"Sommerakademie": Das klingt ein bisschen nach Fortbildung in gehobenem Ambiente, nach Sekt und Häppchen, nach angeregtem Diskurs im feinen Bürgerkreis. Bei Erich Sauers Sommerakademie in Ascholding ist die Atmosphäre anders. Wenn der arrivierte Bronzebildhauer aus dem pfälzischen Frankenthal Kunstschaffende und Kunstinteressierte um sich versammelt, dann trifft man sich bei Griebenschmalzbroten in einem ehemaligen landwirtschaftlichen Geräteschuppen, der in den 1960er Jahren zu einem geräumigen Atelier umgestaltet wurde. Oder sollte man besser sagen, zu einem hoch spezialisierten Handwerksbetrieb?
Die Kunstgießerei Kirchner & Schnappinger ist beides, es ist der Ort, in der sich kreative Ideen aus dem Kopf in reale Objekte der Anschauung verwandeln. Das Innere des Hauses wirkt während des Sommerseminars so, als hätte ein geheimer Zauber die derzeit fünf Mitarbeiter veranlasst, plötzlich alle Gerätschaften aus der Hand fallen zu lassen. So ist der Eindruck einer dichten, aber ruhenden Arbeitsatmosphäre entstanden. Da liegen Werkzeuge kreuz und quer auf den Tischen, Gefäße mit verschiedenfarbigen Tinkturen, Tuben und Pulvern stapeln sich in Regalen, allerlei Utensilien, deren Zweck sich für den Laien nicht erschließt, warten auf ihren Einsatz. Dazwischen stehen zwanglos verteilt kleine Skulpturen von 15 Künstlern, die sich an diesem regnerischen Samstagvormittag getroffen haben, um einige ihrer Werke zu zeigen und gleichzeitig neue Anregungen zu empfangen und umzusetzen.
Mit drei Plastiken ist Sauer der in seinem Heimatort Frankenthal eine Gießerei besitzt, auch selbst präsent. Ungeachtet seines leisen, zurückhaltenden Auftretens steht er ganz im Mittelpunkt der kleinen Werkschau. Mit den schlichten Worten: "Ich hoffe, sie haben ein bisschen Freude", wendet er sich an seine Gäste. Gekommen ist auch die Dietramszeller Bürgermeisterin Leni Gröbmaier. Kunst bedeute immer auch ein Innehalten und Nachdenken, sagt sie. Mit ihrem Bekenntnis zum kreativen Schaffen spricht sie den Versammelten aus der Seele - "ohne Kunst wäre unsere Welt viel ärmer."
Seinen künstlerischen Weg hat Sauer als Holzbildhauer begonnen, seit Mitte der sechziger Jahre widmet er sich nahezu ausschließlich dem Bronzeguss. Viele seiner Werke sind im öffentlichen Raum ausgestellt, in Kirchen, Gedenkstätten, auf Plätzen, 1994 wurde er von den Vereinten Nationen als "Künstler für den Frieden" ausgezeichnet und mit einer Einzelausstellung im Palais des Nations geehrt. Zu seinen zentralen Anliegen zählt er die künstlerische Bewältigung des Holocaust, in den siebziger Jahren hat er eine eigene Lehrtätigkeit aufgenommen. Besonders widmet er sich dabei Kindern. Wie schier unüberschaubar Sauers Oeuvre ist, dokumentiert ein gewaltiges, mehr als 400 Seiten umfassendes Werkverzeichnis, das anlässlich seines 80. Geburtstags erschienen ist. In einer Vorbemerkung darin formuliert er das Credo seines Künstlerlebens. "Ich könnte schreien vor Schmerz, dass die Menschen Kriege führen, dass sie die Welt zerstören. Ich könnte sie erschlagen. Wäre ich dann besser? So lasse ich meine Plastiken reden, in der Hoffnung, dass sie einsichtig werden."
Die Hoffnung, zu einer besseren Welt beitragen zu können, hat sich bei Sauer im Rückblick auf ein langes Leben mittlerweile stark relativiert. Er habe seine Illusionen fast verloren, bekennt der mittlerweile 88-Jährige. Und er fügt ernüchtert an: "Wenn die Welt in Ordnung wäre, bräuchte man keine Kunst." Die Miniaturen, mit denen Sauer selbst vertreten ist, wirken dem entsprechend nahezu programmatisch: "Sturz durch die Zeit", ist eine betitelt, eine andere hat die Rubrik "Der Illusionist".
Teils kryptisch-abstrakt, teils eher gegenständlich, aber durchweg originell sind die Exponate der anderen Künstlerinnen und Künstler. Elsa Vogt-Ramacher hat Tier- und Menschenwesen in Anlehnung an Mythen und Fabeln, die sie auf Reisen nach Australien und Namibia entdeckte, in Bronzefiguren umgesetzt. In einer "Sinnsuche" benannten Serie hat sie Spiegel und Glaslinsen in die Bronzefiguren eingearbeitet, die dem Betrachter einen besonderen Blick auf das Wesen der Dinge ermöglichen sollen. Es sind, wie alle Exponate, auch handwerklich hochwertige Objekte, mit denen sie ihre "inneren Bilder" von Naturphänomenen vermittelt.
Im halbgegenständlichen Raum bewegt sich Birgit Löwer mit ihrer Arbeit "Beziehungsweise", bei der sich eine Männer- und eine Frauengestalt dürr und stelenartig gegenüberstehen. Bei Erika Bunkes Skulptur "Beflügelt" hat sich im Gussverfahren ein Oberflächeneffekt eingestellt, der nicht beabsichtigt war, sich aber nachträglich als sehr willkommen erwiesen hat - es sei "ein unverhofftes Geschenk" gewesen, freut sich die Künstlerin.
Derlei Unwägbarkeiten sind bei der Herstellung von Bronzeskulpturen nicht die totale Ausnahme, wie die beiden Inhaber der Gießerei, Nicola Kirchner und Karl Schnappinger, betonen - es sei immer wieder spannend zu sehen, wie ein Objekt aussieht, wenn es von seiner Gussform befreit ist. Misserfolge sind manchmal nicht erklärbar, eine Menge Arbeit kann schnell umsonst gewesen sein. Arbeit, die viel mit Staub und Hitze und körperlichen Anstrengungen zu tun hat, die langjährige Erfahrung, handwerkliches Können und viel technisches Wissen voraussetzt. Außerdem Geduld und Übersicht, um den aufwendigen Produktionsprozess zu überblicken, der dem eigentlichen Gießen voran geht.
Um das positive Wachsmodell zu gewinnen, das dem Originalmodell genau entspricht und später ausgeschmolzen werden kann, gilt es, als ersten Schritt eine flexible Negativform zu erstellen. Dazu wird das Originalmodell jeweils zu einer Hälfte mit Tonplatten belegt und mit Gips überzogen. Sind diese Stützschalen getrocknet, wird die Tonschicht entfernt und beide Schalen werden wieder um das Modell gelegt. Anschließend wird in die jeweilige Hohlraumhälfte zwischen Originalmodell und Gips flüssige Gelatine oder Silikon gegossen.
Die beiden Formhälften werden zusammengeführt und mit heißem Wachs ausgegossen, sodass eine Negativform entsteht. Die Formhälften werden mit Schamotte umhüllt, das Wachs wird restlos ausgebrannt. In den entstandenen Hohlraum wird schließlich die auf mehr als 1000 Grad erhitzte flüssige Bronze, eine Legierung aus Kupfer und Zinn, gegossen. Mehrere Tage dauert es, bis die Bronze erkaltet ist und aus dem umgebenden Schamottemantel geschlagen werden kann.
Auch dann gibt es noch viel zu tun: Abschleifen, Luftkanäle entfernen, patinieren. "Es ist ein komplexer Beruf", sagt Schnappinger, "oft steckt der Teufel im Detail, aber die Arbeit macht trotzdem Spaß" - auch noch nach 39 Jahren in diesem Metier. Und vielleicht ja gerade wegen der auftretenden Unwägbarkeiten, die ebenso wie das künstlerische Schaffen selbst immer wieder kreative Antworten verlangen.
In einem selbstverfassten Beitrag zum Werkverzeichnis schildert Sauer die Empfindungen, die ihn stets aufs Neue bei der Herstellung einer Skulptur bewegen: Wenn die Wachsplastik eingeformt und im Brennofen ausgebrannt ist, dann ist sie, nach Monaten der Vorarbeit, der intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung erst einmal restlos verschwunden. Nach dem Ausgießen mit flüssiger Bronze aber ist sie plötzlich wieder da. "Es ist ein befreiendes Gefühl, sie jetzt wieder zu sehen", sagt Sauer. "Das sind die Nöte, Ängste und Freuden, die ich immer wieder durchlebe."
Werkschau der Sommerakademie von Erich Sauer, Kunstgießerei Kirchner & Schnappinger, Feldstraße 2, Ascholding, bis 18. Juli, 14 bis 18 Uhr