Süddeutsche Zeitung

SPD vor dem Mitgliederentscheid:Große Chance oder strategischer Fehler

Die Mitglieder der Sozialdemokraten debattieren über die Zustimmung zum Koalitionsvertrag. Während im Kreisverband die meisten Genossen dafür sind, lehnen die Jusos das Papier ab. In Schäftlarn ist man unentschlossen.

Von I. Hügenell, P. Schneider,und B. Szymanski

Knapp eine Woche vor dem Mitgliedervotum der SPD über den Koalitionsvertrag geht die Tendenz im Kreisverband klar in Richtung Zustimmung - zumindest unter den 18 Mitgliedern, die am Donnerstag in den Gasthof Alte Schießstätte gekommen sind. Kreisvorsitzende Gabriele Skiba hatte kurzfristig zum Meinungsaustausch eingeladen, weil einige Mitglieder darum gebeten hatten. Am Ende der lebhaften Diskussion hatten sich alle Teilnehmer entschieden: Drei bekundeten, sie wollten mit Nein stimmen, alle anderen waren für den Koalitionsvertrag.

Überwiegend war man der Ansicht, viele zentrale SPD-Themen, vor allem der Mindestlohn, hätten in den Vertrag Eingang gefunden. Die SPD könne nur mitgestalten, wenn sie Regierungsverantwortung übernehme. Einig war man sich, dass im Fall einer Ablehnung die Parteispitze nicht zurücktreten müsste. Um zu verhindern, dass die SPD erneut geschwächt aus einer großen Koalition herausgehe, dürfe sie ihr sozialdemokratisches Profil nicht preisgeben. Dazu will die Kreis-SPD beitragen: Die Mitglieder wollen die Arbeit der Parteispitze genau beobachten, offene Themenabende veranstalten und lebhafte Basisarbeit betreiben.

Abgelehnt wird der Koalitionsvertrag vom SPD-Nachwuchs, der sozialdemokratische Grundwerte zu wenig berücksichtigt sieht: Nach Ansicht der Juso-Kreisvorsitzenden Katarina Koper und ihres Stellvertreters Paul Lehmann fehlt es an Verteilungsgerechtigkeit, weil Steuererhöhungen nicht vorgesehen seien. Nicht akzeptabel finden sie, dass der Mindestlohn flächendeckend erst 2017 kommen soll.

Gabriele Skiba lobte die Mitgliederbefragung als demokratisches Instrument, das noch in keiner Partei angewendet worden sei. "Das ist eine unheimliche Chance und eine ganz große Verantwortung für uns", sagte die Kreisvorsitzende und Landratskandidatin. Wie die allermeisten Sozialdemokraten habe sie nach der Wahl eine große Koalition abgelehnt. Man habe für einen Regierungswechsel gekämpft und könne doch jetzt nicht mit Merkel koalieren. "Von diesem Trugschluss bin ich nun abgekommen", sagte Skiba. Sie sei überrascht, wie viele sozialdemokratische Werte in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden hätten. Man werde in den kommenden vier Jahren über viele Dinge verhandeln müssen, etwa über Steuererhöhungen.

Kritisch sehen die SPD-Mitglieder schwammige Formulierungen in den Bereichen Energiewende und Gesundheitspolitik sowie das Fehlen von Finanzierungskonzepten. "In Summe kostet das alles rund 30 Milliarden Euro", rechnete Manfred Menke vor. Trotzdem sollen die Steuern nicht erhöht und stattdessen Schulden abgebaut werden. "Wie das gehen soll, weiß ich nicht." Gelobt wurde, dass die Themen Mindestlohn, Verbesserung der Pflege und Einschränkung der Leiharbeit verankert seien.

"Ich wünsche mir, dass der Koalitionsvertrag mit knapper Mehrheit angenommen wird", sagte Hans Gärtner. Die Parteispitze solle das als Signal verstehen, "dass wir längst nicht mit allem zufrieden sind". Aber die Parteispitze habe hart verhandelt, und es sei demokratische Pflicht, das Wahlergebnis umzusetzen und eine Koalition zu bilden.

Die Vorstandsmitglieder der Jusos Oberland hatten am Mittwoch über den Koalitionsvertrag diskutiert. Constantin Beier aus Icking wollte dafür stimmen, stieß aber auf wenig Verständnis. "Wenn die Genossen Nein sagen und Neuwahlen heraufbeschwören, wird sich über uns der Volkszorn entladen", argumentiert er. Die Handschrift der SPD sei deutlich im Koalitionsvertrag zu erkennen. "Thematisch bin ich zufrieden, wir haben einen Fuß in der Tür." Kreis- und Stadtratskandidat Michael Lasidis aus Geretsried ist gegen die große Koalition: Die Opposition sei zu schwach. Nicht einmal einen Untersuchungsausschuss könne sie fordern.

Unentscheiden waren die zehn Schäftlarner SPD-Mitglieder, die am Dienstag im Anschluss an ihre Aufstellungsversammlung über den Entscheid sprachen. "Ich tendiere dazu, mit Nein zu stimmen, weil ich es für einen strategischen Fehler halte, die Opposition den Grünen und den Linken zu überlassen", sagte Ortsvorsitzender Hans-Jürgen Heinrich. Er habe Angst, dass die SPD hinterher schlechter dastehe als jetzt.

Dietrich Seydel und Bernd Küpper wollten für die Vereinbarung stimmen. Küpper sagte, er halte es für "volkswirtschaftlich unvertretbar", dagegen zu sein. Zudem sei das SPD-Programm "weitestgehend durchgesetzt". Seydel glaubt, dass die SPD auf jeden Fall schlechter dasteht, wenn es Neuwahlen geben sollte.

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SZ vom 07.12.2013
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