In vielen Kinderbüchern ist eine Mühle ein verwunschener, manchmal unheimlicher Ort. Das trifft auf die Off-Mühle, die am Südrand des kleinen Orts Sindelsdorf bei Penzberg liegt, jedenfalls heute nicht zu. Ein wunderbarer Spielplatz kann sie dennoch sein, wie Veronika Sonner lachend erzählt. "Für die Kinder ist es schön, wenn das Getreide abgekippt wird. Die liegen dann im frischen Hafer, das ist einfach lustig. Natürlich ohne Schuhe." Veronika Sonner weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Spaß das macht, denn sie ist in der Mühle aufgewachsen, so wie ihre beiden Kinder jetzt.
Dass Lukas, 12, und Carolin, 9, so aufwachsen können, ist nicht nur für die Kinder ein Glücksfall. Vor gut elf Jahren wäre es der Off-Mühle beinahe ergangen wie so vielen anderen Handwerksmühlen - sie hätte fast zumachen müssen. Denn Veronikas Bruder hatte zwar Müller gelernt, wollte den Betrieb aber dennoch nicht übernehmen. Und die Eltern wurden älter und wollten aufhören. Veronika arbeitete damals bei einer Bank, ihr Mann Martin Sonner hatte eine Stelle als Landmaschinenmechaniker, beide lebten in Habach.
Aber Sonner hatte auch schon immer in der Mühle mitgeholfen und fasste sich schließlich ein Herz. "Er hat gesagt, wir könnten doch die Mühle übernehmen", erzählt Veronika Sonner, die die Buchhaltung des Betriebs übernommen hat. Sie selbst hätte sich nicht getraut, ihren Mann danach zu fragen, deshalb war sie sehr froh, dass er es selbst vorschlug. Schließlich ist die Off-Mühle seit 1917 im Besitz der Familie, urkundlich erwähnt wurde sie erstmals 1351. Franz Marc malte sie 1913. Der Künstler, der die Gruppe "Der Blaue Reiter" mitgegründet hat, lebte einige Jahre in Sindelsdorf. Sein Bild mit dem Titel "Die verzauberte Mühle" ist im Chicago Art Institute zu sehen.
Ein Mühlrad, wie es Franz Marcs Gemälde zeigt, gibt es nicht mehr. Die Turbine, die es ersetzt, wird aber immer noch überwiegend mit Wasser angetrieben, das wie seit Jahrhunderten der kleine Sindelsbach heranträgt. Moderne Technik auf dem Dach ergänzt die uralte Wasserkraft: Eine Photovoltaik-Anlage liefert Strom. Sonner, der vom Mechaniker zum Müller wurde, begeistert sich für die Technik, die ihm überwiegend regenerative Energie liefert.
Handwerksmühlen gibt es nur noch ganz wenige in Bayern. Die Off-Mühle kann zwölf Tonnen Getreide in 24 Stunden zu Mehl vermahlen. Industriemühlen wie die Rosenmühle in Landshut schaffen 800 Tonnen am Tag, andere auch tausend Tonnen. Sonner kennt noch die Leitzachmühle in Miesbach und die Blum-Mühle in München. Bei Wasserburg gibt es die Drax-Mühle. Weil die Kunstmühlen immer weniger werden, gibt es praktisch keine Geräte mehr für sie. Sonner hat seine Mühle im Herbst fast komplett erneuert, seither ist vieles aus Kunststoff, was früher aus Holz war. "Aber das baut keiner mehr", bedauert er. Die vier alten Walzenstühle aus den 1930-er Jahren seien zum Glück unverwüstlich.
Gemahlen wird das Getreide schon lange nicht mehr mit Mühlsteinen, sondern mit Stahlwalzen, die feine, spiralförmige Rillen haben. "Deshalb sind wir eine Kunstmühle", erklärt Sonner. In den Walzen wird das Getreide nicht so heiß wie in Mühlsteinen, wertvolle Inhaltstoffe werden auf diese Weise geschont. Nach jedem Mahlgang wird das Mehl gesiebt, was dann noch nicht fein genug ist, wird erneut durch die Walzen geschickt. Auch die neuen Kunststoffleitungen, in denen das Mehl per Luftdruck transportiert wird, haben Vorteile: Sie sind einfacher sauber zu halten. Dennoch sind Schädlinge immer ein Thema, wo Getreide lagert. Der Kammerjäger komme viermal pro Jahr, sagt Sonner, und die Mäuse halte tatsächlich die Katze am besten kurz - ganz wie früher.
Wer im Wettbewerb mit den großen Mühlen bestehen will, muss mit der Zeit gehen. Deshalb lässt sich der Betrieb als gentechnikfrei zertifizieren. "Das ist wichtig für den Futtermittelbereich", erklärt Sonner. Die Berchtesgadener-Land-Molkerei etwa bestehe darauf, dass alle ihre Zulieferer gentechnikfreie Betriebe seien, und die Milchbauern bräuchten dafür eben gentechnikfreies Futter. "Man muss den gentechnikfreien Anbau stützen."
Irgendwann steht eine größere Investition ins Haus: Ein Farbausleser. Der sortiert alle Körner aus, die die falsche Farbe haben, etwa, weil sie ein wenig vertrocknet sind oder weil sich ein Roggenkorn in den Weizen verirrt hat. "Das ist brutal teuer", sagt Sonner. Aber notwendig werde es wohl werden. Denn die Kunden tolerierten keine falschen Körner. Sonner meint damit in erster Linie die Privatkunden. Ein wichtiges Standbein des Betriebs ist der Mühlenladen, in dem es Mehl verschiedener Sorten und Ausmahlungsgrade und Getreidekörner ebenso zu kaufen gibt wie Müsli, Knäckebrot und Dinkelkekse. Was die Off-Mühle, wie das Müsli, nicht selbst herstellt, wird von anderen Mühlen oder Bäckern zugekauft. Auch verschiedene hochwertige Öle werden angeboten, die ebenfalls aus einer Mühle stammen. Wie Sonner erklärt, haben sich mehrere Mühlen zusammengeschlossen und tauschen ihre Produkte aus.
Heute sind nicht nur die beiden Sonners froh, dass sie die Mühle übernommen haben, sondern auch ihre Kunden. "Die Resonanz der letzten zehn Jahre, das macht Freude und ist für uns eine Bestätigung", sagen sie. Die Kunden, die teilweise von weit her in den Mühlenladen kommen, schätzen, dass sie hier Mehl kaufen können ohne Zusatzstoffe, wie sie in den meisten Industriemehlen stecken wie Ascorbinsäure, Emulgatoren oder Backmittel. "Viele Leute glauben, sie hätten eine Weizenallergie", weiß Martin Sonner. "Dabei vertragen sie nur die Zusatzstoffe nicht."
Gleichbleibende Backeigenschaften erreicht Sonner auch ohne die Hilfsstoffe, indem er Mehle mit unterschiedlichen Eigenschaften miteinander mischt, etwa solche aus Getreide, das schon länger lagert, mit Mehl aus erst kürzlich geerntetem Getreide. Ein anderes Problem für Allergiker sei, dass Dinkel vielfach mit Weizen gekreuzt werde und dann als Ausweichgetreide ausfällt, sagt Sonner. "Wir haben hier reines Dinkelmehl - und viele Kunden, die das wollen."
Nicht nur Privatkunden kommen in die Off-Mühle, auch viele Dorfläden und Direktvermarkter werden beliefert, zudem einige kleinere Bäcker. Wie die meisten Kunden stammen auch die meisten Getreide-Lieferanten aus der Region: Aus Sindelsdorf selbst, aus der Umgebung, auch aus Gilching im Landkreis Starnberg kommt Getreide. Dort haben sich einige Bauern zusammengetan, die über eine Trocknungsanlage und große Lager verfügen, die können auch in nassen Sommern schnell ernten. Biogetreide bekommt Sonner vom Gut Buchhof im Landkreis Starnberg, das der Stadt München gehört. "Die sind gut und bringen die Sachen, wenn ich's brauche."