Siegfried Böhmke:Damit die Puppen leben lernen

Lesezeit: 3 min

Der Intendant des Münchner Marionettentheaters erhält den Pocci-Preis. Er ist der gefragteste Puppenspieler im deutschen Fernsehen.

Kathleen Hildebrand

Siegfried Böhmke, Intendant des Münchner Marionettentheaters, und seine Puppen sind aus demselben Holz geschnitzt. (Foto: Jakob Berr)

Herr Goldfinger hat schlecht geträumt. All sein schönes Geld ist im Meer versunken, irgendwo vor den griechischen Inseln. Seine Tochter Esmeralda will ihn aufmuntern, treibt ihn aus dem Bett. Doch Herr Goldfinger bleibt an der Bettdecke hängen. "Stopp!" ruft jemand aus dem Off. Esmeralda und Herr Goldfinger schweben nach oben, sachte baumeln ihre Füße hin und her. "Wir müssen schauen, wie wir den Popo besser rauskriegen", sagt Siegfried Böhmke hinter der Guckkasten-Bühne.

Siegfried Böhmke ist Intendant des Münchner Marionettentheaters. Mit seinem gefurchten Gesicht, der langen schmalen Nase und dem drahtwolligen Haar sieht er fast aus wie eine seiner geschnitzten Puppen. Wahrscheinlich stimmt das, was man sonst über Hunde und ihre Herrchen sagt: Mit den Jahren wird man den Dingen und Wesen ähnlich, mit denen man sich umgibt. Und Böhmke hat sein Leben mit Puppen verbracht. Tote Gegenstände lebendig werden zu lassen, das fasziniert ihn an seinem Beruf. Ihnen eine Stimme zu geben bis der Zuschauer die Fäden und den Spieler dahinter vergisst.

Heute probt er mit seinem Ensemble "Schuriburiburischuribimbampuff oder Kasperl als Bergknappe". Das Stück ist ein Klassiker aus dem 19. Jahrhundert, den er Kindern heute nicht mehr vorsetzen kann. Zu antiquiert ist die Sprache, die Charaktere stammen aus einer fremden Zeit. Doch Böhmke hat neben seiner Freude an Innovationen auch eine Tradition zu wahren und der Kasperl gehört dazu: "Er ist der heimliche Intendant hier."

An Jubiläen kommt er deshalb immer wieder zum Einsatz: An diesem Freitag begeht das Theater den 190. Geburtstag und den 100. Todestag von Papa Schmid, der die Münchner Puppentheater-Tradition begründete. Für ihn hat Franz Graf von Pocci, der "Kasperlgraf" aus Ammerland, "Schuriburi..." geschrieben. Pocci hat das Puppentheater "literarisiert", wie Böhmke sagt. Vor seinen Kasperl-Stücken hatte es nur schlichte Improvisationen gegeben - den Kasper, der dem Krokodil auf den Kopf haut. Am Jubiläumsabend bekommt Siegfried Böhmke den Preis der Pocci-Gesellschaft verliehen. Bis dahin wird geprobt.

"Aschad!" ruft Böhmke. Aschad ist sein Requisiteur und ständig verschwunden. Einen Moment später trottet er mit skeptischer Miene in die Kulisse und sägt ein Stück von dem liebevoll modellierten Felsen ab. Der Berggeist soll ungehindert einschweben können: ein graues Männlein mit Hakennase und Fusselbart, in seine Augen sind Lämpchen eingebaut, die orange glühen, wenn man an einem Faden zieht. Siegfried Böhmke schüttelt strahlend den Kopf. "Mit den leuchtenden Augen sieht der sowas von heiß aus". Und das sei ja nur ein einfacher Theatertrick, "im Film würde der sich jetzt wahrscheinlich in alle seine Bestandteile auflösen und wieder zusammensetzen. Aber das ist eben ein anderes Medium."

Es ist sein Medium. Seit er elf Jahre alt war, lebt Böhmke hinter, unter und vor der Puppenbühne - je nachdem, ob er Marionetten oder Stabfiguren spielt oder perfektionistisch Regie führt. Der Berggeist bekommt noch eine Pfeife in die Hand montiert, "dafür gibt es Rauchtabletten!". Das und viel mehr hat Siegfried Böhmke sich selbst beigebracht. In seiner Jugend gab es noch keine Ausbildung für Figurentheater. Böhmke hat das Puppenführen in der Praxis des Münchner Marionettentheaters gelernt. Schnitzen und szenisches Sprechen im Privatunterricht, Malen und Zeichnen an der Volkshochschule. Seine Puppen baut er alle selbst, die Hände und Füße aus Holz, die Köpfe aus Modelliermasse, damit er Glasaugen einsetzen kann. Denn die sehen lebendiger aus als aufgemalte.

Gretl und Kasperl fläzen derweil im Vordergrund auf ein paar Pappmaché-Steinen. "Im Original liegen die nicht so besoffen rum", sagt Böhmke. Aber jetzt, da der Berggeist-Auftritt geprobt wird, hängen die Puppen am "Faulenzer". Einem Gegengewicht, das die Fäden straff hält, wenn der Spieler sich ausruht will. Die Puppen müsse man wie ein Instrument bedienen lernen. Timing, Gesten und Blickrichtung, alles muss "200-prozentig passen". Diese anstrengende Detailarbeit hat er bei Jim Henson gelernt, dem Vater der "Muppets".

Nach der Lehre in London wurde Böhmke zum gefragtesten Puppenspieler im deutschen Fernsehen, er spielte "Die Fraggles" und auch "Bim Bam Bino". Im Jahr 2000 kehrte er dann als Intendant ans Münchner Marionettentheater zurück. Puppentheater auf hohem Niveau, das sei sein kultureller Auftrag. Doch auch für ihn persönlich ist die Welt des Spiels "ein Ruhepol". Sein Haus in Egling sei so voll mit altem Spielzeug, dass er ein Museum eröffnen könnte. Ein ewiges Kind sei er aber nicht: "Ich sitze nicht zu Hause in meinem Zimmer und spiele mit der Eisenbahn!"

© SZ vom 16.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: