Orchesterprojekt der Musikwerkstatt Jugend:"Die Bühne vergrößert alles, was im Leben da ist"

Orchesterprojekt der Musikwerkstatt Jugend: "Proben heißt Probieren, Experimentieren, den Mut haben, über Grenzen hinauszugehen": die Geigerin Sophia Herbig.

"Proben heißt Probieren, Experimentieren, den Mut haben, über Grenzen hinauszugehen": die Geigerin Sophia Herbig.

(Foto: Andrej Grilc/OH)

Mit acht Jahren weiß Sophia Herbig, was sie werden will: Solistin. Mit 17 bekommt sie Bühnenangst. Nun ist sie 30 und leitet erstmals das Jugendorchester Sinfonietta.

Von Stephanie Schwaderer

SZ: Frau Herbig, als Kind will man Astronautin oder Perlentaucher werden, aber meistens revidiert man irgendwann diesen Entschluss. Was war bei Ihnen anders?

Sophia Herbig: Mir war sehr früh sehr klar, dass ich professionell Musik machen wollte. Mit dreieinhalb habe ich angefangen, auf einer Kindergeige zu spielen, mit acht stand mein Berufswunsch fest. Aber trotzdem hatte auch ich meine Astronautinnen-Träume, die sich nicht bewahrheitet haben.

Wie sahen die aus?

Ich wollte Solistin werden. Dieser Wunsch hat mich jahrelang geprägt - und ist definitiv nicht in Erfüllung gegangen. Aber das ist in Ordnung. Und es ist schön, dass ich das mittlerweile so sagen kann und ihm nicht nachtrauere.

Aber Sie haben getrauert?

Ja, vor allem am Anfang meines Studiums, als mir bewusst wurde, dass meine Träume in der Realität nicht gespiegelt werden.

Sie waren schon mit 13 Jahren Jungstudentin an der Musikhochschule München. Ihre Eltern sind Profimusiker, Ihr Stiefvater, Franz Deutsch, leitet die Musikwerkstatt Jugend. Inwieweit hat Ihre Familie Ihren Werdegang beeinflusst?

Jedes Kind wird von seinen Eltern geprägt. Bei uns stand es außer Frage, dass meine Schwester und ich ein Instrument lernen. Und wir bekamen von Anfang an eine besondere Förderung, wurden daran gewöhnt, täglich zu üben, und bei der Lehrerwahl beraten.

In der Pubertät hat man gemeinhin tausend andere Dinge im Kopf. Fiel es Ihnen leicht, sich auf die Musik zu konzentrieren?

Immer. Es war eher umgekehrt: Mich hat nur die Geige interessiert. In dieser Zeit der Verunsicherung und Veränderung waren das Instrument und die Musik mein Fixpunkt. Das war bisweilen fast schon eine übersteigerte Identifikation.

Nach dem Abitur haben Sie ein Bachelor-Studium am Mozarteum in Salzburg begonnen. Wodurch ist Ihnen bewusst geworden, dass Ihre Zukunft eher in der Kammer- und Orchestermusik liegt?

Das war ein längerer Prozess. Im Alter von 17 bis 21 hatte ich eine Krise. Von einem Tag auf den anderen hat mich damals eine große Nervosität überfallen, plötzlich hatte ich Bühnenangst. Diese Angst hat mich überrollt und lange beschäftigt. Mir wurde klar, dass bestimmte Dinge gar nicht möglich sind. Ich konnte in dieser Zeit keine Wettbewerbe spielen. Gleichzeitig hat es sich dann ergeben, dass ich mehr und mehr in Profiorchestern gespielt und gemerkt habe: Da geht etwas vorwärts. Im Nachhinein bin ich dankbar für die Krise, weil ich viel gelernt habe und sie mich zu dem Punkt geführt hat, an dem ich jetzt stehe. Ich bekomme sowohl in der Kammermusik als auch im Orchesterkontext Anfragen und Möglichkeiten, von denen ich früher nicht mal zu träumen gewagt hätte und die mich sehr erfüllen.

Wie haben Sie die Krise überwunden?

Für mich kamen drei essenziell wichtige Dinge zusammen. Ich habe angefangen, mit der Feldenkrais-Methode zu arbeiten. Ich habe den Lehrer gewechselt. Und ich habe meinen Freund kennengelernt. All das hat mir neuen Raum verschafft und zugleich Halt und Stabilität gegeben. Man muss bedenken: Die Bühne vergrößert alles, was im Leben da ist. Unsicherheiten werden dort riesengroß wie unter einer Lupe. Ich musste also nicht das Problem auf der Bühne angehen, sondern hatte das Glück, dass sich in meinem Leben viele schöne Dinge ergeben haben, die mir bei meiner Persönlichkeitsentwicklung geholfen haben.

Sie sind derzeit Stimmführerin der Zweiten Geigen im Mozarteum-Orchester Salzburg. Was genau ist Ihre Aufgabe?

Zum einen geht es um die Kommunikation zwischen der Gruppe, dem Dirigenten, dem Konzertmeister und den anderen Stimmführern. Zum anderen ist es meine Aufgabe, musikalisch eine klare Idee zu entwickeln und diese durch Körpersprache und Präsenz zu vermitteln. Dazu muss ich die individuellen Energien der Gruppe hinter mir bündeln. Das ist schwer in Worte zu fassen, aber für mich ist es das Wichtigste an meiner Arbeit.

Wie wird aus lauter Individualisten ein Klangkörper?

Das ist für mich ein großes Thema: die Balance zu finden zwischen Individualität und dem Sich-Einfügen, eine Gratwanderung. Ich persönlich wünsche mir, dass jeder seine Stimme einbringen kann, in einem Rahmen natürlich, auf den man sich geeinigt hat. Aber innerhalb der Gruppendynamik sollte Platz für die eigene Ausdrucksmöglichkeit sein.

Und wenn die Energien nicht stimmen?

Dann muss man schauen, dass man das Beste draus macht.

Nun leiten Sie erstmals die Sinfonietta, das Jugendorchester der Musikwerkstatt Jugend, in der Sie selbst Orchestererfahrung gesammelt haben. Wie gehen Sie an diese Aufgabe heran?

Mir ist wichtig, und das stand auch so in der Ausschreibung für das Projekt, dass jeder sowohl Gemeinschaftssinn mitbringt als auch Eigenverantwortung übernimmt - da sind wir wieder bei der Gratwanderung. Jeder soll individuell gut vorbereitet zu den Proben kommen, aber im Orchester nicht in Passivität verfallen. Es gibt Stellen, da muss jeder Verantwortung übernehmen, damit es klappt. Das ist auch das Schöne dran.

Sie stehen also vor 20 Jugendlichen am Pult...

Nein, ich leite das Orchester von der Geige aus. Am Anfang habe ich kurz erklärt, wie ich mir das vorstelle. Wir atmen gemeinsam ein, und dieses Einatmen gibt den Impuls zum Beginnen. Ich hatte mir schon Gedanken gemacht, ob das klappen würde. Und dann war es überhaupt kein Problem. Das hat mich selbst überrascht.

Sind das alles Ausnahmetalente?

Es sind interessierte junge Leute, die seit Jahren motiviert am Instrument dranbleiben und in einem Jugendorchester spielen möchten. Berufsmusiker werden vermutlich die wenigsten werden.

Worin liegt für Sie der Reiz dieses Projekts?

Unter anderem darin, dass ich viele Ideen habe, die ich in meinem Berufsalltag nicht verwirklichen kann. Hier bietet sich mir ein kreatives Betätigungsfeld, wo man ins Experimentieren und Gestalten gehen kann, eine schöne Erfahrung.

Was genau probieren Sie in diesem Fall aus ?

Seit Jahren bin ich überzeugt davon, dass wir innovativere Konzertformate ausprobieren sollten, wir halten an einem Jahrhunderte alten Modell fest. Kein Wunder, dass die Jugend kaum interessiert ist an der klassischen Musik. Ich möchte, dass sich Publikum und Musiker wirklich begegnen, dass es einen Austausch gibt. Diesmal wenden wir uns neben dem Spiel direkt ans Publikum und erzählen von unserem Probenprozess. Das Projekt war ja als Workshop im kammermusikalischen Orchesterspiel ausgeschrieben. Ich hoffe, dass die Jugendlichen etwas von dem, was ich ihnen vermitteln möchte, für ihre Praxis annehmen und es so spannend finden, dass sie auch dem Publikum davon erzählen.

Sie haben nur zwei Probenwochenenden angesetzt. Kann das klappen?

Schon am ersten Wochenende war ich begeistert und berührt, wie viel möglich ist, wie viel entstehen kann in einer solchen Gruppe, auch davon, wie einzelne über sich hinauswachsen. Wir sind ja alle darauf trainiert zu funktionieren. Das beginnt schon im Kindergarten. Funktionieren, funktionieren, funktionieren. Aber Proben heißt Probieren, Experimentieren, den Mut haben, über Grenzen hinauszugehen. So wird es lebendig.

Und wenn etwas danebengeht, schimpfen Sie nicht?

Natürlich nicht! Ich bin schon streng und akzeptiere beispielsweise nicht, wenn manche Stellen nie gehen, weil nicht genügend geübt wurde. Aber wenn ein Fehler passiert, ist das überhaupt kein Problem. Es wird Fehler geben. Jedem passieren Fehler. Die Angst vor Fehlern macht ganz eng. Sich von ihr zu lösen, gibt Raum.

Sinfonietta Isartal, Sonntag, 5. Juni, 19.30 Uhr, Loisachhalle Wolfratshausen, mit Werken von Wolfgang Amadeus Mozart (Serenata Notturna), Franz Schubert (Deutsche Tänze), Bela Bartok (Rumänische Volkstänze); Montag, 6. Juni, Himmelfahrtskirche München-Sendling (19.30 Uhr); Karten zu 24 Euro über München Ticket und an der Abendkasse

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