Süddeutsche Zeitung

Sankt Leonhard Dietramszell:Die Rettung des Rokoko-Juwels

Ein Verein bewahrt die Kirche Sankt Leonhard und stellt sie für religiöse und andere Feiern zur Verfügung.

Von Claudia Koestler

Manchmal braucht es tatsächlich ein Unglück, um Glück darin zu finden - oder um eine Entdeckung zu machen. "Dass die Ausstattung der Wallfahrtskirche Sankt Leonhard von dem berühmten Bildhauer Philipp Jakob Rämpl stammt, wissen wir nur, weil 1972 hier eingebrochen wurde", sagt Barbara Regul. Vermutlich weil die Diebe gestört wurden, ließen sie die fast lebensgroße Figur des Heiligen Sebastian zurück, den sie bereits vom Alter abmontiert hatten. "Und erst als die Figur unten lag, wurde die Signatur von Rämpl erkennbar", erklärt Regul.

Nicht nur wegen Geschichten wie dieser ist die Dietramszeller Leonhardikirche für viele eine Besonderheit. Zum Beispiel für Regul, Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Leonhardikirche. Oder für Sepp Auer, der seit zwölf Jahren als Mesner dafür Sorge trägt, dass die Kirche in Schuss ist und bleibt, Besucher sie tagsüber genießen und Veranstaltungen reibungslos über die Bühne gehen können. Auer war früher hauptberuflicher Mesner in Holzkirchen und Thankirchen. Als er vor zwölf Jahren in Rente ging, zog er zu seiner Lebensgefährtin nach Dietramszell, wollte aber noch eine Aufgabe übernehmen.

Für Auer wie für Regul strahlt die Kirche eine ganz besondere Atmosphäre aus. Auch wenn es für den Mesner Alltag ist, dort ein und aus zu gehen: "Ich setze mich hier immer wieder mal selbst gerne hin und lasse die Gedanken schweifen", erzählt er. Auer muss für die Kontemplation auch nicht beten. "Es ist ein Ort, an dem es einfach ist zur Ruhe zu kommen", beschreibt er. Es sind gleich mehrere Besonderheiten, die diese Kirche ausmachen: Ihr prachtvoller Rokokostil zum einen. Zum anderen aber auch, dass sie nicht der Kirche gehört, sondern der politischen Gemeinde. Der Verein zu ihrem Erhalt hat ein vertragliches Nutzungsrecht. So sind dort eine Vielzahl von Veranstaltungen buchbar, vom Konzert bis zur Hochzeit, bei der auch evangelische Gläubige in den Genuss des Ambientes katholisch-prunkvoller Ausstattung kommen können. Insbesondere freitags stehen für Auer die Vorbereitungen für die ereignisreichen Wochenenden an. Samstag ist dort nämlich der beliebteste Tag für Eheschließungen, sonntags werden meist Taufen gefeiert. Dazu muss Auer vorher jedesmal den Raum säubern, die richtige Anzahl an Stühlen aufstellen und die kirchlichen Textilien waschen und herrichten. Nur das Mähen rund um die Kirche überlässt er inzwischen einem Helfer.

Nicht alleine Menschen fühlen sich von der Wallfahrtskirche angezogen, was Auer Arbeit beschert. "Immer wieder treffe ich hier auf Tiere - und zwar nicht nur zum Leonhardiritt", erzählt er. Blindschleichen, Mäuse und Siebenschläfer wollen es sich gerne in der Kirche gemütlich machen. Regul beobachtete einmal, wie ein Wiesel über den Altar flitzte. Und vor Jahren habe einmal ein Rotschwänzchen im Altar genistet. Weil es längere Zeit nicht wieder hinaus fand, beobachtete Auer, wie es andere Vögel von außen durch die vergitterten Fenster fütterten. Als die Jungen schließlich ausflogen, fand auch das Muttertier wohlbehalten wieder hinaus. Inzwischen achtet Auer deshalb penibel darauf, dass die Tür gleich nach dem Eintritt wieder geschlossen wird, denn die Vögel hinterlassen Spuren, die er nur mühsam reinigen kann. Die vielleicht deutlichsten Spuren aber gehen doch wieder auf einen Menschen zurück: Ein Dietramszeller griff Regul zufolge einmal zu einer Schrotflinte, um einen im Kirchenraum flatternden Spatzen zu erlegen. Er verfehlte das Tier, doch die Einschusslöcher sind bei genauer Betrachtung noch immer zu erkennen am Kuppelfresko von Christian Winck, nämlich an Flecken im Gras, wo die Schafe weiden. "Weil es zur Geschichte der Kirche dazu gehört, haben wir diese Spuren bei der Renovierung nicht ganz beseitigt", erzählt Regul.

Apropos Renovierung: Das ist sicher einer der wichtigsten Meilensteine in der langen Geschichte des Hauses. Zwischen 2007 und 2010 wurde die Kirche gründlich saniert, für rund eine Million Euro. Rund 600 000 Euro schoss der Staat zu, 400 000 Euro aber sammelte Reguls Verein ein - mit Benefizveranstaltungen, Spendensammlungen und sagenhaftem Engagement. Darauf angesprochen winkt die Vorsitzende bescheiden ab und verweist auf die Gemeinschaftsleitung.

Regul, die seit 1972 in Dietramszell lebt, sagt, sie habe schon als Kind der Kirche im Allgemeinen verbunden gefühlt und sich als junges Mädchen bereits um die alte Kirche in Solln gekümmert. Zudem stamme sie aus einem denkmalgeschützten Haus in Solln. "Das prägt wahrscheinlich das Bewusstsein für alte Gebäude". 1965 wurde Sankt Leonhard schon einmal innen und außen instandgesetzt. Doch die Arbeiten stellten sich als unzureichend heraus und so war die Kirche zum Jahrtausendwechsel in einem äußerst desolaten Zustand. Aufsteigende Feuchtigkeit zerstörte das Mauerwerk und die Innenausstattung, das Dach war marode. Der Dietramszeller Kulturverein, in dem sich Regul zu dem Zeitpunkt engagierte, wollte helfen. "Aber es war klar, das kann der Verein nicht en passant mitmachen - dazu braucht es eine eigene Gruppierung". Und so wurde 2004 der Erhaltungsverein gegründet, der bis 2010 nicht nur das nötige Geld sammelte, sondern weiterhin für den Erhalt sorgt: Einnahmen aus den Veranstaltungen in der Kirche fließen wieder diesem Zweck zu. "Es funktioniert, auch deshalb, weil alle Beteiligten das gleiche Ziel hatten und haben - nämlich eine lebendige Kirche zu schaffen", sagt Regul. Denn zuvor war das Gebäude lediglich zur Leonhardifahrt geöffnet worden. "Wenn das so geblieben wäre, wäre sie nicht mehr lebendig geworden, allem Erhalt zum Trotz", sagt Regul.

Die Idee also waren folglich neben dem Leonhardiritt weitere kirchliche wie weltliche Veranstaltungen. Das hatte durchaus seine Tücken, zumal der Denkmalschutz zu beachten war. "Die Sache entzündete sich schließlich an der Toilettenfrage", sagt Regul lachend. Denn die Kirche ist mit ihrer Lage außerhalb des Ortes an der Straße nach Föggenbeuern relativ abgelegen. "Wenn Hochzeitsgäste dann ein Bedürfnis verspürten, gab es zunächst keine Möglichkeit in der Nähe", erinnert sich Regul. Letztlich fand sich tatsächlich gemeinsam mit dem Denkmalamt eine Lösung: In einem Nebenraum ist nun ein WC untergebracht. Die Kirche floriert. Rund 100 Veranstaltungen finden dort inzwischen im Jahr statt, etwa die Hälfte davon Hochzeiten. "Wir haben sogar Paare, die sind hart im Nehmen und kommen hier im Winter an - mit Wärmflasche und Wärmepflaster am Körper", lacht Regul.

Eine Diva sei die Rokokokirche im Alltag nicht - eher pflegeleicht, vor allem seit der Sanierung. Sogar, dass die Umgebung nach wie vor feucht ist, verzeiht sie: "Seit die Kirche einen durchlässigen Putz hat, kann Wasser im Tuffstein aufsteigen, aber bei Trockenheit wird es auch wieder abgegeben."

Und dann geben Auer und Regul zum Schluss noch ein kleines Geheimnis preis. Die Kirche hat ein Geheimschloss, kaum auszumachen als unscheinbares Loch im Holz einer Türe. Das dürfte aber nicht der einzige Grund sein, warum die Kirche seit 1972 keine Einbrüche mehr verzeichnet. Inzwischen schaue schließlich jeder im Ort mit wohlwollenden, aber auch wachsamen Augen auf das Gebäude. Sie sei nämlich auch dank der Gemeinschaftsleistung bei der Renovierung ein echter Teil der Gemeinde geworden, ein Identifikationsnenner. Regul und Auer bringen das so auf den Punkt: "Wir halten sie lebendig und sie wiederum hält uns auf Zack".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3642977
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.08.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.