gerne zum Gute-Nacht-Sagen vorbei. Barbie hingegen würde vermutlich die Motten kriegen.
Vor fünf Jahren hat Starker mit der Einrichtung begonnen. Vieles hat sie auf Flohmärkten entdeckt, einiges geschenkt bekommen, eine liebe Nachbarin hat ihr Schafe, einen Dachs und Eulen gefilzt. Das Grundgerüst bildet eine hölzerne Transportkiste, in der ihr damals englische Stehlampen geliefert wurden. Ihr Vater sei da schon einige Jahre tot gewesen, erzählt sie, ihre Tochter gerade sieben Jahre alt. "Ich habe gemerkt, dass es mir viel leichter fällt, Leni von ihm zu erzählen, wenn er eine Figur bekommt." Das war die Geburtsstunde von Mister Bommes, einem kartoffelartigen Wesen, das Gutmütigkeit und Humor verströmt und derzeit im Schlafzimmer sitzt.
Ihm gegenüber auf einem strahlend weißen Kissen ruht seine Frau, die Hausspinne Miss Muzel. Ihr Körper besteht aus einer winzigen gehäkelten Eichel. Die sei von einem Topflappen abgefallen, erzählt Starker. "Kann man doch nicht wegschmeißen, hab ich gedacht. Da machen wir Mama draus." Miss Muzel trägt ein Krönchen - "weil sie adelig sein will, und sie weiß immer, wo's lang geht". Tatsächlich hat Starker im Laufe der vergangenen Jahre für ihre Kinder so viele Geschichten um das Waldhaus und seine originellen Bewohner ersponnen, dass es diese bald als Bilderbücher geben wird. Das Puppenhaus soll demnächst nach New York reisen.
Bis Weihnachten steht es im Stadtmuseum. "Ein Geschenk an alle Tölzer und an alle Kinder, die hier zur Ruhe kommen und in Traumwelten eintauchen können", sagt Museumsleiterin Elisabeth Hinterstocker. Auch heuer hat sie sich das Ziel gesteckt, dem Stress und Konsumrausch der Adventszeit etwas entgegenzusetzen. "Kinder brauchen ein Stück heile Welt", sagt sie. "Davon zehrt man ein Leben lang."
Ein Wermutstropfen dürfte sein, dass das Waldhaus geschützt in einer Vitrine steht und nur durch eine Glasscheibe zu bewundern ist. Eben darin könnte aber auch ein Ansporn liegen, hofft Starker. "Mein Wunsch wäre es, dass Kinder und Eltern nach Hause gehen und zu basteln anfangen. Es gibt nichts Schöneres."
Kinderträume: Ein Puppenhaus von Bo Starker, Stadtmuseum, Marktstraße 48, Bad Tölz, Vernissage mit Puppenspieler Albrecht von Weech am Samstag, 24. November, 18 Uhr; zu sehen bis 30. Dezember, Di bis So 10 bis 17 Uhr.