SPD-Wahldebakel:Klaus Barthel rechnet mit den Genossen ab

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Der scheidende SPD-Abgeordnete verlangt von Mitgliedern, im Kreis mehr Präsenz zu zeigen und Politik zu machen. Die Partei hatte bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis in ganz Westdeutschland eingefahren. Barthel sagt: "Wir sind hier keine Volkspartei mehr".

Von Claudia Koestler, Bad Tölz-Wolfratshausen

Auf den Tellern trugen die Kellner Cevapcici und Ajvar umher. Doch das war beileibe nicht das Schärfste, das die Genossen der SPD am Donnerstag im Restaurant am Bibisee serviert bekamen. Bei der Rückschau der Kreisversammlung auf den Bundestagswahlkampf geriet der scheidende Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel aus Kochel am See, der nicht wieder für den Bundestag kandidiert hatte, zunehmend in Rage und ging mit seinen Genossen hart ins Gericht.

Nach dem Wahldesaster muss sich die ehemalige Volkspartei neu sortieren, insbesondere auch im Wahlkreis, der mit gerade einmal elf Prozent das schlechteste Ergebnis in ganz Westdeutschland eingefahren hatte. Die 31 Anwesenden schwankten zwischen Wut und Fatalismus, überwiegend herrschte aber Ratlosigkeit im Wunsch nach Veränderung, was sich vor allem in einer mantraartig wiederholten, nicht ganz unbekannten Forderung manifestierte: "Profil schärfen".

Derlei Floskeln aber waren Barthel nicht genug: "Wir müssen uns den Ernst der Lage endlich klarmachen!", appellierte er mit zunehmend lauter Stimme. "Wir sind in diesem Wahlkreis keine Volkspartei mehr, sondern gerade noch mit Müh' und Not zweistellig!" Nur "um Haaresbreite" habe SPD-Kandidat Hannes Gräbner im Wahlkreis "ein paar Dutzend Stimmen mehr gewinnen können als dieser Hochstapler von der AfD, der unter falschem Namen firmiert", sagte Barthel. Das sei "Anlass zu ernster Sorge. Wir müssen endlich aus unseren Fehlern lernen". Zurücklehnen und jetzt "die anderen machen lassen, und ansonsten ergehen wir uns im üblichen Ritual, nämlich tiefer Betroffenheit, um dann genauso weiter zu wurschteln wie vorher, das kann es nicht sein." Manche Genossen glaubten vielleicht noch immer, Sozialdemokratie sei ein unsinkbares Schiff - "aber die Skala ist nach unten offen".

Der Bundeswahlkreisvorsitzende der SPD, Walter Sedlmayer, der maßgeblich den Wahlkampf von SPD-Kandidat Gräbner geleitet hatte, gab zwar zu, "ja, wir haben die rote Laterne". Das hänge aber seiner Ansicht nach auch mit dem Zuschnitt des Wahlkreises zusammen, mit der hohen Wahlbeteiligung und mit einem Phänomen bei den AfD-Wählern: "Der Weg des Menschen vom Tier zum einigermaßen kooperablen Wesen ist ein sehr langer. Und wenn man wieder in die Tierphase zurückfällt, dann kommen eben solche gruppendynamischen Sachen, das hat hier gewirkt."

Für Gerhard Schmolke, stellvertretender Vorsitzender in Bad Tölz, brachte stattdessen den verkorksten Wahlkampf auf ein Wort: "Verschlafen!" Sebastian d' Huc wünschte sich mehr Visionen à la Obama, Max Meissauer mehr regionalisierte Themen. Barthel dazu: "Jeder Genosse ist aufgerufen, dafür künftig Verantwortung zu übernehmen." Die SPD müsse - vor allem auch im Kreis - "weit mehr Präsenz nach außen zeigen, in den gesellschaftlichen Bereichen eine Rolle spielen, in den Schulen, in den Betrieben, in den Wohnorten."

Namen sollten in Ankündigungen genannt und Veranstaltungen auch von Mitgliedern angenommen werden. Großpolitische Themen müssten so durchdekliniert werden, dass ihre Auswirkungen auf die Landes- und Kommunalpolitik deutlich und verständlich werden und es brauche Ideen und Konzepte, sich "auf kommunaler Ebene der Sorgen der Leute anzunehmen", sagte Barthel. Ein Beispiel "von vielen hunderten in der Kreispolitik": Er rege sich "maßlos" auf, wenn er den Zustand des Nahverkehrs betrachte. "Da wird schwadroniert von Digitalisierung und selbstfahrenden Autos, aber man schafft es nicht, an der S-Bahn eine Anzeige zu haben, wann der nächste Zug kommt, wenn irgendwo irgendwas passiert ist." Da frage er sich wie viele Bürger: "Wo ist Politik, wo ist Handlungsfähigkeit, wo sind die Leute, die das zum Thema machen?"

Der frühere Wolfratshauser Bürgermeister Reiner Berchtold schob das auf Überforderung und gab zu bedenken, dass Politiker auch in den Kommunalgremien inzwischen "Getriebene" seien. "Ist man erst einmal in der Politik, entwickelt man nicht mehr lange Visionen, sondern man wird von einem Thema zum nächsten gejagt." Und an den Infoständen werde er immer wieder von Bürgern mit Entscheidungen seiner Partei der Bundespolitik konfrontiert, bei denen er nicht mehr wisse, was er sagen solle.

Als Hausaufgabe, so schloss der Kreisvorsitzende Wolfgang Werner, müsse nun jeder die Frage mitnehmen, wie die "weißen Flecken im Wahlkreis" wieder rot besetzt werden könnten. Dass nach der bitteren Niederlage und Aufarbeitung noch Gummibärchen mit der Aufschrift "Ohne dich kein wir" verteilt wurden, veranlasste Manfred Menke zum Kommentar: "Da sollte man vorher drauf schauen, ob die nicht schon abgelaufen sind." Waren sie nicht. Aber bis zur Landtagswahl 2018 reichte die Haltbarkeit auch nicht mehr.

© SZ vom 14.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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