Spektakulär:Sterben - wofür?

Spektakulär: Ein Ehestreit zwischen Mascha (Flurina Schuster) und Semjon (Noah Kraus) löst eine Kette von Verwicklungen aus, die von der Theatergruppe des Schäftlarner Gymnasiums spielfreudig in Szene gesetzt werden

Ein Ehestreit zwischen Mascha (Flurina Schuster) und Semjon (Noah Kraus) löst eine Kette von Verwicklungen aus, die von der Theatergruppe des Schäftlarner Gymnasiums spielfreudig in Szene gesetzt werden

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Theatergruppe des Gymnasiums Schäftlarn bringt mit der russischen Komödie "Der Selbstmörder oder: Die Liebe zur Leberwurst" ein Spektakel auf die Bühne, das witzig, politisch und philosophisch ist

Von Julie Heiland

Es ist mitten in der Nacht, und es geht um die Wurst. Genauer gesagt: um die Leberwurst. Auf die hat der arbeitslose Semjon nämlich Heißhunger, weshalb er seine Gattin aufweckt. Mascha kann ihren Ohren kaum trauen. Ein fürchterlicher Ehestreit entwickelt sich, bei dem Semjon sich in seiner Raserei unglücklich ausdrückt. Mascha ist sich sicher: Ihr Gatte will Selbstmord begehen. Der Beginn skurriler Verkettungen. Die russische Komödie "Der Selbstmörder oder: Die Liebe zur Leberwurst" ist eine eher unbekannte Perle, die das Theaterensemble des Schäftlarner Gymnasiums für sich entdeckt hat.

Das Stück stammt aus der Feder von Nikolai Robertowitsch Erdman. Russische Revolutionslieder, die während der kurzen Umbaupausen eingespielt werden, stimmen auf das Geschehen ein - irgendwo im Russland der Zwanziger Jahre. Bühnenbild und Requisiten sind auf das Nötigste beschränkt, aber treffend gewählt. In der Wohnstube hängen Stalin und ein Kirchenfürst gerahmt an der Wand. Recht viel mehr braucht es nicht, um den Kosmos aufzuzeigen, in dem Semjon sich zu behaupten versucht. Das Stück auszuwählen sei schon ein Wagnis gewesen, sagt Herbert Schmid, Regisseur und Leiter der Theatergruppe. Aber die Schüler seien von Anfang an begeistert gewesen. Die pfiffigen Dialoge und die irrwitzigen Situationen kommen auch beim Publikum gut an. Rund zwei Stunden sorgen die talentierten Schauspieler für Theatervergnügen.

In Panik, ihr Mann würde sich das Leben nehmen, ruft Mascha einen Nachbarn zu Hilfe. Damit bleibt Semjons vermeintlich angekündigter Freitod nicht lange eine familieninterne Angelegenheit. Schon bald stehen Vertreter verschiedenster Interessensgruppen auf der Matte, die alle Semjons angekündigten Selbstmord als Märtyrertod für ihre Sache vereinnahmen wollen: von einem Priester der orthodoxen Kirche über eine romantische Erotomanin bis hin zu einer Vertreterin der russischen Intelligenz. "In unseren Zeiten", sagt Letztere, "kann nur ein Toter aussprechen, was ein Lebender denkt." Schnell wird klar: Bei dem Stück handelt es sich nicht nur um einen unterhaltsamen Schwank, sondern auch um eine bissige Satire.

"Ein Leben nach dem Tod?"

Der Antiheld Semjon, der mit großem Engagement vom sechzehnjährigen Noah Kraus verkörpert wird, durchlebt die verschiedensten Gefühle. Anfangs wollte er doch nur Leberwurst. Und auf einmal wird er dank seines erhofften baldigen Ablebens als Nationalheld gefeiert. Das schmeichelt ihm, und er ist bereit, sein Leben zu opfern. Doch je näher sein geplanter Selbstmord rückt, desto mehr gerät er ins Grübeln. "Gibt es ein Leben nach dem Tod?"

Das Chaos nimmt seinen Lauf. Eine üppige Abschiedsfeier wird organisiert. Die ersten Kondolenzkränze treffen ein. Ehrlich traurig über Semjons Tod ist nur Mascha, die liebevolle Gattin, überzeugend gespielt von der siebzehnjährigen Flurina Schuster. Stets an ihrer Seite: die Mutter, herrlich stoisch dargestellt von Gioia Jung. Ebenfalls in einer größeren Rolle zu sehen ist Laurenz Eibl, der als lüsterner und geldgieriger Nachbar das Publikum wunderbar amüsiert.

Spektakulär: Rund zwei Stunden sorgen die talentierten Schauspieler für Theatervergnügen.

Rund zwei Stunden sorgen die talentierten Schauspieler für Theatervergnügen.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Ein letzter Umbau des Bühnenbilds. Im Zentrum steht nun ein Sarg. Dahinter ragen schwarze Kreuze empor. Der Friedhof. Die Atmosphäre: düster, kalt, gnadenlos. Alle haben sich versammelt, um von Semjon Abschied zu nehmen. Das Problem: Der Märtyrer ist noch gar nicht tot! Er will auch nicht mehr sterben. Stattdessen hält er eine leidenschaftliche Rede, in der er erklärt, er opfere sich für keinerlei Ideale. Eine Kritik am Enthusiasmus der Revolutionäre zur Stalin-Zeit.

In der Vorbereitungsphase hatte Regisseur Schmid kurz gefürchtet, sich mit dem Stück übernommen zu haben. Tatsächlich ist ihm mit den rund vierzig Mitgliedern der Theatergruppe und seinen Co-Regisseuren Ruven Bircks und Elias Emmert eine Inszenierung gelungen, die berechtigter Weise großen Applaus erntet.

Das Stück endet mit der philosophischen Frage: "Wozu leben?" Die Antwort: "Für das Leben." Es geht also um weit mehr als die Leberwurst.

Letzte Aufführung im Schäftlarner Gymnasium am Freitag, 29. März, Beginn 19.30 Uhr

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